© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 42/18 / 12. Oktober 2018

Grüße aus Rhodos
Von niedlich zu ratlos
Thomas Fasbender

Saisonabspann im Ostmittelmeer. Noch landet alle zehn Minuten ein Urlaubsflieger, noch ist Leben auf der Uferpromenade. Die Denkfabrik „Dialog der Zivilisationen“ hat zum Nachdenken über die multilaterale Welt eingeladen. Das Wort deutet an, daß nicht nur der Westen am Tisch sitzt und über die Zukunft befindet. In der Tat, alle Hautfarben sind vertreten, im Publikum und auf den Podien. Aus Deutschland ist Joschka Fischer gekommen; er fordert mehr Vertrauen in die europäische und transatlantische Zukunft. „Die Donald Trumps kommen und gehen“, ruft er in den Saal. Die politische Klasse der USA halte den Europäern die Treue.

Den Rest der Welt beeindrucken die innerwestlichen Befindlichkeiten nicht sonderlich. China arbeitet eifrig daran, sich mit Eurasien zu verzahnen, ohne den USA zu sehr auf die Füße zu treten. Lateinamerika sucht weiter nach Wegen, seine verlorene Dynamik wiederzufinden. Und vor der europäischen Haustür liegt der riesige Kontinent Afrika, dreimal größer als ganz Europa von Lissabon bis Wladiwostok. Dessen Problem ist sein ungeheures Bevölkerungswachstum. Eintausend Millionen zusätzliche Afrikaner werden bis 2050 geboren werden. Stellte Afrika noch 1930 nur 7,5 Prozent der Weltbevölkerung, werden es im Jahr 2100 bereits 40 Prozent sein. Von allen Menschen, die in achtzig Jahren jünger sind als 15, werden 60 Prozent südlich der Sahara leben.

Auf dem Eiland Rhodos lehrt uns die Vergangenheit plötzlich das Fürchten.

Afrika wird außerstande sein, im nötigen Ausmaß neue Infrastruktur, Agrarressourcen und Arbeitsplätze bereitzustellen. Das Thema steht bei der Konferenz auf Rhodos wie der sprichwörtliche Elefant im Raum. Es ist das Damoklesschwert über unserer Zukunft. Der hochtrabende Begriff Multilateralismus klingt plötzlich wie die Niedlichkeitsform von Ratlosigkeit.

Zwei Kreuzfahrtschiffe ankern vor der Mole; chinesische Reisegruppen eilen hochgehaltenen Fähnchen hinterher. Jenseits der schmalen Wasserstraße ragt die türkische Küste in den Dunst. Afrika liegt hinter dem Horizont. Im historischen Museum sind Artefakte und Knochen aus der bronzezeitlichen Mykene-Kultur ausgestellt. Was waren die Gründe für den Kollaps vor 3.200 Jahren? Klimaveränderungen und Dürren? Woher stammten die „Seevölker“, von denen die ägyptischen Quellen berichten? Eine ganze Weltordnung, globalisiert und vernetzt, verschwand in weniger als hundert Jahren. Auf Rhodos lehrt uns die Vergangenheit das Fürchten.