© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 42/18 / 12. Oktober 2018

Frisch gepresst

Jena 1800. An der Universität Jena zündete seit den 1790er Jahre der Urknall der deutschen idealistischen Philosophie in drei Stufen: Fichte – Schelling – Hegel. Bücher darüber füllen Regalkilometer. Allein für seine von 1790 bis zu Fichtes Berufung 1794 reichenden „Untersuchungen zur Vorgeschichte des Idealismus“ benötigte Dieter Henrich 1.700 Seiten („Grundlegung aus dem Ich“, 2004). Wer sich kürzer, aber nicht unwissenschaftlicher über das Walten des Weltgeistes an der Saale informieren will, greift zu den Büchern des US-Germanisten Theodore Ziolkowski (Princeton), die das „Wunderjahr in Jena 1794/95“ (1998) und die dort auftauchenden frühromantischen „Vorboten der Moderne“ (2006) mit dem didaktischen Geschick präsentieren, das manchen angelsächsischen Professoren im Blut liegt. Deutschen eher nicht, wie Peter Neumanns romanhafter Essay zeigt, der sich Schelling und seinem Umkreis zuwendet, den Schlegels und deren Frauen sowie dem die blaue Blume suchenden Poeten Novalis. Zur bildungsbeflissenen wilhelminischen Zeit wäre diese naive Darstellung einer, wie es in der Verlagswerbung verkürzend heißt, „Sternstunde des Geistes“ mit dem Untertitel erschienen: „Der reiferen Jugend erzählt“. (ob)

Peter Neumann: Jena 1800. Die Republik der freien Geister. Siedler Verlag, München 2018, gebunden, 256 Seiten, Abbildungen, 22 Euro





Ostland. Inwieweit war der europäische Osten jenseits der deutschen Reichsgrenzen an Memel und Warthe ein „Sehnsuchtsort kolonialer Phantasien“; und zwar außerhalb der kleinen Clique von Alldeutschen, die schon zu Kaisers Zeiten die Abwanderung aus den preußischen Ostprovinzen mit Schrecken erfüllte? In seiner Dissertation versucht Christoph Kiene-mann (Oldenburg) diesen frühen Generalplan Ost zu entlarven. Begleitet von modischer „Stereotypenforschung“ und Foucaultscher Diskursanalyse kann er jedoch in den Kernkapiteln wenig Erhellendes zu dieser Frage beitragen. So käut er episch die höchst einseitigen Ober-Ost-Deutungen des US-Historikers Gabriel Liulevicius von 2002 wieder oder paraphrasiert aus Fritz Fischers noch angestaubteren „Griff nach der Weltmacht“-Thesen. Für seine Perspektivdeutung für die Zeit nach 1918 läßt er dagegen den Fundus weit wirkmächtigerer Ostland-Phantasien („Baltikumer“ et al.) unangetastet in den Archiven stehen. (bä)

Christoph Kienemann: Der kolonia-le Blick gen Osten. Osteuropa im Diskurs des Deutschen Kaiserreiches von 1871, Ferdinand Schöningh Verlag, Paderborn 2018, gebunden, 310 Seiten, 69 Euro