© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 44/18 / 26. Oktober 2018

Ruhe ist erste Soldatenpflicht
Bundeswehr: Aufregung um möglichen „Maulkorberlaß“
Peter Möller

Für Ursula von der Leyen (CDU) wird es langsam ungemütlich. Seit Wochen steht die Verteidigungsministerin unter Druck, nachdem bekanntgeworden ist, daß ihr Ministerium Aufträge an externe Berater im Wert von fast 100 Millionen Euro vergeben hat. Teilweise war die Zusammenarbeit so eng, daß die externen Mitarbeiter mit eigenen Büros, Internetadressen und Briefbögen des Ministeriums ausgestattet wurden. Damit wurde nach Ansicht von Kritikern zumindest der Anschein erweckt, daß die Unternehmensberater Beschäftigte des Ministeriums waren. Mittlerweile liegt eine Anzeige wegen des Verdachts der Scheinselbständigkeit vor, die offenbar von einem Mitarbeiter des Verteidigungsministeriums gestellt wurde.

Ein Bericht der Bild am Sonntag legt nun zudem den Verdacht der Vetternwirtschaft nahe. Demnach erhielt die Firma Accenture in den vergangenen zwei Jahren Millionen aus dem Bundeswehr-Etat für IT-Strategieberatung. Besonders pikant: Laut BamS pflegt der verantwortliche Accenture-Manager nicht nur engste Verbindungen zu von der Leyens ehemaliger Rüstungsstaatssekretärin Katrin Suder. Eines seiner Kinder sei auch Patenkind des früheren Abteilungsleiters Planung im Ministerium. Insider bestätigten dem Blatt, daß sich Suder und der Abteilungsleiter für Aufträge an Accenture eingesetzt hätten.

„Risiko, Uniform abgeben zu müssen“

Nicht erst seit diesen neuen Vorwürfen wird in der Opposition laut über einen Untersuchungsausschuß nachgedacht. „Die politische Verantwortung trägt Bundesverteidigungsministerin von der Leyen. Es ist nun ihre Aufgabe, gegenüber dem Bundestag mit höchstmöglicher Transparenz umgehend aufzuklären“, sagte die FDP-Verteidigungspolitikerin Marie-Agnes Strack-Zimmermann der FAZ.

Als wäre das nicht genug, tauchte am Wochenende der Vorwurf auf, das Ministerium versuche die parlamentarische Kontrolle der Streitkräfte auszuhebeln. Die Welt hatte über ein Redeverbot für die Mitarbeiter des Verteidigungsministeriums mit Bundestagsabgeordneten berichtet. In einer als Verschlußsache gekennzeichneten Mail seien die Angehörigen des Ministeriums aufgefordert worden, „Gesprächsbitten aus dem parlamentarischen Raum“ zunächst an das Parlamentsreferat, das für die Beziehungen mit dem Bundestag zuständig ist, zu übermitteln. „Für die Teilnahme eines Angehörigen des Ministeriums an einem Gespräch dienstlichen Inhalts mit Abgeordneten“ sei „grundsätzlich die Zustimmung des zuständigen Staatssekretärs herbeizuführen“, zitierte die Welt aus der Mail.

Nicht nur bei Abgeordneten der Opposition entstand dadurch der Eindruck, daß angesichts der Berateraffäre der Kontakt zwischen Ministeriums- und Bundeswehrangehörigen und dem Parlament eingeschränkt werden soll. Das Verteidigungsministerium reagierte denn auch umgehend auf die Berichterstattung und versuchte den Eindruck eines Maulkorbes zu zerstreuen. „Es gibt für die Hausleitung des Verteidigungsministeriums keinen Grund, die gängige Praxis des Austausches zwischen Abgeordneten und Angehörigen der Bundeswehr zu ändern“, hieß es aus dem Bendler-Block.

Doch Beobachter sind sich einig, daß das Verteidigungsministerium die Maulkorb-Vorwürfe nicht so einfach vom Tisch wischen kann. Denn auch auf anderer Ebene gab es in der Vergangenheit immer wieder Vorwürfe, daß versucht werde die Kommunikation zwischen Militärs und Abgeordneten zu kontrollieren oder gar einzuschränken.

Erst in der vergangenen Woche lehnte der Verteidigungsausschuß einen Antrag der AfD-Bundestagsfraktion zur Änderung des Soldatengesetzes ab, mit dem die Partei den Austausch zwischen Abgeordneten und Offizieren stärken wollte. Dafür forderte die AfD, daß die jederzeitige Versetzung in den einstweiligen Ruhestand ohne Begründung erst ab dem Dienstgrad des Generalleutnants möglich sein soll. „Brigadegeneräle und Generalmajore sind in ihrer Funktion als Kommandeure von Großverbänden wichtige Ankerpunkte zwischen der Truppe, der politischen Leitung und uns Abgeordneten im Deutschen Bundestag. Wir sind auf ihre ehrlichen und umfänglichen Meldungen zur personellen, materiellen und inneren Verfaßtheit der Truppe angewiesen“, heißt es in dem Antrag. Nach Ansicht des verteidigungspolitischen Sprechers der AfD-Fraktion Rüdiger Lucassen, bedeutet die jederzeit mögliche Versetzung in den Ruhestand eine ständige Unsicherheit. „Wenn ein Brigade- oder Divisionskommandeur auf Mißstände hinweist, geht er immer das Risiko ein, bereits am nächsten Morgen seine Uniform abgeben zu müssen“, sagte er. Dieses „System der Angst“ widerspreche dem eigentlich für die Truppe grundlegenden System des gegenseitigen Vertrauens. Mit Blick auf die Tatsache, daß durch die Verkleinerung der Bundeswehr die Ein-Stern- und Zwei-Sterne-Generäle näher an die Truppe gerückt seien, hält Lucassen diese Ruhestandsregelung für „durch die Zeit überholt“. 

Auch wenn die AfD mit ihrem Antrag zunächst gescheitert ist, dürfte das Thema die Parlamentarier angesichts der aktuellen Entwicklungen im Verteidigungsministerium in absehbarer Zeit erneut beschäftigen.