© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 42/18 / 12. Oktober 2018

„Mit Frau Le Pen haben wir nichts zu tun“
Kanada: Nach dem unerwarteten Sieg der Nationalisten im französischsprachigen Bundesstaat Québec probt die Linke den Aufstand
Friedrich-Thorsten Müller

Nicht einmal sieben Jahre ist es her, daß die Coalition Avenir Québec (CAQ, Koalition Zukunft Québec) gegründet wurde. Damals, am 14. November 2011, führten die beiden erfolgreichen Unternehmer François Legault und Charles Sirois eine von ihnen geschaffene Bürgerbewegung in eine neue Partei über. Diese hatte das Ziel, in Kanadas einziger französischsprachiger Provinz Quebéc, die Nationalisten aus der Sackgasse staatlicher Unabhängigkeitsbestrebungen zu führen.

Legault, selbst zuvor Mitglied und Minister der Separatistenpartei „Parti Québécois“, und seine Mitstreiter suchten nach Wegen, die Identität Québecs als französischsprachige Provinz „inmitten von Hunderten Millionen Englischsprachigen“ auch ohne Eigenstaatlichkeit dauerhaft zu sichern. 

Unabhängigkeitsreferendum zu den Akten gelegt

Nach zwei verlorenen Unabhängigkeitsreferenden, von denen das letzte 1995 denkbar knapp mit 49,4 Prozent Ja-Stimmen scheiterte, hatte er sich, wie die meisten Québecer, mit der dauerhaften Zugehörigkeit der Provinz zu Kanada abgefunden. Denn nichtfranzösischsprachige Einwanderer entschieden das letzte Referendum, und es war klar, daß bei jährlich etwa 0,5 Prozent Bevölkerungswachstum durch Migration, dies für mögliche zukünftige Referenden noch viel mehr gelten würde. 

Der 61jährige Legault schrieb seiner neuen nationalistischen Partei CAQ darum ins Parteiprogramm, keine weiteren Unabhängigkeitsreferenden mehr zu organisieren und sich stattdessen auf die Stärkung der „französischsprachigen Nation“ innerhalb Kanadas zu konzentrieren. Mit diesem Schachzug waren die Québecer Nationalisten plötzlich wieder mehrheitsfähig.

Tatsächlich konnte die CAQ bei den Wahlen zur Québecer Nationalversammlung am 1. Oktober nun die PLQ (Liberale Partei Québecs), die mit eineinhalbjähriger Unterbrechung seit 2003 regierte, verdrängen. Dank dem Mehrheitswahlrecht erreichte die Partei mit 37,4 Prozent der Stimmen die absolute Mehrheit mit 74 von 125 Sitzen. Parteichef Legault ist damit designierter Premier von Kanadas flächenmäßig größter Provinz, der mit 8,4 Millionen Einwohnern und 23 Prozent Bevölkerungsanteil in Kanada nach Ontario an zweiter Stelle steht. Die seit 1970 abwechselnd mit dem Parti Québecois (PQ) regierenden Liberalen landeten abgeschlagen bei 24,8 und die Separatisten des PQ selbst bei 17,1 Prozent.

Bereits am Sonntag nach der Wahl kam es in Québecs größter Stadt Montreal, zu einer Demonstration mit mehreren tausend Teilnehmern. Aufgerufen zu den Protesten hatten 60 einwanderungsfreundliche linke Organisationen, Gewerkschaften, aber auch Unternehmen, die eine deutliche Verschlechterung der Situation von Migranten befürchten,und die CAQ des Rassismus bezichtigen. 

In der Tat hat die CAQ angekündigt, bei gleichen zur Integration bereitgestellten finanziellen Mitteln die jährliche Einwanderungsquote von 52.000 auf 40.000 Neubürger zu senken. Dadurch soll die „Französisierung“ der Einwanderer besser gewährleistet werden. Auch soll diese Assimilation in Zukunft nach drei Jahren durch Tests der Kenntnis von französischer Sprache und „Québecer Werten“ überprüft werden, wobei im Zweifelsfall der Verlust des Aufenthaltsstatus im Raum steht. Dafür benötigt die neue Québecer Regionalregierung allerdings die Zustimmung des landesweit populären, multikulti-begeisterten  kanadischen Premierministers Justin Trudeau, was schwierig werden dürfte.

Doch auch die CAQ sucht bereits vor der Übernahme der Regierungsgeschäfte die Konfrontation mit dem politischen Gegner: Geneviève Guilbault, wiedergewählte Abgeordnete und „Übergangssprecherin“ der Partei, kündigte an, das Tragen religiöser Symbole durch Lehrer oder sonstige Staatsbedienstete mit Außenwirkung verbieten zu wollen. Hauptfokus dieser Maßnahme ist die Verschleierung jedweder Form, die die CAQ im klaren Widerspruch zum „zentralen Wert“ der Gleichberechtigung von Mann und Frau sieht. 

Nicht nur konträr gegenüber dem Mainstream

Abgesehen von diesen Konfliktpunkten ist die nächsten vier Jahre allerdings mit einer pragmatischen Regierung zu rechnen. Auch wenn die internationale Presse die CAQ gerne ins populistische Lager steckt, läßt das übrige Programm der durchaus rechten, aber nicht extremen Partei wenig Konfliktpunkte mit dem Mainstream erwarten.

 Die „Caqisten“ stehen – nicht zuletzt aufgrund der gigantischen Wasserkraftreserven Québecs – uneingeschränkt hinter der Energiewende, sorgen sich um gute Ausbildung für alle und schlagen keinerlei „Law and order“-Töne an. Selbst den umstrittenen, inzwischen erlaubten Marihuanakonsum will man lediglich aus dem öffentlichen Raum verbannen und mit einer Altersgrenze von 21 Jahren versehen. Darüber hinaus trägt die Partei dem Arbeitskräftemangel im Land bei unter fünf Prozent Arbeitslosigkeit Rechnung und spricht darum arbeitgeberfreundlich nur von einer 20prozentigen Reduzierung der Einwanderungszahlen, dafür im Gegenzug aber von einer großzügigeren Anerkennung ausländischer Bildungsabschlüsse.

Die an die CAQ gerichtete Gratulation Marine Le Pens wurde entsprechend postwendend von Guillaume Simard-Leduc, dem Sprecher des zukünftigen Québecer Premiers, zurückgewiesen: „Wir haben mit Frau Le Pen, ihrer politischen Gruppierung und ihrer Sichtweise der Einwanderung nichts zu tun.“