© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 42/18 / 12. Oktober 2018

Weltethiker aus der Provinz
Unwissende Magier: Aleida und Jan Assmann erhalten den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels
Dirk Glaser

Der wie stets zum feierlichen Ausklang der Frankfurter Buchmesse vom Börsenverein verliehene Friedenspreis des Deutschen Buchhandels geht in diesem Jahr an Jan und Aleida Assmann. Eine Ehrung, die beinahe wie ein Novum erscheint, da die letzte Auszeichnung eines Ehepaares vor bald einem halben Jahrhundert erfolgte, 1970, als der heute mit 25.000 Euro dotierte Preis den Wissenschaftlern und Sozialreformern Gunnar und Alva Myrdal zufiel, den Architekten des schwedischen Wohlfahrtsstaats, des „Volksheims“, das zwischen Stockholm und Malmö soeben einstürzt unter dem Massenansturm humanitätsselig importierter Migranten aus orientalisch-afrikanischen Kulturen.

Vom langen Ende her betrachtet, haben also die Myrdals, die in den 1970ern noch selbst mithalfen, das schwedische Sozialsystem Bedürftigen aus aller Welt zu öffnen, nicht gerade im „hervorragenden Maße durch Literatur, Wissenschaft und Kunst der Verwirklichung des Friedensgedankens“ gedient, wie es das Frankfurter Stiftungsstatut fordert. Ob das Urteil bei den Assmanns dereinst günstiger ausfällt, ist mehr als zweifelhaft. Zählen doch der Ägyptologe und die Anglistin wie die Myrdals zu den politisch ahnungslosen, „unwissenden Magiern“ (Joachim Fest über die Brüder Heinrich und Thomas Mann), zu einem Intellektuellentyp, „der an universalistischen Werten orientiert ist, zu allen ‘großen Fragen der Menschheit’ Stellung nimmt und sich dabei ständig mit Emphase irrt“, wie Jean-François Lyotard kurz nach dem Tod eines seiner berühmtesten Prachtexemplare, des Diversity-Gurus Michel Foucault, unkte („Grabmal des Intellektuellen“, 1985).   

So verlassen auch mit dem „einflußreichsten Intellektuellenpaar unserer Zeit“ nicht einfach zwei „Gelehrte“ (Alexander Cammann, Die Zeit vom 4. Oktober 2018) ihren Elfenbeinturm, um kurz zum zivilreligiösen Hochamt  der moralisch Bessergestellten in der Paulskirche zu erscheinen. Dem Bild des zeitfernen Gelehrten alten Schlages kommt allenfalls der emeritierte Heidelberger Ägyptologe Jan Assmann nahe, der schon dank der Gnade seiner  frühen Geburt (1938) und der akademischen Randständigkeit seiner Disziplin dem 68er-Ungeist nicht erlag. „Generationell“ habe er ohnehin nicht dazugehört, und überdies hielten ihn Ausgrabungsexpeditionen in Oberägypten während der Studentenrebellion „zwangsläufig auf gesunden Abstand zu den Geschehnissen in deutschen Hörsälen“. Eine politische Askese, die im selben Gespräch mit Marc Reichwein (Die Welt vom 6. Oktober 2018) die 1947 geborene, seit 1968 mit dem Ägyptologen verheiratete Aleida Assmann auch für sich reklamiert, obwohl sie einräumt, ihr Studium an den Universitäten Heidelberg und Tübingen „in der heißen Phase der Studentenbewegung“ begonnen zu haben.

Aber nicht nur dieses Interview, in dem sie einmal mehr Gelegenheit nimmt, gegen das „rückwärtsgewandte Geschichtsbild der AfD“ zu polemisieren und sich darüber freut, daß die deutsche Gesellschaft „nicht mehr ethnisch homogen“ sei, offenbart, daß die Prägungen durch 1968 doch tiefer gingen. Wie zahllose Pfarrerskinder unter ihren Kommilitonen, war die Tochter des Heidelberger Neutestamentlers Günther Bornkamm qua Herkunft aus dem kulturprotestantischen Milieu entsprechend universalistisch auf Weltverbesserung und Menschheitsheil getrimmt. In der „Paardynamik“ der beiden übernahm deshalb Jan Assmann den Part des Gelehrten, seine Frau jedoch die Rolle der Ideologin.

Solo wäre ihm der Friedenspreis auch nie zugefallen. Dazu erwiesen sich Jan Assmanns Forschungen über kulturelle Identität in frühen Hochkulturen, seine an von Maurice Halbwachs inspirierten Studien über Entstehung und soziale Funktion des kollektiven Gedächtnisses, als zu wenig anschlußfähig an die Geschichtsdebatten der Ära Kohl, von der Rede Richard von Weizsäckers zum 8. Mai 1985 über den „Historikerstreit“ bis zu den Kontroversen über Holocaust-Mahnmal und Wehrmachtsausstellung. Im Gegenteil: Links galt die Hinwendung zu den neuen historiographischen Kategorien Erinnerung und Gedächtnis eher als Beitrag zu Helmut Kohls „geistig-moralischer Wende“. Der gesellschaftskritischen, auf „Emanzipation“ geeichten Geschichte als „Historische Sozialwissenschaft“ drohte mit ihnen unliebsame Konkurrenz durch eine aufklärerische Ambitionen des Faches preisgebende „Sakralisierung des Vergangenen“ (Stefan Jordan), die kodifiziere, was im kollektiven Gedächtnis zu speichern ist und die damit dem derart entmündigten Einzelnen vorgebe, was er zu erinnern und wie er zu denken habe. 

Unnötige Bauchschmerzen, die abklangen mit der Serie von Aleida Assmanns Publikationen zum Phänomen des kulturellen Gedächtnisses, primär mit ihrem Hauptwerk „Erinnerungsräume“ (1999) sowie erst recht mit ihren Interventionen zur Geschichtspolitik der Berliner Republik („Der lange Schatten der Vergangenheit“, 2006). Da die öffentliche Nachfrage nach ideeller Integration durch Erinnerung in dem Maß haussierte wie der gesellschaftliche Zusammenhalt nach der Wiedervereinigung infolge der Elitenprojekte Europa und Einwanderung erodierte, weitete sich die Arena für die Gedächtnistheorie der Assmanns, wobei sie bei der politisch instrumentalisierten Aktualisierung die Wortführerschaft übernahm.

Solange sich die geschichtspolitische Debatte im Schatten des Holocaust auf Probleme deutsch-deutscher Selbstverständigung konzentrierte, blamierte sich die unbequeme Details gern vergessende, weil ja „aufs Universelle zielende Denkerin“ (Alexander Cammann) allerdings immer wieder mit zeithistorischer Inkompetenz. Etwa mit der unkritischen Adaption der Legende vom deutschen „Sonderweg“ oder der Reproduktion ausgeleierter Geschichtsklitterungen zum angelsächsischen Bombenterror gegen deutsche Städte, der für die auf diesem Feld seltsam gedächtnisschwache Assmann am „Erinnerungsort“ Dresden nur auf Coventry antwortete und keinesfalls ein „Vernichtungskrieg“ (Jörg Friedrich) war. 

Pünktlich mit der Euro-Einführung verlagerte sich ihr Interesse auf die kulturelle Identitätskonstruktion Europas, die für sie vom „Gedächtnismittelpunkt Holocaust“ ausgehen müsse. Und spätestens seit der Grenzöffnung im September 2015, als der schon lange vom politisch-medialen Establishment betriebene Umbau Deutschlands zum Vielvölkerstaat ins Helle trat und jedem politischen Urteilsfähigen klarmachte, wohin die Reise gehen soll, kam die dritte große Herausforderung auf die meinungsstarke Memorial-Expertin zu: Was trägt die Gedächtnistheorie zur „Integration“ von Millionen Kulturfremder bei? Darauf antwortet sie seitdem ausführlich, unermüdlich gegen „Abschottung“ wetternd und für Europas „humanitäre Verpflichtung“ werbend.

Exakt mit dieser systemtreuen Agitation, nicht mit subtilen Erörterungen zu Funktions- und Speichergedächtnis, empfahl sich heuer diese Gesinnungsgenossin dem Frankfurter Stiftungsrat des Friedenspreises als ideale Kandidatin. Denn so weltanschaulich monolithisch wie dieses dem Wertepluralismus abgeneigte Gremium glänzte zuletzt nicht einmal das SED-Politbüro. Ausnahmslos sitzen dort Exponenten der Willkommenskultur und Unterstützer jenes Menschenhandels, den in acht Wochen in Marrakesch („Land Gottes“) der messianische UN-Compact for Migration institutionalisiert und als „Migrationszyklus“ zum Grundgesetz des 21. Jahrhunderts erhebt. Neben dem katholischen Theologen Karl-Josef Kuschel, der in Tübingen den „interreligiösen Dialog“ lehrte und Hans Küngs „Stiftung Weltethos“ als Vizepräsident vorsaß, gehören dem Beirat an: Stephan Detjen, Chefkorrespondent beim GEZ-Sender Deutschlandradio und 2015 „Fluchtpate“, die dänische Schriftstellerin Janne Teller, die „viel Empathie für Kriegsflüchtlinge“ aufbringt, die „gegen Abschiebung“ trommelnde Chefredakteurin Bascha Mika (früher taz, nun Frankfurter Rundschau), Philipp S. Blom, ein umstrittener Historiker und Kurator des Kreisky-Forums, sowie Ethel Matala de Mazza, eine in der „politischen Romantik“ nach Schmauchspuren des „Rassismus“ fahndende Berliner Germanistin, die die bis 2013 in Konstanz lehrende Aleida Assmann während ihrer Gastprofessur am dortigen Exzellenzcluster „Kulturelle Grundlagen der Integration“ kennenlernte.

In der Paulskirche feiern dann diese weltoffenen Weltbürger die von ihnen preisgekrönten ökumenischen Weltethiker aus der badischen Provinz: den unentwegt „allen Religionen“ ihre „humanisierenden Potenzen“ attestierenden Jan Assmann und Frau Aleida, deren um Ökonomie und Demographie, Demokratie und Souveränität europäischer Nationalstaaten unbekümmerte biologistische Expektorationen zur „Normalität“ des angeblich von Natur aus auf Mobilität angelegten Menschen („Mensch sein, heißt in Bewegung sein“) von der technokratisch-menschenfeindlichen Diktion post-humaner wie post-humanistischer UN-Umsiedlungsstrategen kaum zu unterscheiden sind. 

Wie hat man es sich doch behaglich eingerichtet im realitätsfernen Überbau des Globalismus, wo das „Prinzip Öffnung“ herrscht (nur nicht gegenüber „rechten“ Migrationskritikern), wo monatlich Ruhestandsbezüge in Höhe eines Bundeskanzlergehalts das Dasein wattieren, wo man vom Sommersitz oder dem Konstanzer Heim zu Gastvorträgen nach Yale und Princeton ausfliegt, um der globalistischen Klasse mit Frohbotschaften der One-World-Ideologie nützlich zu sein, die man, seit jeher ein Privileg des „liberalen protestantischen Bildungsbürgertums“ (Alexander Cammann), direkt über eine Standleitung zum Absoluten empfängt.

Und damit nun wirklich am 14. Oktober alles stimmt, reist der Komparatist Hans Ulrich Gumbrecht zur Laudatio an, ein echter Wirtschaftsmigrant und Anti-Deutscher, der als stolzer US-Staatsbürger im kalifornischen Stanford lehrt, wo sich für ihn „das 21. Jahrhundert ereignet“.