© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 43/18 / 19. Oktober 2018

Für die Sondermüll-Lawine keinerlei Vorsorge getroffen
Massive Recycling-Probleme der Windbranche / Wohin mit den riesigen alten Rotorblättern und Betonsockeln?
Christoph Keller

Tausend veraltete Windräder wandern im deutschen „Windenergieland Nr. 1“ bis 2025 auf den Schrottplatz. Das ist ein Drittel des gegenwärtigen Bestandes von 2.890 Turbinen in Schleswig-Holstein. Das bis August von Grünen-Chef Robert Habeck geführte Kieler Umweltministerium hat keinerlei Vorsorge für die drohende Sondermüll-Lawine getroffen. Das ermittelte in akribischer Recherche Margret Kiosz von der Schleswig-Holsteinischen Landeszeitung.

Der von Kiosz befragte Herwart Wilms, Manager beim Recycling-Konzern Remondis, winkt jedenfalls ab. Man steige gerade aus der Kernkraft aus, bei der man nicht gewußt habe, wohin mit dem Atommüll. Nun werde in neue Technologie gefördert – aber ohne sich eine Vorstellung davon zu machen, wie mit deren Abfall klarzukommen sei. Theoretisch lassen sich die 25 Tonnen schweren und 60 Meter langen Windflügel aus Glasfaserverbundstoffen in handliche Zehn-Meter-Stücke zersägen und anschließend schreddern. Aber damit tauche gleich eine erste ökologische Hürde auf, da dies unter Zelten mit massiver Staubentwicklung stattfindet.

Es folgt die zweite Hürde: Müllverbrennungsanlagen (MVA) nehmen, „wenn überhaupt“, Rotor-Stücke nur in homöopathischen Dosen von vier Tonnen täglich ab. Begründet werde dies damit, daß der mit Harz verklebte Glasstrang bei der Verbrennung schmilzt, tropft, aushärtet und die MVA bis zur Havarie blockieren kann. Überdies entstünden giftige Gase, die aufwendig gefiltert werden müßten.

Was für jeden Kühlschrank gilt, fehlt bei der Windkraft

Hermann Albers, den Chef des Windenergieverbandes BWE, kümmern solche Widerstände nicht. Berge alter Rotorblätter könnten sich nicht auftürmen, wenn Zementwerke für die MVA in die Bresche sprängen. Ein Werk im holsteinischen Lägerdorf nutze bereits Wärmeenergie verbrannter Rotoren. Jede Tonne Rotorblätter ersetze eine halbe Tonne Steinkohle. Die zurückbleibende Asche enthalte Mengen an Silizium, die sich, anstelle von Sand, für die Produktion von Zementklinkern eigneten.

Aus Remondis-Sicht eröffnet Albers damit keine realistische Alternative. So viele Zementfabriken gebe es in Deutschland gar nicht, um künftig Massen von Rotoren-Schrott, bis 2020 jährlich mehr als 15.000, bis 2025 etwa 30.000, bis 2055 sogar 50.000 Tonnen, ökologisch angemessen zu entsorgen.

Die Industrie spielt deshalb auf Zeit und hofft, irgendwann in den nächsten dreißig Jahren fällt eine Patentlösung vom Himmel. Ähnlich unverantwortlich steckt die Politik den Kopf in den Sand. „Entsorgungsmöglichkeiten werden derzeit geprüft“, antwortete das Kieler Umweltministerium auf eine Anfrage von Kiosz. Für Remondis steht derweil fest: Die Bundesregierung habe es schlicht versäumt, eine „Ökodesign-Richtlinie“ für Windräder auf den Weg zu bringen. Was für jeden Kühlschrank gelte, die 100prozentige Wiederverwertung, fehle für die Haupttechnologie der Ener-giewende. Stattdessen werde improvisiert. Wie Altautos und Handys wandern abgebaute Anlagen zur Zweitverwertung nach Afrika oder in die Ex-Sowjetunion.

Von diesem Export ausgenommen sind Betonsockel. Bei allen 200 Windrädern, die allein in Dithmarschen seit 2012 abgebaut wurden, verblieben weite Teile des Sockels im Boden. Unter klarem Verstoß gegen das Baugesetzbuch, das seit 2004 Betreiber dazu verpflichtet, ihre Anlage komplett zurückzubauen – mitsamt der entstandenen Bodenversiegelung. Zwischen gesetzlichem Soll und alltäglichem Sein klafft eine Riesenlücke.

Schon deshalb, weil der Rückbau auf mittlerweile drei Millionen versiegelter Quadratmeter zwischen Ost- und Nordsee nur mangelhaft zu überwachen ist. Die dafür zuständigen Kreisbehörden, hat Kiosz erfahren, tun dies „sehr unterschiedlich, meist aber wohl gar nicht“. In der Regel einigen sich Windparkbetreiber, die kein Interesse daran haben, für Unsummen Tausende Tonnen Beton aus der Erde zu meißeln, mit den Grundbesitzern. Gegen eine Einmalzahlung erklärt sich das Gros der Landwirte damit einverstanden, daß nur die obere Betonschicht entfernt wird, und über den tiefer liegenden Klotz einer durchschnittlich 350 Quadratmeter messenden „unterirdischen Mülldeponie“ wächst Gras.