© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 40/18 / 28. September 2018

„Für den Zusammenhalt der Gesellschaft“
Wohngipfel: Fünf Milliarden für den sozialen Wohnungsbau / 1,5 Millionen neue Wohnungen bis Ende der Legislaturperiode?
Christian Schreiber

In den Wahlkämpfen von Bayern und Hessen vermeiden es die bisherigen Landtagsparteien, eine Ursachenbeziehung zwischen den exorbitanten Immobilien- und Mietpreisen in den Boomregionen einerseits und der Masseneinwanderung andererseits zu ziehen. Dabei verrät ein Blick in die Statistik das Offensichtliche: 2010 gab es in Deutschland laut Ausländerzentralregister 475.840 Zu- und 295.042 Fortzüge von EU- und Nicht-EU-Ausländern, woraus sich eine Nettozuwanderung von 180.798 Personen ergab. Zugleich verzeichnete das Statistische Bundesamt einen Wohnungsbestand von 40.479.270.

Im vergangenen Jahr summierte sich die ausländische Nettozuwanderung der Jahre 2010 bis 2017 auf 4.536.806, während der Wohnungsbestand nur um 1.488.796 auf 41.968.066 wuchs. Bei einer durchschnittlichen Belegung von zwei Personen pro Wohnung ergibt sich allein daraus eine statistische Lücke von etwa 780.000 Wohnungen – und wo das Angebot knapp ist, da steigen die Preise.

Zuwanderer erhöhen die Kapazitäten im Baugewerbe

Und selbst wenn die im Koalitionsvertrag versprochene Obergrenze von jährlich 180.000 bis 200.000 Asylzuwanderern eingehalten würde, gibt es bei der Arbeitsmigration aus der EU (2017: 256.944 netto) oder beim Familiennachzug aus der Türkei keine Obergrenze – im Gegenteil: „Wir brauchen langfristig jedes Jahr 400.000 Zuwanderer netto, um den Bedarf der Unternehmen dauerhaft zu decken“, erklärte Detlef Scheele (SPD), Chef der Bundesagentur für Arbeit, in der Welt am Sonntag. Das geplante Fachkräftezuwanderungsgesetz soll weiteren Arbeitskräften aus Nicht-EU-Ländern den Weg nach Deutschland öffnen – auch um „mehr Kapazitäten im Baugewerbe“ zu schaffen, so der auch für Bau zuständige Innenminister Horst Seehofer (CSU).

Das erklärt, warum die Bundesregierung „in dieser Legislaturperiode den Bau von 1,5 Millionen neuen Wohnungen und Eigenheimen“ ermöglichen will. Der soziale Wohnungsbau soll bis 2021 mit fünf Milliarden Euro gefördert werden. Neben dem Baukindergeld von 12.000 Euro je Kind (JF 38/18) soll der Mietwohnungsbau steuerlich begünstigt werden. Das Wohngeld soll ab 2020 erhöht und die Städtebauförderung auf 790 Millionen Euro angehoben werden. „Die Frage des Wohnens ist eine gesellschaftliche und eine der wichtigen sozialen Fragen, die uns alle angeht und die für den Zusammenhalt der Gesellschaft entscheidend ist“, sagte Angela Merkel anläßlich des Wohngipfels am vergangenen Freitag.

Der Bund wolle eigene Grundstücke günstig an die Kommunen abgeben, versprach Finanzminister Olaf Scholz (SPD). Die Bauland-Preise sind seit 2010 bundesweit im Schnitt um die Hälfte gestiegen, in Berlin haben sie sich teilweise sogar vervierfacht. Gleichzeitig soll die Wohnungsbauprämie für Bausparer wieder attraktiver werden. Die Staatssekretäre von Bund und Ländern sollen weitere Vorschläge erarbeiten.

Dies könnte problematisch werden. Die Union gilt regierungsintern als die „Bauherrenpartei“. Führende Sozialdemokraten warnen vor einem starken Druck aus der Immobilienwirtschaft. Die SPD wiederum fordert massive staatliche Eingriffe in den Wohnungsmarkt. Gestritten wird um die Erfassung der Mietspiegel, die Mietern und Vermietern Orientierung zu den ortsüblichen Preisen bieten. Die Bundesregierung will gesetzliche Mindestanforderungen zur Standardisierung einführen. Außerdem sollen Daten aus den vergangenen sechs Jahren für die Berechnung genutzt werden. Bislang sind es nur vier. Da die Mieten seit Jahren steigen, dürfte eine Verlängerung des Betrachtungszeitraums niedrigere Werte beim Mietspiegel ergeben.

Am Mietspiegel orientiert sich auch die bisherige Mietpreisbremse, die aber regierungsintern heftig umstritten ist. Deren Novelle durch Justizministerin Katarina Barley (SPD) geriet ins Stocken, weil sich ihre Partei beim Mieterschutz nicht gegen die CDU durchsetzen konnten. Scholz kündigte immerhin an, die Regierung wolle die Verfassung ändern, um den sozialen Wohnungsbau auch langfristig mit Bundesmitteln fördern zu können. Zudem soll in „Milieuschutzgebieten“ die Umwandlung von Miet- in Eigentumswohnungen „nicht mehr so einfach“ sein, so der Finanzminister gegenüber der FAZ.

„Das Problem ist in der deutschen Mittelschicht angekommen“, konstatierte die jeder Sozialromantik unverdächtige Welt bereits Anfang des Jahres. Niemand sei geschützt, es treffe Senioren und Behinderte ebenso wie Alleinerziehende und ganze Familien. Kaltmieten von zehn Euro und mehr je Quadratmeter bringen vor allem Niedrigverdiener sowie Rentner- und Einverdienerhaushalte an ihr finanzielles Limit. „Das zentrale Problem ist die Tatsache, daß bisher oft die meistbietenden Investoren beim Kauf der Objekte zum Zuge kommen. Die bauen dort meist Luxuswohnungen, statt neue bezahlbare Mietwohnungen. Da müssen wir den Hebel ansetzen“, versprach Scholz.

Einen entscheidenden Hebel hätte auch seine Parteikollegin Umweltministerin Svenja Schulze in der Hand: Die diversen Energieeinsparverordnungen (EnEV) haben nicht nur das Bauen zusätzlich verteuert, sie liefern auch – dank der vom Steuerzahler geförderten „energetischen Sanierung“ von Bestands­immobilien – die passende Steilvorlage zur „Entmietung“ via Klimaschutz.

Und die beim Wohngipfel ebenfalls beschlossene Förderung von „seriellem und modularem Bauen“ (JF 6/18) müßte Familienministerin Franziska Giffey auf den Plan rufen: Was aus seelenlosen Plattenbausiedlungen wird, ist in Köln-Chorweiler, der Bremer Tenever-Siedlung, Frankfurt-Bonames oder München-Hasenbergl zu besichtigen.

Eckpunkte der „Wohnraumoffensive“:  bundesregierung.de