© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 43/18 / 19. Oktober 2018

Bayern bebt
Die Wahl im Freistaat trifft die Große Koalition schwer: Die CSU verliert in alle Richtungen
Dieter Stein

Wie lebendig doch die Demokratie ist! Die erfreulichste Nachricht vom bayerischen Urnengang: Mit 72,4 Prozent hat es seit 1982 bei einer Landtagswahl im Freistaat nicht mehr eine so hohe Wahlbeteiligung gegeben. Der Tiefpunkt wurde 2003 mit 57,1 Prozent gemessen. Der starke Anstieg ist ein Zeichen dafür, daß viele bisherige Nichtwähler mit einem lebhaften Wettbewerb mobilisiert wurden.

Schwer ist der Schlag bei den Landtagswahlen gegen die beiden im Bund in einer Großen Koalition aneinandergeketteten Parteien CSU und SPD: Zusammen verloren sie volle 21 Prozentpunkte. Die Sozialdemokraten erreichten mit 9,7 Prozent (2013: 20,6 Prozent) sogar ihr historisch schlechtestes Wahlergebnis bei einer Landtagswahl seit 1946. 

Die CSU verlor in alle Richtungen: Auf der einen Seite nach rechts an die AfD und die Freien Wähler, auf der anderen Seite nach links an die Grünen. Den einen war die CSU mit ihrer Warnung vor der „Herrschaft des Unrechts“ (Seehofer) und dem „Asyltourismus“ (Söder) zu rechts, den anderen angesichts der Inkonsequenz nach den lautstark eingeforderten Kurskorrekturen in der Asylpolitik im Streit mit der CDU-Chefin Angela Merkel im Sommer zu lasch. Das in inniger Zwietracht vereinte Duo Seehofer/Söder ließ obendrein kaum eine Gelegenheit aus, öffentlich fingerhakelnd die Uneinigkeit zu verstärken.

Die Illoyalität, mit der schon am Vorabend der Wahl der hessische Ministerpräsident Volker Bouffier („Die CSU hat die Union in der letzten Zeit viel Vertrauen gekostet“) der bayerischen Schwesterpartei die Schuld in die Schuhe schob oder mit dem CDU-Linksaußen Daniel Günther (Ministerpräsident Schleswig-Holstein) personelle Konsequenzen an der Spitze der CSU forderte – sie zeigt, zu welcher Chaostruppe die Unionsparteien mutiert sind. Und die Anzeichen verstärken sich, daß die Uhr für Angela Merkel abläuft, die in erster Linie für die Spaltung und Führungslosigkeit der Union verantwortlich ist.

Obwohl es in Bayern jetzt zu einer Regierung mit den Freien Wählern kommen wird, kristallisiert sich im restlichen Bundesgebiet das Modell Schwarz-Grün als künftige Standardkoalition der CDU heraus. Ohne die Grünen ist im Bundesrat kein Gesetz mehr durchzubringen. Auch die EU-freundliche Industrielobby freut sich deshalb offen über den Erfolg der Grünen, die ihren Stimmenanteil verdoppeln konnten – mit der Ökopartei läßt sich unterm Strich einfacher kooperieren, wenn sie in noch mehr Regierungen eingebunden ist – auch wenn es in Bayern diesmal noch nicht dazu kommt.

Die SPD stürzt ungebremst der Bedeutungslosigkeit entgegen. Geführt von einer Kaste bornierter Funktionäre, die sich schon lange von Arbeitern und Mittelschicht abgewandt hat, schaffen sie es nicht, bei der auf den Nägeln brennenden Migrationsfrage eine Wende einzuleiten. Die „Open Border“-Ideologen bestimmen hier den Kurs. Eine Sahra Wagenknecht, die bei der Linkspartei und mit ihrer „Aufstehen“-Bewegung Kritik an unkontrollierter Einwanderung artikuliert – sie fehlt in der SPD völlig. Männer wie Heinz Buschkowsky, den Ex-Parteichef Sigmar Gabriel immerhin noch zu seinen Beratern zählte, geschweige denn Thilo Sarrazin, wurden zu unerwünschten Personen. Auch deshalb zog in Bayern die AfD in ihren 15. Landtag ein – und dies auf Anhieb zweistellig (10,2 Prozent). Mit der Hessen-Wahl in einer Woche, wo ebenfalls der Einzug der AfD als sicher gilt, wird sich die Deutschland-Karte gänzlich blau gefärbt haben.

Dennoch zeigt die Bayernwahl, daß die Bäume für die AfD nicht in den Himmel wachsen. Obwohl oft gemunkelt wird, die Partei werde in Umfragen zu niedrig taxiert, blieb sie unter den Erwartungen der Meinungsforscher, die sie teilweise bei 14 Prozent gesehen hatten. Das angesichts dessen relativ schwache Abschneiden hat mehrere Gründe:

  l Die AfD bot ein äußerst widersprüchliches Bild. Infolge eines schon länger den Landesverband lähmenden Streits zwischen den unterschiedlichen Flügeln verzichtete die Partei auf einen gemeinsamen offiziellen Spitzenkandidaten. So fehlte ein markantes Gesicht, obwohl dies mit dem Oberbayer Franz Bergmüller oder der Niederbayerin Katrin Ebner-Steiner zur Verfügung gestanden hätte. 

l Der Mordfall von Chemnitz und die folgenden medial einseitigen Bilder von Protestkundgebungen, bei denen AfD-Spitzen trotz Abgrenzungsbeschlüssen des Parteivorstandes gemeinsam mit Pegida-Frontleuten demonstrierten: Sie lieferten im Verbund mit den Ankündigungen einiger Innenminister, die AfD als Prüffall vom Verfassungsschutz untersuchen zu lassen, Stoff für die These einer nach rechts kippenden Partei. Dies trieb zahlreiche Wähler zurück in die Arme von Freien Wählern und CSU.

l Eigentlich hätten die Freien Wähler sogar zu Lasten der AfD verlieren müssen, diese hatte schließlich bei der vergangenen Wahl noch nicht kandidiert. Stattdessen legten die Freien sogar um 2,6 Prozentpunkte zu und landeten mit 11,6 Prozent vor der AfD. Zusätzlich gelang noch der FDP knapp der Wiedereinzug. Beides ein deutliches Warnzeichen: Die AfD schöpft derzeit nicht das mögliche bürgerliche Protestpotential aus. Mit einer drohenden Radikalisierung im Verbund mit der Verfassungsschutzkeule könnte es dann noch enger werden.

Als Alterspräsident wird übrigens der nationalliberale Publizist Helmut Markwort (81) von der FDP den neuen Landtag eröffnen. Die freie, kontroverse Rede wird somit an Gewicht gewinnen. Nebenbei: Trotz des Erfolgs der Grünen verfügt der linke Block nur noch über 29 Prozent der Mandate. Der „Bürgerblock“ aus CSU, Freien Wählern, AfD und FDP hat 71 Prozent der Sitze. Wenn das kein Zeichen gegen schwarz-grüne Experimente ist.