© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 44/18 / 26. Oktober 2018

Die Abschiebung war möglich
Terror: Nach dem Kölner Brandanschlag kommen neue Details ans Licht / Sicherheitsbehörden verhindern weiteres Attentat
Björn Harms

Im Grunde hätte man die Uhr danach stellen können. Bereits wenige Tage nach dem Brandanschlag am Kölner Hauptbahnhof (JF 43/18), bei dem Tausende Menschen nur knapp einer Katastrophe entgingen, mußten die deutschen Behörden eingestehen: Auch in diesem Fall hätte der Täter längst abgeschoben werden können. 

Demnach sei der Syrer Mohammad R. Anfang 2015 „aufgrund eines durch die tschechische Botschaft in Beirut (Libanon) ausgestellten Schengen-Visums“ in die Europäische Union eingereist, bestätigte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) gegenüber der JUNGEN FREIHEIT. Anders als von einigen Medien behauptet, lägen der Ausländerbehörde aber keine Informationen darüber vor, daß er in Tschechien einen Asylantrag gestellt habe. So sei beim Fingerabdruckdatenabgleich keine Übereinstimmung im Eurodac-System, in dem alle Asylbewerber registriert werden, gefunden worden.

Warum das Bamf die Frist verstreichen ließ, ist unklar

Über Prag sei der Mann anschließend nach Deutschland weitergereist. Gemäß Dublin-Verfahren hätte das Bamf innerhalb von drei Monaten problemlos ein Übernahmeersuchen an Tschechien richten können. Doch die Behörde ließ die Frist aus bislang ungeklärten Gründen verstreichen. Deutschland wurde für das Asylverfahren verantwortlich. 

Die genauen Einzelheiten ließen sich „nach mehr als dreieinhalb Jahren nicht mehr nachvollziehen“, räumte das Bamf gegenüber der JF ein. Auch aus der Akte ergäben sich keine Anhaltspunkte. Doch gleichzeitig hätte ein fristgerechtes Übernahmeersuchen keine sichere Abschiebung garantiert. Der Grund seien häufige „Überstellungshindernisse in der Praxis“, wie es im Beamtendeutsch heißt. Schlußendlich habe der Syrer am 12. Juni einen Flüchtlingsstatus erhalten, ausgestellt bis 2021. An der Aufenthaltsgenehmigung änderten auch seine zahlreich verübten Straftaten nichts. Insgesamt 13mal wurde R. auffällig, unter anderem wegen Betrugs, Ladendiebstahls und Hausfriedensbruchs. Doch „die Strafbarkeit führt nicht zu einer Ausreisepflicht, solange jemand als Flüchtling anerkannt ist“, heißt es von seiten der Stadt Köln. 

Die Bundesanwaltschaft wollte sich zu der Sachlage vorerst nicht äußern. Man werde den „ausländerrechtlichen Status“ des Mannes nicht kommentieren, teilte ein Sprecher mit. Die Behörde hatte in der vergangenen Woche die Ermittlungen zum Brandanschlag in Köln an sich gezogen. Es lägen „zureichende Anhaltspunkte für einen radikal-islamistischen Hintergrund der Tat vor“, hieß es zur Begründung. So habe der Syrer laut Zeugenaussagen davon gesprochen, Mitglied des Islamischen Staats (IS) zu sein. Weiterhin habe er die Freilassung einer Frau gefordert, deren Mann sich terroristisch betätigt haben soll. Unklar bleibe hingegen das Motiv des Täters, gab der Chef der Kölner Kriminalpolizei, Klaus-Stephan Becker, zu Protokoll. Nur eines scheint sicher: „Mit dem Brandanschlag wollte er möglichst viele Menschen treffen.“

Mohammad R. hatte am vergangenen Montag Benzin in einem Schnellrestaurant im Kölner Hauptbahnhof in Brand gesetzt und dadurch eine 14jährige schwer verletzt. Anschließend nahm er eine Apothekenangestellte als Geisel, übergoß sie mit Benzin und drohte, sie anzuzünden. Bei sich trug er zahlreiche Gaskatuschen, die mit Stahlkugeln präpariert waren. Ein Spezialeinsatzkommando der Polizei hatte die Geiselnahme schließlich mit sechs gezielten Schüssen beendet. Eine der Kugeln traf R. in die Stirn und blieb im Schädel stecken. Nach der erfolgten Reanimation am Tatort liegt der Syrer derzeit noch immer im Koma. Ob es überhaupt zu einer Vernehmung kommen kann, bleibt ungewiß.

Doch nicht nur der Fall Köln macht deutlich: Die Gefahr islamistischer Anschläge ist in Deutschland allgegenwärtig. Erst in der vergangenen Woche wurde öffentlich, wie es deutschen Sicherheitsbehörden gelang, nach einer mehr als einjährigen Operation einen konkreten Anschlagsplan des IS zu durchkreuzen. Ziel sei ein Musikfestival gewesen, ergaben gemeinsame Recherchen von NDR, WDR und Süddeutscher Zeitung. 

Demnach sollten drei Teams von Attentätern nach Deutschland eingeschleust werden, um die Tat vorzubereiten und auszuführen. Die Bundesanwaltschaft habe die Terrorplanungen bestätigt. „Für uns war die Faktenlage in diesem Fall sehr konkret und auch belastbar“, wird Generalbundesanwalt Peter Frank zitiert. Drahtzieher der Operation soll der Schweizer Thomas C. gewesen sein, bekannt unter seinem Kampfnamen Abu Mussab al-Almani. Bereits 2013 sei der Mann über Frankfurt am Main nach Syrien ausgereist, um sich dort dem IS anzuschließen, berichtete die Zeit. Bei der Terrororganisation habe der 1987 geborene Aargauer anschließend eine steile Karriere hingelegt. Er sei zum führenden Mitglied in der Abteilung External Operations aufgestiegen – jener Unterorganisation, die für Attentate im Ausland zuständig war und etwa die Anschläge von Paris koordinierte.

Thomas C. soll bei Kämpfen in Syrien umgekommen sein

Im Mittelpunkt der Planungen stand offenbar auch ein Ehepaar aus Deutschland, das im Herbst 2015 nach Syrien ausreiste und sich dem IS angeschloß – der Hildesheimer Oguz G. und Marcia M. aus Salzgitter. Die Frau, eine deutsche Konvertitin, habe von der syrischen Stadt Rakka aus Frauen in Norddeutschland gesucht, die bereit waren, potentielle Attentäter zu heiraten und ihnen so einen Weg nach Deutschland zu ebnen. Was sie nicht ahnen konnte: Eine der kontaktierten Frauen arbeitete für den Verfassungsschutz.

Die Ermittlungen der Sicherheitsbehörden schritten voran, auch begüngstigt durch den rasanten Zerfall des IS-Staates. Als kurdische Einheiten im Oktober 2017 die damalige IS-Hauptstadt Rakka eroberten, hätten die beiden sich kurdischen Militärs gestellt, heißt es in den Berichten. Seitdem säßen sie in kurdischen Gefängnissen in Nordsyrien fest, wo Korrespondenten von NDR, WDR und SZ Oguz G. interviewen konnten. 

Er habe versucht, „aus der Sache wieder rauszukommen“, als er „vom eigentlichen Anschlagsplan erfuhr“, rechtfertigte dieser sich. Sein Engagement für den IS bereue er mittlerweile. Oguz G. und Marcia M. sollen inzwischen auch gegenüber dem Bundesnachrichtendienst umfangreich ausgesagt haben. Gegen beide liegen in Deutschland Haftbefehle vor. Anders verhält es sich bei Thomas C., der offenbar weniger Glück hatte. Laut unbestätigten Berichten ist er bei Kämpfen in Syrien ums Leben gekommen.