© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 39/18 / 21. September 2018

Europas Pentarchie als Garant einer Friedshofsruhe
Auf dem Aachener Kongreß 1818 rehabilitierten die Sieger gegen Napoleon Frankreich als gleichberechtigten Partner / Beginn der „Demagogenverfolgung“
Jan von Flocken

Frankreichs alter König Ludwig XVIII. durfte sehr zufrieden sein. Gleich zum offiziellen Beginn des Aachener Kongresses, am 29. September 1818, wurde ein Protokoll unterzeichnet, wonach die alliierten Besatzungstruppen bereits Ende November 1818 Frankreich verlassen würden. Die seit 1815 bestehende „Quadrupelallianz“ der vier Großmächte nahm den ehemaligen Kriegsgegner wieder in Gnaden auf. So boten Zar Alexander I. von Rußland, Kaiser Franz I. von Österreich, König Friedrich Wilhelm III. von Preußen sowie Arthur Wellesley, Herzog von Wellington, als Vertreter der britischen Majestät dem geschlagenen Feind die Versöhnungshand.

Das schien keineswegs selbstverständlich. Denn es war 1792 „die fast übermütige Kriegserklärung Frankreichs an den Kaiser zu Wien“ (Friedrich Sieburg), der das mehr als zwei Jahrzehnte währende Massenmorden mit einer halben Million Toten folgte. Die Völker Europas hatten Napoleons Gewaltherrschaft und den vorhergehenden Terror der Jakobiner noch deutlich in Erinnerung. 

Um weiteren Aggressionen Frankreichs vorzubeugen, wurde im besetzten Paris am 26. September 1815 die „Heilige Allianz“ der vier Siegermächte ins Leben gerufen. In ihrer Gründungserklärung hieß es, „daß die gegenwärtige Vereinbarung lediglich den Zweck hat, vor aller Welt ihren unerschütterlichen Entschluß zu bekunden, als die Richtschnur ihres Verhaltens in der inneren Verwaltung ihrer Staaten sowohl als auch in den politischen Beziehungen zu jeder anderen Regierung alleine die Gebote der Gerechtigkeit, der Liebe und des Friedens, die, weit entfernt, nur auf das Privatleben anwendbar zu sein, erst recht die Entschließung der Fürsten direkt beeinflussen und alle ihre Schritte lenken sollen, damit sie so den menschlichen Einrichtungen Dauer verleihen und ihren Unvollkommenheiten abhelfen.“

Der Zweite Pariser Frieden vom 20. November 1815 legte die Verweildauer der alliierten Truppen auf fünf Jahre fest. Außerdem hatte die französische Regierung eine Kriegsentschädigung von 700 Millionen Francs zu zahlen. Doch drei Jahre später griffen höhere politische Erkenntnisse über das pure Vergeltungsprinzip hinweg. Um einen allgemeinen Frieden in Europa zu sichern, sollte nun auch der verhaßte Feind und Aggressor von einst zum Verbündeten werden. In einem Abkommen mit Frankreich schrieb man endgültig die Bedingungen fest, die über den Pariser Vertrag von 1815 weit hinausgingen. Es wurden der sofortige Abzug der Besatzungstruppen  sowie die Herabsetzung der für 1818/19 und 1819/20 verbliebenen Kriegsentschädigungen von 280 auf 265 Millionen Francs bestimmt. 

Überwachung nationaler und demokratischer Bewegungen

In einer Konvention vom 4. November bekräftigten die vier Siegermächte Rußland, Preußen, Österreich und Großbritannien auf dem Aachener Kongreß sogar ihre Entschlossenheit, das in Frankreich wieder eingesetzte feudale Regime der Bourbonen notfalls mit Waffengewalt zu unterstützen. Somit gehörte Frankreich als fünfte Großmacht ab sofort wieder dem Europäischen Konzert an. Beschlossen wurde das alles in der alten Kaiserstadt Aachen, die wie keine andere seit Jahrhunderten unter französischen Angriffen zu leiden hatte.

Die Grundsätze der Heiligen Allianz galten jetzt auch in Frankreich als „höchste Norm für das europäische Völkerrecht“ und sollten die „Ruhe und den Frieden in Europa“ garantieren. Im Schlußprotokoll vom 21. November 1818 verpflichteten sich die fünf Mächte zur „Gewährleistung der Ruhe, des Glaubens und der Sittlichkeit, die durch das Unglück der Zeiten erschüttert“ worden seien. Man werde überdies alle seit 1815 in Europa existierenden Grenzen sowie die gesellschaftlichen Verhältnisse garantieren. „Ein neuer, auf Kooperation setzender Politikstil brach sich endgültig Bahn“, schreibt Heinz Duchhardt in seinem Werk über den Aachener Kongreß.

Allerdings gab es eine sehr unschöne Kehrseite dieser Zusammenkunft. Denn hier wurden auch Maßnahmen beraten für den Kampf gegen sämtliche revolutionären, demokratischen, freiheitlichen und nationalen Bewegungen in Europa. Zar Alexander I. von Rußland, de facto das Oberhaupt der Allianz, unterbreitete eine Denkschrift mit dem Titel „Über den gegenwärtigen Zustand Deutschlands“. Darin forderte er strenge Maßregeln zur Überwachung des geistigen Lebens und der Universitäten. Jede deutsche Hochschule sei eine Festung des Nationalismus, jede Studentengruppe ein Sturmtrupp der Revolution, hieß es. Warnende Beispiele wären die Gründung der Jenaer Burschenschaft und das Wartburgtreffen vom Oktober 1817. Dieses Memorandum gab den Anstoß zu den berüchtigten Karlsbader Beschlüssen und den sogenannten Demagogenverfolgungen, die sich vor allem gegen Bestrebungen zur Einheit Deutschlands richteten.

Nachdem die Truppen der Heiligen Allianz alle Revolutionen von 1848/49 niedergeschlagen hatten, erlebte das Bündnis in den fünfziger Jahren des 19. Jahrhunderts eine Neuauflage. Doch schließlich überwogen die nationalen Egoismen. Im Krimkrieg (1853 bis 1856) brach die Allianz endgültig auseinander.