© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 41/18 / 05. Oktober 2018

Instrument interner Terrorabwehr
US-Special Forces in West-Berlin: Geheime Missionen während des „Kalten Krieges“
Jürgen W. Schmidt

Während des „Kalten Krieges“ war von 1956 bis 1990 eine kompaniestarke Einheit der amerikanischen „Special Forces“ (SF) im damaligen West-Berlin stationiert. Der Einheit gehörten viele deutschstämmige oder aus Osteuropa gebürtige Soldaten an. Deren nützliche Sprachkenntnisse dienten der Erfüllung mannigfacher Aufgaben, welche die insgesamt sechs bis zu einem Dutzend Mann starken Einsatzteams in einem künftigen Krieg zu erfüllen gehabt hätten. 

Vier der Teams sollten bei oder sogar noch knapp vor einem Kriegsausbruch die Berliner Mauer in Richtung Osten überwinden und alsdann durch Sabotageoperationen an Eisenbahnen, Brücken und Schleusen den militärischen Aufmarsch des Warschauer Paktes zu verzögern suchen. Zum Einsickern in den Osten hatten dabei ausgekundschaftete ehemalige U-Bahntunnel, Teile der alten Berliner Kanalisation sowie aufgeklärte geheime „Grenzschleusen“ des MfS in der Berliner Mauer zu dienen. Möglicherweise wäre es hier zu einem sehr unliebsamen Aufeinandertreffen mit MfS-Einheiten gekommen, denn auf denselben Wegen und höchstwahrscheinlich auch zur selben Zeit hätten diese nach West-Berlin einsickern sollen. 

Zwei Teams der SF hätten planmäßig in Berlin verbleiben und als Kader für „Stadtpartisanen“ den Verteidigungskampf der drei alliierten Berlinbrigaden der US-Amerikaner, Briten und Franzosen unterstützen sollen. Im Laufe der Jahre und entsprechend den aktuellen Erfordernissen häuften die SF und ihre vielseitig verwendbaren Teams immer neue Aufgaben an. Sie erhielten neben der bei den SF üblichen Fallschirm-, Gebirgs- und Tauchausbildung eine Basisausbildung in Spionageabwehr. Dadurch konnten sie bei Notwendigkeit „Amtshilfe“ bei der Beschattung vermeintlicher Ostagenten und verdächtiger Flüchtlinge aus der DDR leisten. 

Selbst der West-Berliner Polizei konnte auf Anforderung Hilfe bei der Beobachtung und Verhaftung gefährlicher Verbrecher wie internationaler Rauschgiftschmugglerbanden geleistet werden. Noch wichtiger waren die ab Anfang der siebziger Jahre neben der rein militärischen Aufgabenerfüllung den Berliner SF zuwachsenden Aufgaben bei der Terrorismusabwehr und Terrorismusbekämpfung. In enger Zusammenarbeit mit dem britischen MI5 und SAS und der deutschen GSG 9 wurden die Berliner SF zur Terrorabwehr ausgebildet und mit der nötigen Ausrüstung versehen, um notfalls weltweit bei der Erstürmung von Flugzeugen und sonstigen Geiselbefreiungsaktionen zum Einsatz zu kommen. Besonders aufschlußreich ist das streckenweise von amtlichen US-Stellen zensierte Buch des einstigen Berliner SF-Offiziers und nachmaligen CIA-Angehörigen James Stejskal in jenem Kapitel, welches die Aufklärungsmission von Angehörigen der Berliner SF im damaligen Teheran beschreibt, die der später schmählich gescheiteter Geiselbefreiungsaktion „Eagle Claw“ im April 1980 im Iran voranging. 

Vorschläge, Sowjets an der Grenze zu erschießen

Trotz der zensierten Stellen ist aus dem Buch deutlich zu ersehen, warum dieser perfekt vorbereitete Geiselbefreiungsversuch scheiterte: viele Köche verdarben den Brei. Wie nahe selbst noch in der achtzigiger Jahren der unverhoffte Übergang vom „Kalten Krieg“ zu einem echten Krieg lag, verdeutlichen zwei Bemerkungen von Stejskal in seiner Geschichte der SF in Berlin. Als eine libysche Bombe in der von US-amerikanischen Soldaten frequentierten Diskothek „La Belle“ detonierte, schlugen die Berliner SF in einer Eigeninitiative vor, aus Ost-Berlin einen libyschen Diplomaten in den Westen zu entführen, was sicherlich nicht ohne Gegenwehr bewaffneter Kräfte der DDR abgegangen wäre. Ähnlich abenteuerlich waren ernst gemeinte Vorschlage der Berliner SF, aus Rache für einen beim Eindringen in ein sowjetisches Panzerdepot auf dem Boden der DDR erschossenen Major der amerikanischen Militärverbindungsmission im Gegenzug zwei Sowjetoffiziere auf DDR-Boden von West-Berlin aus „abzuschießen“. 

Das bei den SF indessen trotz der knallharten Ausbildung nicht alles Gold war, was glänzte, zeigen die relativ guten Aufklärungsergebnisse von Mielkes Staatssicherheit über die Berliner SF. Aus Tarnungsgründen wurde deshalb das bis dahin bestehende SF-Detachment „A“, dessen Mitglieder häufig in Zivil agierten und zeitbedingt deshalb auch lange Haare trugen, aufgelöst und 1984 durch eine Neugründung ersetzt, welche offiziell als US-amerikanische Militärpolizeieinheit agierte.

James Stejskal: US-Spezialkräfte in Berlin. Detachment „A“ und „PSSE-B“ – Geheime Einsätze im Kalten Krieg (1956–1990). Verlag Dr. Köster, Berlin 2018, gebunden, 345 Seiten, Abbildungen, 29,95 Euro