© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 41/18 / 05. Oktober 2018

Die soziale AfD ist nicht mehr als ein Phantom
Einwürfe von linksaußen: Volker Weiß hält die Rechte für unfähig zu wahrer Kritik am Kapitalismus
Wolfgang Müller

Einer in „sozialpolitischer Hinsicht progressiv aufgestellten Partei“ könnte es zunächst in den östlichen Bundesländern schon sehr bald gelingen, die SPD und die Linkspartei nahezu bedeutungslos zu machen und sie auch bundespolitisch merklich zu schwächen. So lautet die Quintessenz einer unter dem Titel „Wer die Rechte bekämpfen will, muß ihr Denken kennen“ im neomarxistischen Theorieorgan Das Argument (325/2018) veröffentlichten Warnung des Politologen Thomas Wagner.

Eine Maxime, der Wagner selbst gehorchte, als er zu Erkundungen im rechten Lager aufbrach, deren Resultat er 2017 in einem vielbesprochenen Buch („Die Angstmacher. 1968 und die Neuen Rechten“) vorlegte. Bei linken Gesinnungsfreunden kam soviel unvoreingenommene Neugier indes weniger gut an. Wagner, so kritisierte Richard Gebhardt, sei bei seinen Gesprächen mitunter der „Faszination für seinen Gegenstand“ erlegen (Das Argument 324/2017). Volker Weiß, 2012 mit einer Moeller-van-den-Bruck-Biographie auf den Plan getreten, die in den 50 Jahre alten Schablonen Kurt Sontheimers über „antidemokratisches Denken“ nach 1918 hängenblieb, setzt nun nach, um jeder „Mythenbildung“ einen Riegel vorzuschieben, zu der Wagner sowie viele „schlecht informierte Publizisten“ mit Veröffentlichungen über den Verleger Götz Kubitschek aus Schnellroda in Sachsen-Anhalt beigetragen hätten (Das Argument, 327/2018). 

Den protektionistischen Nationalstaat aufwerten

Gegen ihre eigenen Intentionen würden Linke, die nicht über sondern mit Rechten redeten, nicht nur deren Selbstdarstellung verstärken, sondern auch neurechte Politikinhalte aufwerten. Statt so ständig neues Wasser auf die Mühle von Schnellroda zu lenken, sollte sich linke Intelligenz besser bemühen, ihr das Wasser abzustellen. Was keinen großen Aufwand erfordere, wie Weiß am Beispiel des Kubitschek-Mitarbeiters Benedikt Kaiser und dessen Konzept einer antikapitalistischen „rechten Sozialpolitik“ demonstrieren möchte.

Bei Wagner figuriere der dem AfD-Parteiflügel um Björn Höcke nahestehende Kaiser als Kronzeuge seines Plädoyers, einer gegen den globalisierten Neoliberalismus aufgestellten Rechten dürfe man nicht „jeden progressiven Gehalt bestreiten“. Exakt darum geht es aber Volker Weiß, der weder Wagners Warnung vor der AfD als künftiger Volkspartei der „sozialen Menschenrechte“ noch gar dessen Einschätzung folgen will, ihre Vordenker könnten nach dem linken Muster von 1968 gegen das „liberale Establishment“ eine Kulturrevolution von rechts anzetteln. 

Von all den journalistisch befeuerten „Mythen“ um die Neue Rechte sei der einer „APO von rechts“ noch am leichtesten zu durchschauen. Verfüge die Rechte doch über eigene Traditionen, die weit hinter 1968 bis zum Theoriekanon der „Konservativen Revolution“ in den 1920ern zurückführten und die auf den Ideenklau bei Dutschke & Co. gar nicht angewiesen seien. Um eine von den Medien aufgeblasene „neurechte Geburtsstunde 1968“ müsse sich die Linke, wie auch Wagner inzwischen einräume, in der metapolitischen Auseinandersetzung also nicht weiter scheren.

Nicht anders sehe es mit genuin rechter, Carl Schmitt näher als Lenin stehender Sozial- und Kapitalismuskritik aus. Der seit der rot-grünen Koalition Schröder/Fischer angeblich rasant geschwundene linke Widerstand gegen den Neoliberalismus und seine Vollstrecker in Berlin und Brüssel sei nichts als eine weitere Fama der Rechten, wie Weiß kraß kontrafaktisch behauptet. Und soweit sie auf dieses vermeintlich geräumte Terrain vorstießen, böten sie mit Vorstellungen zur Zerschlagung der EU und zur nationalstaatlichen Reorganisation Europas keine wirklich „progressive“ Alternative. 

Überdies sei die von Höcke und Kaiser propagierte „soziale AfD“ bisher nur ein „Phantom“. Denn mehr ließen die Binnenwidersprüche der Partei mit so neoliberalen Führungsfiguren wie Jörg Meuthen und Alice Weidel, die den freien Markt als Instrument darwinistischer Selektion begreifen, gar nicht zu. 

Doch selbst wenn die von Höckes national-sozialem Flügel und Stichwortgebern wie Kaiser betriebene „Aufwertung des protektionistischen Nationalstaates“ in der AfD an Attraktivität gewönne, käme dabei nicht mehr heraus als „reaktionärer Antikapitalismus“, der sich mittlerweile als „globaler Antisemitismus“ artikuliere. Bei Weiß, der seine One-World-Lektion brav gelernt hat, läuft also rechter Widerstand gegen den neoliberalen Universalismus und der Kampf für die sozial fundierte Restitution des Nationalstaates wie gewohnt auf Auschwitz zu. 

Zugleich signalisiert seine verschwiemelte Rhetorik, daß der clownesk die Antisemitismus-Keule schwingende Weiß weder eine linke, „materialistische Liberalismuskritik“ noch „neue Formen des Internationalismus“ zu erkennen vermag, in denen die erhoffte „linke Mobilisierung“ gegen den globalisierten Finanzkapitalismus stattfinden könnte.