© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 40/18 / 28. September 2018

„Gender kann richtig Spaß machen“
Mit der Sonderschau „Gewalt und Geschlecht“ steht das Bundeswehr-Museum an einem Scheidepunkt
Paul Leonhard

Besuchen Sie erst den zweiten Teil der Ausstellung, die schließt eher.“ Die freundliche Aufsicht des Militärhistorischen Museums der Bundeswehr in Dresden weist noch die Richtung: „Einfach links abbiegen und dann noch einmal links.“

Der Weg führt um das mächtige neoklassizistische Gebäude herum und an einer Freifläche vorbei, wo vor einigen Wochen noch mächtige Panzerhaubitzen der Bundeswehr standen. Diese mußten Platz machen für das von der Kulturstiftung des Bundes geförderte Kunstprojekt „Targeted Interventions“. Im Außengelände, an der Fassade, auf der Attika und im Erdgeschoß des Gebäudes sind Installationen von Künstlern aus sechs Nationen zu sehen, darunter die atomare Boden-Boden-Rakete „Honest John“, der der Norweger Morten Traavik ein Kondom übergestülpt hat, und Via Lewandowskys Installation „Kollateral“, die diverse Exponate in Schieflage zeigt. Damit würden „Markierungen im Gesamtkomplex des Museums gesetzt, die gängige Erwartungen an den Gedächtnisort deutscher Militärtradition hinterfragen“, heißt es in einer Pressemitteilung.

Tatsächlich demonstriert die Sonderausstellung „Gewalt und Geschlecht – Männlicher Krieg, weiblicher Frieden?“ wie keine zuvor, daß die Dresdner Bundeswehr-Institution an einem Scheidepunkt angelangt ist: Will sie ein modernes militärhistorisches Museum bleiben oder ein Haus werden, das vor allem Wert auf avangardistische Kunst und einen kulturhistorischen Diskurs legt, eine Aufgabe, die in Dresden bereits das Deutsche Hygiene-Museum erfolgreich übernommen hat.

Unübersichtliche Hängung, schlechte Ausleuchtung

Wie wenig die im Besitz des Museums befindlichen Großgeräte der Bundeswehr und NVA, aber auch noch nicht aufgearbeitete Waffen und Fahrzeuge der Reichswehr und Wehrmacht der Museumsführung bedeuten, zeigt ihr verrotteter Zustand und ihre lieblose Präsentation auf den Außenflächen.

Die berechtigte Kritik vieler, vor allem älterer Besucher an der schlechten Ausleuchtung, der unübersichtlichen Hängung der Erläuterungstafeln und der viel zu kleinen Schrift zu den Objekten der Dauerausstellung fand bisher keinen Widerhall. Wenigstens wurden einige Begleittexte verändert, so wird das deutsche Sturmgewehr 44 inzwischen als das gewürdigt, was seine Erfindung war: die Einführung einer neuen Waffentechnik.

Statt die Dauerausstellung weiterzuentwickeln, konzentrierte sich Chefkonservator Gorch Pieken auf spektakuläre Sonderschauen. Diese Projekte, etwa 20 an der Zahl, zu den Befreiungskriegen, zu den Grabenschlachten des Ersten Weltkrieges, zum Waffenhandel oder zu den Tatorten der NSU-Morde waren durchaus sehenswert und fanden internationale Anerkennung, fraßen aber einen großen Teil des dem Museum zur Verfügung stehenden Etats auf. Spät fiel dem Verteidigungsministerium dieses Ungleichgewicht auf.

Das Faß zum Überlaufen brachte die aktuell zu sehende, drei Millionen Euro teure Sonderausstellung „Gewalt und Geschlecht“ sowie ihr Begleitprojekt „Targeted Interventions“. Museumsdirektor Oberst Matthias Rogg, ein habilitierter Militärgeschichtler, wurde im März 2017 durch den Historiker Oberstleutnant Armin Wagner ersetzt. Drei Monate später mußte auch sein Stellvertreter Pieken gehen. Mit ihnen verschwand die Ankündigung zur Sonderschau „Gewalt und Geschlecht“ von der Webseite des Museums.

Zuvor hatte es laut Zeitungsberichten „Auseinandersetzungen im Hochdezibelbereich“ zwischen Wagner und Pieken gegeben. Dabei soll es auch um ein mit Menstruationsblut getränktes Porträt des US-Präsidenten Donald Trump gegangen sein, das eine feministische US-Künstlerin gemalt hatte. „Es kam zu einem unüberbrückbaren Dissens auch über die Auswahl der Ausstellungsstücke, unmöglich, so weiter miteinander zu arbeiten“, wurde Gorch Pieken zitiert.

Nach einem „langen kontroversen Diskussionsprozeß“ und, so Pieken, als „Kompromiß“ wurde die Schau dann mit mehr als siebenmonatiger Verspätung doch eröffnet, eine weitere mit dem Titel „Clash of Futures“ aber gestrichen. Trotzdem versichert Roggs Nachfolger Wagner, weiterhin in Ausstellungen gesellschaftsrelevante Themen komplex darstellen zu wollen.

Mitunter sind sie zu komplex und detailversessen. Der Prolog im Erdgeschoß des Haupthauses verspricht zwar „1.000 Jahre bildgewaltiges Erinnerungsgedächtnis der Gewaltgeschichte zu entfalten“, läßt aber den Besucher hilflos durch einen Wald von Farbdrucken laufen. Zu sehen sind Reproduktionen von Darstellungen von Kriegen und Kriegern. Alle wurden von Frauen gemalt oder gezeichnet, obwohl diesen „über Jahrhunderte grundsätzlich die Fähigkeit abgesprochen worden war, kreativ-schöpferisch arbeiten zu können“, wie es im Begleittext heißt: „Mit vergleichbaren geschlechtsbezogenen Vorurteilen sind noch heute Frauen beim Militär und in manch anderen Bereichen unserer Gesellschaft konfrontiert.“

Aus einem Lautsprecher ertönt Kinderweinen

Dabei kann Gender „richtig Spaß machen“, versichert Kurator Pieken. Geschlechtergerechtigkeit und Diversität seien auch für die Bundeswehr bedeutsam, findet Direktor Wagner und liegt damit auf einer Wellenlinie mit seiner Dienstherrin, Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen: „Insofern verstehen wir die Ausstellung auch als einen Beitrag zur notwendigen Diskussion in den Streitkräften.“

Die eigentlichen Ausstellungsräume befinden sich in einem Hintergebäude des Museums: Öffnet der Besucher die Tür, hört er als erstes aus einem Lautsprecher eingespieltes Kinderweinen. Läuft er weiter, ertönt die hysterische Aufforderung „Schlagt sie in Stücke. Schlagt sie tot!“, womit über Deutschland abgeschossene alliierte Flieger gemeint waren. Dazwischen wird in Vitrinen ein buntes Sammelsurium an Gegenständen offeriert: ein Schälchen mit Coltan, einem Mineral, durch dessen Verkauf die Demokratische Republik Kongo ihre Waffen und Soldaten finanziert, steht neben einer Statistik zur weiblichen Wählerschaft bei den US-Präsidentschaftswahlen. Neben dieser liegt ein Schaubild zu geschlachteten Tieren in Deutschland 2012. Die Familienbibel der Familie Mann soll daran erinnern, daß der Schriftsteller Thomas Mann aufgrund der in seiner Zeit geltenden gesellschaftlichen Normen seine Homosexualität unterdrücken mußte. Daneben liegen Rettungswesten, wie sie am Strand von Lesbos gefunden wurden. Weitere Exponate sind der Krönungsmantel von Katharina der Großen, eine Handtasche von Margaret Thatcher und das Filmschwert Mel Gibsons aus „Braveheart“.

Besonders nahegegangen scheinen Gorch Pieken bei seinen „weltweiten“ Recherchen zu „Gewalt und Geschlecht“ die alliierten Opfer des anglo-amerikanischen Bombenterrors gegen die Zivilbevölkerung der Achsenmächte und ihrer Verbündeten. Die „Fliegermorde“ seien überproportional von Frauen begangen worden, sagt Pieken. In der Ausstellung zeichnet er eine Handvoll Fälle bis ins Detail nach.

Frauen im Widerstand gegen das NS-Regime stehen dann Ärztinnen und weibliches Pflegepersonal gegenüber, die medizinische Experimente an Kriegsgefangenen durchführten. Auf der Negativliste von „gewalttätigen Frauen“ steht auch die von Hitler mit dem EK I ausgezeichnete Testpilotin Hanna Reitsch, weil diese eine bemannte Fieseler Fi 103 (V1) nicht nur selbst testete, sondern anschließend einen Freiwilligenverband für Kamikazeeinsätze formieren wollte.

Wenn die Ausstellungsmacher hinterfragen, ob Frauen Gewalt ausüben und „zu Männern werden“ müssen, um ihre Führungspositionen zu erreichen oder spezifisch weibliche Strategien auf dem Weg an die Spitze entwickeln, und ob diese weniger gewaltvoll sind, hätte man eigentlich erwartet, daß Pieken an die Kriemhildfigur aus dem Nibelungenlied erinnert. Schon im 13. Jahrhundert wurde rege diskutiert, ob die burgundische Königstochter und Witwe des von Hagen ermordeten Helden Siegfried ob ihres Handelns zu verurteilen oder zu verteidigen sei. Eine geradezu klassische Vorlage für eine Ausstellung, die sich mit der Frage zu beschäftigen vorgibt, ob Gewalttätigkeit und Gewaltfähigkeit eine Frage des Geschlechts sind und ob „Weiblichkeit“ tatsächlich für „schutzbedürftige Schwäche“ steht, während „Männlichkeit“ gleichbedeutend mit „heroischer Stärke“ ist.

Aber Pieken hat für die Schau einen anderen Schwerpunkt gefunden: die Gender-Problematik und das Dritte Reich. Oberstleutnant Wagner hofft, daß die Besucher in der Schau „an ihre lebensweltlichen Erfahrungen anschließen“.

Ein Leckerbissen für Militärtechnikfans steht gegenwärtig übrigens an der Rückfront des Museums. Das von einer Plane abgedeckte Kettenfahrzeug ist kein Kunstobjekt, sondern ein schwerer Stalin-Panzer (IS) aus dem Zweiten Weltkrieg, der nur zur Reparatur in Dresden ist.

Die Ausstellung „Gewalt und Geschlecht ist bis zum 30. Oktober im Militärhistorischen Museum der Bundeswehr in Dresden, Olbrichtplatz 2, täglich außer mittwochs von 10 bis 18 Uhr, montags bis 21 Uhr, zu sehen. Tel.: 03 51 / 823 -28 03

 www.mhmbw.de