© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 44/18 / 26. Oktober 2018

Zwischen Reichstag und Kanzleramt
In der Zwischenzeit
Paul Rosen

Politische Erdbeben, wie die bayerische Landtagswahl eines war, hätten früher zu Rücktritten und Sonderparteitagen geführt. Doch nachdem die bayerischen Wähler Union und SPD auf Rekord-Tiefstände zurückwarfen, passierte in Berlin – nichts. Die Große Koalition demonstrierte Normalbetrieb. Alles funktionierte wie immer.

Der Normalmodus sah so aus: Union und SPD brachten im Bundestag ein Steuergesetz zur Entlastung von Familien in Höhe von zehn Milliarden Euro ein und einen Gesetzentwurf, mit dem die Krankenkassenbeiträge wieder je zur Hälfte von Arbeitgebern und Arbeitnehmern getragen werden. Auch gegen die Opposition zeigte man Einigkeit. AfD und FDP wollten schon vor der Bayern- und erst recht vor der Hessenwahl über den Solidaritätszuschlag abstimmen lassen. Beide Fraktionen fordern die Abschaffung. Die Große Koalition lehnt jedoch schnelle Steuersenkungen ab, obwohl die Steuerkassen bis zum Rand voll sind. Mit ihrer Mehrheit verhinderten Union und SPD Debatte und Abstimmung erst im Finanzausschuß des Bundestages und dann im Plenum selbst, um nicht Farbe bekennen zu müssen. 

Wenn es nach Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) geht, von dem es heißt, er wolle nur zu gern die Nachfolge von Kanzlerin Angela Merkel antreten, wird die GroKo halten: „Wer vor Verantwortung wegläuft, verliert. Da bin ich sicher“, sagte Spahn in Richtung SPD. 

Merkel selbst probiert es mit dem alten Rezept „Vorwärts immer, rückwärts nimmer“. „Wenn wir uns für den Rest des Jahrzehnts damit beschäftigen wollen, was 2015 vielleicht so oder so gelaufen ist und damit die ganze Zeit verplempern, dann werden wir den Rang als Volkspartei verlieren“, warnte sie.

CSU-Chef Horst Seehofer kokettiert derweil abwechselnd wieder mit Rücktritt und Schuldzuweisungen.  „Revolutionen kosten Stimmen“, wurde er aus einer internen Sitzung zitiert. Er soll auf die Ära Stoiber verwiesen haben. Als Edmund Stoiber, der als einziger bei einer Wahl einmal eine Zweidrittelmehrheit der Landtagsmandate geholt hatte, gestürzt worden war, verlor die CSU 17 Prozent. Und als er – Seehofer – von Markus Söder aus dem Amt gedrängt worden sei, habe die CSU zehn Prozent verloren. Eigene Verantwortung kann Seehofer nicht erkennen. Ausgerechnet der CSU-Chef, der Merkel einst eine „Herrschaft des Unrechts“ bescheinigte, trat in ihr Kabinett ein, um später die Migration als „Mutter aller Probleme“ zu bezeichnen. Tage später wieder eine Drehung: „Die Integration greift nun besser.“ 

Komplizierter als Parteichefin Andrea Nahles kann man kaum ausdrücken, daß die SPD angeblich in der Koalition bleiben will: „Also, die Frage, ob diese Große Koalition funktioniert, auch im Sinne dessen, was wir gemeinsam verabredet haben im Rahmen des Koalitionsvertrags, entscheidet sich nicht allein vom Ergebnis, so schmerzlich das ist, einer Landtagswahl.“ Das sind alles Zeichen einer Zwischenzeit. Die GroKo hofft auf den Stopp ihres Abwärtstrends in Hessen. Danach sieht jedoch nichts aus. Das nächste Beben wird kommen.