© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 40/18 / 28. September 2018

Ländersache: Hessen
Plebiszit für eine neue Verfassung
Sandro Serafin

Lange galt der Hessische Landtag als „härtestes Parlament Deutschlands“. Vor diesem Hintergrund ist es durchaus bemerkenswert, was der Volksvertretung des siebtgrößten deutschen Bundeslandes im Mai gelungen ist. Von „wirklich historisch“ spricht gar der FDP-Abgeordnete Jörg-Uwe Hahn, der dem Landtag seit über 30 Jahren angehört.

Konsensual haben CDU und Grüne gemeinsam mit den oppositionellen Abgeordneten von SPD und FDP 15 Verfassungsänderungen verabschiedet. Sieben Vorschlägen stimmte auch die Linke zu. 2015 war eine Kommission eingesetzt worden, um über Ideen für eine „zukunftsfähige Gestaltung“ der ältesten noch gültigen deutschen Verfassung zu beraten. Ziel war es, die Konstitution „in ihrer Gesamtheit zu überarbeiten“. Die bisherigen wenigen Einzeländerungen hätten dem „rechtlichen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Wandel seit 1946 nur unzureichend Rechnung getragen“, begründete etwa Staatsminister Axel Wintermeyer (CDU) die Initiative. 

Einigen konnte man sich letztlich unter anderem auf folgende Änderungen: Die (durch das Grundgesetz ohnehin obsolete) Todesstrafe soll endgültig abgeschafft werden. Den Staat will man auf die aktive Förderung der Gleichberechtigung von Mann und Frau verpflichten. Das Wählbarkeitsalter soll von 21 auf 18 Jahre abgesenkt werden, das für die Initiierung von Volksentscheiden nötige Quorum von 20 auf fünf Prozent. Auch ein Bekenntnis Hessens zu einem föderativen Europa sowie mehrere nicht einklagbare Staatsziele finden sich in dem Verfassungsentwurf. Zudem sollen wie bereits in 14 anderen Bundesländern auch Kinderrechte Teil der Verfassung werden. Daß sich die Fraktionen auf ganze 15 Anpassungen einigen konnten, ist alles andere als selbstverständlich. Erst 2005 war ein Novellierungsversuch gescheitert. Die SPD hatte damals „Demokratieabbau“ und „Neoliberalismus“ in den Entwürfen beklagt: Die Vorschläge sahen eine deutlich marktwirtschaftlichere Ausrichtung der Verfassung vor.

Wohl auch deshalb ließ man die entsprechenden Artikel dieses Mal unangetastet. Sogar klar sozialistische, eigentlich hinfällige Artikel, wie etwa zur Bodenreform, bleiben Teil der Verfassung – zur Freude der Linkspartei, die im Vorfeld befürchtet hatte, daß die „eindeutig antikapitalistische Grundposition“ der Konstitution eigentliches Angriffsziel der „bürgerlichen Parteien“ sei. Der CDU gelang es nicht, den von ihr und den Kirchen gewünschten Gottesbezug in der Präambel durchzusetzen. Im Entwurf von 2005 hatte er noch Einzug gefunden. Hans-Jürgen Irmer, bis 2017 hessischer CDU-Landtagsabgeordneter, sieht darin eine „Signalwirkung“. „Es ist ein Zeichen, daß gewisse gesellschaftliche Grundwerte zunehmend in Frage gestellt werden“, sagte der heutige Bundestagsabgeordnete der JUNGEN FREIHEIT. Seiner Partei bescheinigte er jedoch, „sehr intensiv für den Gottesbezug gekämpft“ zu haben. Kinderrechte sieht Irmer kritisch. Hier bestehe das „Risiko, daß der staatliche Einfluß auf die Kinder größer werden könnte“.

Nun müssen die 15 Änderungen eine letzte Hürde nehmen. Am 28. Oktober können die Hessen parallel zur Landtagswahl abstimmen. Daß die Bürger am Ende einzelne Punkte ablehnen, ist durchaus vorstellbar. 1995 stimmte schon einmal die Mehrheit dagegen, das passive Wahlalter von 21 auf 18 herabzusetzen.