© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 41/18 / 05. Oktober 2018

Angst vor Erdogans langem Arm
Proteste gegen Erdogan in Köln: Weniger Menschen als erwartet demonstrieren gegen die Moschee-Einweihung durch den türkischen Präsidenten
Karsten Mark

Die türkische Präsidenten-Maschine ist noch im Anflug, als die meisten Räder im verkehrsreichen Herzen Nordrhein-Westfalens zum Stillstand kommen. Die Polizei löst am Samstag mittag vorsätzlich den umfangreichsten Verkehrsinfarkt aus, den der Großraum Köln seit langem erlebt hat. Es gilt Sicherheitsstufe eins für den türkischen Staatspräsidenten. Rund 4.000 Beamte aus fünf Ländern sowie der Bundespolizei sorgen dafür, daß Recep Tayyip Erdogan sicher vom Flughafen Köln-Bonn zur Einweihung der Ditib-Zentralmoschee in Köln-Ehrenfeld gelangt. 

Zuvor hatte Erdogans Besuch in Berlin bereits für massive Kritik gesorgt. Beim Staatsbankett von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier nannte der türkische Präsident kritische Journalisten, die sich nach dem Putsch 2016 nach Deutschland abgesetzt hatten, „Terroristen“ und forderte deren Auslieferung.

Etwa eine Stunde verbringt Erdogan noch mit dem Ministerpräsidenten von Nordrhein-Westfalen, Armin Laschet (CDU), im VIP-Bereich der Flugbereitschaft, bevor es weitergeht nach Ehrenfeld. Rund 200 Meter rund um die Moschee hat die Polizei inzwischen robuste Sperren errichtet. Die Leibwächter Erdogans spannen eigenmächtig noch weitere Plastikbänder über die Straßen, bis die Polizei ihnen Einhalt gebietet. Die von der Ditib versprochene Möglichkeit, im benachbarten Grüngürtel den Präsidenten in einer Videoübertragung zu erleben, hatte sich am Tag zuvor zerschlagen. 25.000 Besucher waren erwartet worden, aber erst am Donnerstag abend wurde ein unzureichendes Sicherheitskonzept vorgelegt. Der große Massenansturm ist ausgeblieben. Schätzungen schwanken zwischen 1.500 und 4.000 Anhängern, die sich entlang der Zufahrtswege verteilen. 

Zusätzlich zu den 500 streng überprüften Gästen, die ins Innere der Moschee dürfen, erlaubt die Polizei schließlich noch weiteren 600 Geladenen, im Außenbereich des Kuppelbaus eine Live-Übertragung zu verfolgen. Als Erdogan am späten Nachmittag eintrifft, haben sich die Demonstrationen gegen seinen Besuch schon weitgehend aufgelöst. 

Angst unter Exil-Türken vor Erdogans Geheimdienst

Die größte Kundgebung gibt es zur Mittagszeit. Bis zu 7.000 Teilnehmer hatten kurdische und deutsche Linke dazu erwartet. Gekommen sind nur rund 1.000. Die alevitische Gemeinde darf auf dem Ebertplatz demonstrieren und damit etwas näher an die Moschee heran. Doch dort ist der Zuspruch noch geringer. Zwischen 200 und 600 sind gekommen. 3.000 waren erwartet worden. Hinter vorgehaltener Hand berichten Kurden wie Aleviten, daß sie eigentlich mehr Unterstützer mobilisieren könnten. Viele Landsleute hätten jedoch Angst, daß Fotos von ihnen beim türkischen Geheimdienst landen und sie Probleme bei der nächsten Türkeireise bekommen. Auch die Angst vor den teils fanatischen Anhängern Erdogans erscheint nicht ganz unbegründet. Anwohner des Moscheebaus hängen am Vormittag ein Transparent aus einem Fenster im dritten Stock: „Für Meinungsfreiheit und Demokratie – Erdogan not welcome“. Ein wütender Mob stürmt daraufhin auf das Haus zu, versucht das Transparent mit einer Fahnenstange herunterzureißen. Der WDR berichtet gar von einem Mann, der mit einem Messer auf den Hauseingang zugestürmt sei. Schließlich holen die Hausbewohner das Transparent selber wieder ein. Mit deutschen Reportern wollen die meisten in der ausdauernd „Recep – Tayyip – Erdogan“ und „Türkiye, Türkiye“ skandierenden Menge lieber nicht sprechen. Allerdings recken viele gut gelaunt ihre Hände wahlweise zum Rabia-Gruß der Muslimbrüder oder zum Wolfsgruß der Grauen Wölfe in die Kameras. 

Später werden die Parolen martialischer: „Wir sind das Militär, gleich kommt unser Führer!“ Vier junge Männer tragen ihre Sympathie für die extremistischen Grauen Wölfe offen an ihren Jacken zur Schau. „Wir wollen zeigen, daß die Türken in Deutschland stark sind“, ruft jemand aus der Menge. „Das ist nicht nur eine Botschaft an Erdogan, sondern auch an Deutschland.“