© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 40/18 / 28. September 2018

„Erhebliche Mißstände“
Flüchtlingsbehörde: Laut internen Prüfberichten war der Bremer Bamf-Skandal um zu Unrecht erteilte Asylbescheide gravierender als behauptet
Björn Harms

FDP und AfD ließen am Montag nach der Sitzung des Bundestagsinnenausschusses keinen Zweifel: Der Skandal um zu Unrecht erteilte Asylbescheide beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) benötige noch immer eine vollumfängliche Aufarbeitung. Es wäre fatal, einen Schlußstrich unter die Affäre zu ziehen, so die Parteien. „Es hat in Bremen erhebliche Mißstände gegeben“, hatte auch der neue Bamf-Chef Hans-Eckhard Sommer laut Teilnehmerangaben vor dem Gremium bestätigt.

Dabei hatten jüngste Medienberichte ein gänzlich anderes Bild von den Versäumnissen in der Bremer Außenstelle gezeichnet. Immer häufiger hieß es, die ehemalige Behördenleiterin Ulrike B. sei lediglich das Opfer einer Rufmordkampagne geworden. Die Mißstände hätten sich als weit geringer erwiesen als zunächst angenommen. Die innenpolitische Sprecherin der Bundestagsfraktion der Linkspartei, Ulla Jelpke, forderte gar eine öffentliche Entschuldigung von Innenminister Horst Seehofer für seine „unverantwortliche Panikmache“.

Als Beweis diente der jüngst abgeschlossene Prüfungsbericht des Bamf, den die Behörde in den vergangenen Monaten selbst erarbeitet hatte. Für den „Vollbericht Bremen“ wurden alle Fälle untersucht, die seit 2006 in der Hansestadt positiv beschieden worden waren – 12.848 Akten, die sich auf 18.347 Asylbewerber bezogen. Die Experten wollten wissen: Wie viele Unregelmäßigkeiten gab es bei den einzelnen Entscheidungen? Die Medien griffen einzelne Bruchstücke der Untersuchung dankbar auf. Nur 1,1 Prozent der positiven Asylbescheide hätten bislang revidiert werden müssen, zitierte der Spiegel aus dem vorgelegten Bericht. Kein Grund zur Aufregung also? 

Ulrike B. hat jahrelang geltendes Recht gebrochen

Die genaue Lesart des internen Prüfungsberichts biete „einen etwas klareren Blick auf die Vorgänge“, entgegnete die Frankfurter Allgemeine Zeitung. Zwar liege die Zahl der groben Verstöße tatsächlich bei nur 145. Doch handele es sich hierbei lediglich um Fälle, bei denen Mitarbeiter eine „bewußt manipulative Einflußnahme zur Erreichung einer bestimmten Entscheidung“ vorgenommen hätten. Gleichzeitig gebe es weitere 2.043 Asylverfahren, in denen „nicht ausreichend ermittelt“ worden sei. Bei rund 2.700 Fällen (rund 21 Prozent aller Verfahren) hätten die Prüfer „Mängel in der Bearbeitung“ beanstandet.

Der wohl heikelste Punkt aber blieb in den meisten Medienberichten gleich ganz außen vor: Die 4.568 Fälle, „an denen die beiden jesidischen Rechtsanwälte aus Hildesheim und Oldenburg beteiligt waren, mit denen Ulrike B. teils eng kooperiert haben soll“, seien nämlich erst gar nicht untersucht worden, schreibt die FAZ. Durch den Korruptionsverdacht bei den positiven Asylbescheiden für Jesiden war die Bamf-Affäre jedoch erst richtig ins Rollen gekommen. Diese sollen nun gesondert untersucht werden. 

Der Innenausschuß beschäftigte sich derweil auch mit einem zweiten Bericht, den Innenminister Seehofer beim Bundesrechnungshof in Auftrag gegeben hatte. Auch dessen Ergebnisse bergen eine besondere Brisanz: Der Untersuchung  zufolge hat sich bei der Prüfung von 4.407 Fällen, an denen die jesidischen Anwälte beteiligt waren, herausgestellt, daß die Bremer Außenstelle in 89 Prozent der Fälle tätig wurde, obwohl der Antrag andernorts gestellt wurde. Die meisten anderen Dienststellen würden eine Quote von drei Prozent vorweisen.  Die Prüfer des Rechnungshofes kommen zu dem Schluß: „Ulrike B. hat jahrelang massiv gegen geltendes Recht und Sicherheitsvorgaben verstoßen.“