© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 39/18 / 21. September 2018

Ein hundertjähriger Krieg ohne absehbares Ende
Im Kampf gegen den Borkenkäfer erzielt die Forschung nur kleine Geländegewinne / Zunehmende jährliche Holzverluste
Christoph Keller

Den Titel „100 Jahre Kampf gegen den Borkenkäfer“ haben bayerische Biologen wohl nur gewählt, um ihren Ausführungen über diesen Waldschädling etwas mehr an verdienter Aufmerksamkeit zu verschaffen (ANLiegen Natur, 40/1/18). Tatsächlich war 1918 schon Halbzeit für die 1906 in den USA gestartete, 1930 abgeschlossene und wissenschaftlich bilanzierte erste große Kampagne gegen zwei der gefräßigsten Borkenkäferarten.

Umgerechnet 30 Millionen Euro kostete der in den US-Staaten der Pazifikküste und in den Rocky Mountains geführte zeit- und arbeitsintensive Kampf gegen den Riesenbastkäfer (Dendroctonus brevicomis) und den Bergkiefernkäfer (Mountain pine beetle/Dendroctonus ponderosae). An Einfallsreichtum ließen es die Forstbehörden dabei nicht fehlen.

In Staats- und Privatwäldern schlug man befallene Bäume und verbrannte deren Rinde, bot den Schädlingen Fangbäume an oder probierte, ihnen mit der innovativen Solar-Heat-Methode beizukommen, die Käfer mittels Sonneneinstrahlung tötete. Doch bei der Evaluierung dieser Vernichtungsfeldzüge empfahl sich keine Methode als nachhaltig wirkende Patentlösung. Nicht zuletzt deshalb, weil versäumt wurde, Kontrollflächen anzulegen, auf denen keine Gegenmaßnahmen stattfanden. So lagen bei der Auswertung kaum Informationen darüber vor, wo und wie schnell die Käferpopulationen zurückkehrten, wo die Bekämpfung langfristig zu ihrem Rückgang geführt hatte.

Forstliche Eingriffe künftig schonender möglich?

Auch heute noch, darauf weisen Mareike Kortmann, Simon Thorn (Universität Würzburg) und Jörg Müller (Nationalparkverwaltung Bayerischer Wald) in ihrer Studie über die Borkenkäferkalamität als zentrales Problem hin, mache der Mangel an Kontrollflächen es nahezu unmöglich, eine handfeste Analyse verschiedener gängiger Bekämpfungsmethoden durchzuführen. Der Gesetzgeber behindere hier die Forschung, da er die Waldbesitzer verpflichte, sämtliche vom heimischen Borkenkäfer, dem Buchdrucker (Ips typographus), befallenen Bäume unverzüglich zu entfernen. Dieses Vorgehen sabotiere eine unkomplizierte Erfolgskontrolle, so daß bis heute, nach einem auch in Deutschland seit über hundert Jahren geführten Krieg gegen Borkenkäfer, weiterhin unklar sei, welche Faktoren zum Rückgang von Buchdrucker-Populationen beitragen und welche nicht.

Ihr Rückblick auf die frustrierenden Erfahrungen, die Generationen von Forstentomolgen im Kampf gegen die Käferplage machen mußten, ist für die Autoren daher alles andere als eine wissenschaftshistorische Reminiszenz. Denn das Problem ist nicht gelöst, und der „voranschreitende Klimawandel“ werde es verschärfen, denn er lasse einen „Anstieg der Ausmaße von Borkenkäferausbrüchen“ erwarten. Also werde der Ruf nach ihrem effizienten Management immer lauter.

Immerhin kristallisiere sich aus jahrzehntelanger Forschung langsam ein schmales Spektrum erfolgversprechender Methoden zur Eindämmung der Plage heraus. Um die Ausbrüche möglichst früh zu erkennen, diesen Schluß zog schon die US-Insektenkunde von 1930, seien potentiell gefährdete Bestände regelmäßig zu kontrollieren, wobei auf rotverfärbte, Befall anzeigende Baumkronen zu achten sei.

Breche die Epidemie aus, sollten hundert Prozent der Bäume „behandelt“, also gefällt und in der Rinde aus dem Bestand entfernt werden. Solche brutalen „Sanitärhiebe“ erfordern jedoch den Einsatz schwerer Maschinen und zeitigen höchst negative Konsequenzen für das Ökosystem. Sie beschädigen den Boden, das Entfernen der Vegetation ändert das Wasserregime, reduziert die angestammte Artenvielfalt und fördert die Ausbreitung invasiver Arten.

Die Hoffnung, daß forstliche Eingriffe zukünftig schonender möglich sind, nährt eine aktuelle Studie über Maßnahmen gegen Ausbrüche des Bergkiefernkäfers. Dabei habe ein variables Ausdünnen nachhaltigste Resultate erzielt, weil es die Habitatqualität verbessere und die Auflichtung zu vielfältigerem Vorkommen sommergrüner Sträucher beitrage, die eine wichtige Nahrungsquelle für viele Tierarten sind. Neben dieser neuen Option sollte aber nicht aus dem Auge verloren werden, was – wiederum alte US-Einsichten bestätigend – neuerdings eine Studie über Borkenkäferausbrüche im Bayerischen Wald ergab, die nachwies, daß diese maßgeblich von den großklimatischen Bedingungen im östlichen Bayern und im tschechischen Böhmen abhingen.

Beitrag „100 Jahre Kampf gegen den Borkenkäfer“, in ANLiegen Natur. Zeitschrift für Naturschutz und angewandte Landschaftsökologie, letzte Druckausgabe 40/1/18: www.anl.bayern.de/