© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 41/18 / 05. Oktober 2018

Der ewige Kampf ums Geld
Die Geschwisterbriefe Hans Falladas offenbaren die alltäglichen Sorgen in politisch schwieriger Zeit
Wulf-Hinrich Möller

Hans Fallada, eigentlich Rudolf Ditzen, gehört zu den produktivsten Schriftstellern seiner Zeit. Die vorliegenden, im Aufbau Verlag erschienenen „Geschwister-Briefe“ sind erst in diesem Jahrhundert von seinem jüngsten Sohn Achim Ditzen zusammengestellt worden. Es sind eindrucksvolle Zeugnisse eines Schriftstellerlebens und zugleich Einblicke in eine bewegte Epoche deutscher Geschichte.

Der Leser wird mitgenommen auf eine biographische Reise in Phasen der Kaiserzeit, der Weimarer Republik und der NS- und Kriegszeit bis 1945. Rudolf Ditzen führt uns in seinem ersten Brief an seine Lieblingsschwester Elisabeth vier Tage vor Weihnachten 1928 in seine soziale Welt: „Ich bitte Euch zu diesem Weihnachtsfest, wenn auch noch nicht zu vergeben und zu vergessen, mir doch noch ein letztes Mal eine Möglichkeit zu geben“, so schreibt Hans Fallada. Und zu diesem Zeitpunkt hat der 35jährige die ersten Katastrophen seines Lebens bereits hinter sich: Mit seinem Freund Hanns Dietrich von Necker beschloß er 1911 einen Doppelsuizid, bei dem Schußwechsel starb von Necker, Fallada überlebte schwerverletzt. Zur Finanzierung seines Morphin- und Alkoholkonsums beging er Unterschlagungen, Haftstrafen wegen Betrugs waren die Folgen. So landet er im Gefängnis von Neumünster, zuletzt für zwei Jahre.

Als er danach als Anzeigenwerber und Lokalreporter beim Generalanzeiger langsam wieder auf die Füße kommt, beginnt der Briefwechsel mit Ibeth und der jüngeren Schwester Margarete. Und schon Anfang der 1930er Jahre begann für Hans Fallada der schriftstellerische Erfolg. Sein Roman „Bauern, Bonzen und Bomben“ beschrieb die Kleinstadtpolitik und Landvolkbewegung am Beispiel Neumünsters und iher ländlichen Umgebung. In den Briefen wird häufig süffisant von „BBB“ gesprochen.

Bis kurz vor seinem Tode 1947 reißt der Kontakt zu den Schwestern nicht ab, und über tausend Briefe sind im Hans-Fallada-Archiv Carwitz gesammelt. Etwa ein Drittel davon hat sein jüngster Sohn Achim Ditzen nun für den Band sorgsam ausgewählt. Und es sind die Alltäglichkeiten, die in allen Briefen im Vordergrund stehen. Die Frage nach neuen Aufträgen, der ewige Kampf ums Geld, von Steuerschulden ist die Rede und Unterstützung von Familienangehörigen, es geht um Kontakte zu Verlegern wie Rowohlt, der nicht immer geneigt war, für Fallada etwas zu tun.

Lange Zeit hat Rudolf Ditzen Abstand zu seinen Verwandten gesucht. Am Ende des Jahres 1928 ist es ihm nicht nur gelungen, sein Leben in neue Bahnen zu lenken. Auch mit der Familie sucht er einen Neuanfang, und der wird ihm nicht verwehrt. Und selbst das Zentralgefängnis in Neumünster erscheint in einem guten Licht, wenn der Gefängnisdirektor dem Protagonisten mit einem Ratschlag „auf die Beine hilft“. Der Holsteinische Courier, früher der Generalanzeiger verhilft ihm zu einer Stellung als Annoncenwerber.

In einem weiteren Brief an Elisabeth hören wir von einer Schlafmittelvergiftung und „wären Suse und Rowohlt nicht so wahnsinnig energisch gewesen und hätten mich in die Charite ge-bracht, so wäre es nichts mehr mit mir geworden…“

Dann ist von einer Reise nach Berlin im Schlafwagen die Rede und vom Verlust seiner Ausweispapiere und von einer Reichskulturkammer, der er Auskünfte zu liefern habe. Alles Banalitäten des Alltags, wie wir sie kennen. Geburtstagsgrüße und -pakete stehen in einem weiteren Brief seiner Schwester im Vordergrund und ein klein wenig Verzweiflung schimmert durch im folgenden Dialog: Woran liegt es nur bei mir, Mutti? Fragt er. Du weißt es ja am besten, ich bin wohl schwach, aber nicht schlecht, nie schlecht.“

Ein Brief an die Geschwister liest sich so: „Übrigens: Auffüllung des Familienarchivs ist nicht: wir müssen irrsinnig sparen. Vorgestern war mein Steuerberater hier, ich werde 1935 zirka 30.000 RM Steuern bezahlen müssen, Habe nicht die geringsten Reserven und im Januar ganze 1.300 RM eingenommen! (Es läßt sich nicht verheimlichen, daß die Propaganda gegen mich zu wirken beginnt, die Geschäfte werden flau.) Ich werde es aber schon – notfalls mit einem Pump – schaffen. Mein Steuerfritze hat mich hoch und heilig beschworen, doch nie wieder so viel Geld zu verdienen…“

So erzählen auch die Schreiben an die Schwestern anschaulich von den großen und kleinen Sorgen des Schriftstellers. Von seiner geliebten Frau Suse und den drei Kindern, vom Geld und von dem Hof im mecklenburgischen Carwitz, der mit selbstgeschlachteten Schweinen auch in schlimmstern Kriegszeiten „die halbe Verwandtschaft über Wasser hält“.

Und natürlich gehören die Schwestern immer zu den ersten, die neue Manuskripte geschickt bekommen. Und so ganz nebenbei schreibt der Autor von einem „kleinen Nervenkollaps“, von Depressionen, die ohne Ursach kommen und gehen. In Wirklichkeit soll Fallada nach fast jedem Roman einen schweren seelischen Zusammenbruch durchlebt haben.

Auffallend ist auch dieses: Von Politik ist in den meisten Briefen keine Rede, lediglich folgende Zeilen machen eine Ausnahme, wenn es heißt: „Was denkt sich nun diese Jugend (H.J. und B.d.M.) von der Zukunft?“ Dann wiederum steht die Familie im Vordergrund, wenn es heißt: „Ich sitze hier den letzten Abend bei den Eltern, u. wir hören das Meisterkonzert , heute Brahms. Für die Eltern ist das Radio doch herrlich (...) Laßt es Euch gut gehen.“ (Brief an Rudolf und Suse). In Niederschönhausen starb Hans Fallada am 5. Februar 1947. Auf Betreiben von Anna Ditzen erfolgte erst 1981 die Umbettung vom Friedhof Pankow III auf den alten Friedhof von Carwitz.

Achim Ditzen (Hrsg.): Hans Fallada: Ohne Euch wäre ich aufgesessen. Geschwisterbriefe. Aufbau Verlag, Berlin 2018, gebunden, 473 Seiten, Abbildungen, 26 Euro