© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 42/18 / 12. Oktober 2018

Aufbau Ossi
Erinnern, Wiederholen, Schuld delegieren: Der regressive Aufruf von Petra Köpping zur notwendigen Integration der politisch unmündigen Ostdeutschen
Christian Dorn

Wer den aktuellen Wortmeldungen im politischen und medialen Diskurs Glauben schenkt, für den muß der aktuelle Bestseller der 1958 geborenen Petra Köpping als Offenbarung erscheinen. Dabei nimmt die Autorin, die bis Sommer 1989 eine lupenreine SED-Karriere verfolgte, 2002 in die SPD eintrat und seit 2014 Sächsische Staatsministerin für Gleichstellung und Integration ist, für sich die Rolle des zum Paulus gewandelten Saulus in Anspruch. Aus ihrer Sicht erschiene es nur folgerichtig, wenn – etwa beim jüngsten Integrationsgipfel im Kanzleramt – die Ostdeutschen mit den Migranten und „Flüchtlingen“ gleichgestellt würden. 

Die Umdeutung des Einheitsfeiertages 3. Oktober als „Tag der deutschen Vielfalt“ läßt hier grüßen. Dieser Gedanke läuft letztlich auf eine „Ausbürgerung“ der ehemaligen DDR-Bürger hinaus und auf eine wohl unfreiwillige Bestätigung des Schriftstellers Wolfgang Hilbig, der die Art und Weise der Wiedervereinigung drastisch als „Unzucht mit Abhängigen“ beschrieben und gemeint hatte, daß erst der Beitritt zur Bundesrepublik „uns zu den DDR-Bürgern hat werden lassen, die wir nie gewesen sind, jedenfalls nicht, solange wir dazu gezwungen waren“.

Die von der Autorin geforderte „Emanzipation“ entpuppt sich obdessen als Rohrkrepierer. Doch grotesk ist bereits der Buchtitel selbst. So hat Köpping die empörte wie gewitzte Antwort eines Dresdner Demonstranten, mit dem sie das Gespräch suchte, flugs zum ernstgemeinten Leitspruch ihrer eigenen Agenda gemacht: „Integriert doch erst mal uns!“ Unversehens perpetuiert sie damit das vom Psychoanalytiker Hans-Joachim Maaz in dessen Buch „Die narzißtische Gesellschaft“ (JF 42/12) entworfene Psychogramm, dem zufolge der westliche Phänotyp des Größenselbst (Gernegroß) des östlichen Pendants des Größenklein bedürfe. So gesehen wird mit Köppings Aufruf die Regression der Ostdeutschen zum Programm. Vor allem aber betreibt die Autorin Legendenbildung. Grundlage dafür ist die so wortreich wie redundant vorgetragene Klage über das vermeintliche Trauma durch die Treuhand-Politik. Flächendeckend, so der Vorwurf, seien ganze Lebensbiographien entwertet worden und habe sich der Westen kollektiv der unliebsamen Konkurrenz aus dem Osten entledigt, gedeckt durch die „marktradikale Politik“ und die „national-liberale Agenda“ der CDU/FDP-Regierung.

Diese Verschwörungstheorie knüpft nahtlos an die PDS-Propaganda der neunziger Jahre an, deren verhängnisvolle Agitation die Autorin wohlweislich ausspart. Zudem macht sie bei ihrer Bestandsaufnahme keinen Unterschied zwischen Motiv und Ergebnis. Denn die politischen Vorgaben waren alles andere als „marktradikal“, was nämlich bedeutet hätte, die Betriebe zum höchstmöglichen Preis zu veräußern. Tatsächlich waren die politischen Prämissen für die Treuhand andere: Erstens sollte so schnell wie möglich privatisiert werden, zweitens mußten möglichst viele Arbeitsplätze erhalten bleiben, drittens bestand ein hohes Maß an Investitions-Verpflichtung für den Käufer. Bezeichnenderweise übergeht Köpping diesen Aspekt vollständig. Aufgrund des offenkundigen Risikos waren die Veräußerungspreise daher oft nur symbolischer Natur. Die Autorin suggeriert dagegen eine Verscherbelung des Volksvermögens zur schnellstmöglichen Liquidation. Entsprechend obszön und wahrlich linkspopulistisch erscheint in dieser Litanei das Fazit von einem „enormen Vermögenstransfer von Ost- nach Westdeutschland“.

Petra Köpping: Integriert doch erst mal uns! Eine Streitschrift für den Osten. Ch. Links Verlag, Berlin 2018, broschiert, 208 Seiten, 18 Euro