© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 44/18 / 26. Oktober 2018

„Um Gottes willen, Syrien!“
Vorderer-Orient-Report: Zwischen Christen, Flüchtlingen und Identitären
Matthias Matussek

Der Anruf meines Freundes Sebastian Zeilinger kam überraschend. „Hast du Lust auf einen Trip nach Syrien?“ „Hm … wieso?“ Um Gottes willen, Syrien! Ein paar Tage zuvor die Meldung, daß sich in Damaskus ein Selbstmordattentäter in die Luft gesprengt hatte. „Der Patriarch der syrischen melkitischen Katholiken hat mich eingeladen“, fuhr Sebastian fort.

Anlaß der Einladung war das Fest der Kreuzeserhebung, das im ganzen christlichen Orient gefeiert wird, die Entdeckung von Jesu Kreuz durch Helena, die fromme Mutter Konstantins. Es wird besonders in Maalula gefeiert, einem Bergnest, in dem noch Aramäisch gesprochen wird, die Sprache Jesu. 

Zeilinger hatte vor Kriegsausbruch  einige Monate lang im dortigen Thekla-Kloster gearbeitet. Dessen Prior ist inzwischen enthauptet worden. Die schwarzen Teufel des IS hatten hier gewütet, hatten die Kreuze abgeschlagen, den Ikonen die Augen ausgestochen. Das Grab der Heiligen Thekla wurde geplündert. Vor allem aber hatten sie gemordet – die Familie des Bäckers, die sich geweigert hatte, zum Islam überzutreten, wurde erschosssen. Inzwischen ist Maalula befreit.

Ich sage zu. Ich hatte Zeilinger während einer Reportage über die Identitäre Bewegung (IB) kennengelernt, die meiner Ansicht nach zu Unrecht als rechtsextrem etikettiert und vom Verfassungsschutz beobachtet wird. Im Juli sind Vertreter der IB in Österreich vom Vorwurf der Volksverhetzung und Bildung einer kriminellen Vereinigung freigesprochen worden. 

Sie bekennen sich zur Gewaltfreiheit. Ghandis Strategie des zivilen Ungehorsams spielt in ihren Provokationen eine wichtige Rolle. Wer sich antisemitisch äußert, wird sofort ausgeschlossen. Ihre Aktionen sind spektakulär wie die von Greenpeace, etwa die Besetzung des Brandenburger Tores oder das Verhüllen der Statue der katholischen Kaiserin Maria Theresia mit einer riesigen Burka. 

Damaskus lebt, der Basar ist voller Leben  

Die Identitären kämpfen für ein Europa der Völker, das sich auf seine kulturellen, ja auch christlichen Wurzeln besinnt, und sie stemmen sich gegen die Überfremdung durch die „islamische Invasion und ihre Helferindustrie“. Übergriffe radikaler Linker auf sie sind zahlreich. Aber sie kämpfen um die „Kulturhoheit“. Ihr Zeichen ist, soviel Romantik muß sein, das griechische Lambda, unter dem sich die Spartaner einst sammelten.

Wir treffen uns in Beirut mit dem Abgesandten des Patriarchen, mit Abdo Haddad, einem breitschultrigen Bär von Mann. Zwei Stunden Autofahrt bis zur Grenze, in den Baracken das ernste Gesicht des Diktators Baschar al-Assad mit seinen durchdringenden Augen. Grusel bei allem, was man über ihn liest, aber immerhin: er garantierte den Religionsfrieden. Er ist Alawit. Unter seiner Ägide durften Sunniten, Drusen, Schiiten, besonders aber Christen beten und ihre Messen zelebrieren, ohne sich in Lebensgefahr zu begeben.

Wir schlafen in einem Kloster 500 Meter von der einstigen Frontlinie entfernt, hören beim Frühstück mit Fladenbrot und Oliven das Lachen und die fröhlich leiernden Wiederholungen der ABC-Schüler durchs offene Fenster, durch einen Limonenbaum schaut uns die Büste des Gründerpatriarchen zu.

Damaskus’ Altstadt hinter dem Bab Sharqi, dem Osttor, auf dem die Porträts gefallener Soldaten plakatiert sind – zwei davon aus Maalula – liegt friedlich in der Morgensonne, die Motorengeräusche der Vespas und Taxen verebben hier im Christenviertel, der Bäcker schiebt frische Fladenbrote aufs Auslagebrett, in den Gesichtern liegt müde Entspanntheit.

Am Ende der Via Recta das in der Sonne hellaufstrahlende weiße Sandsteinhaus des Hananias mit dem Taufbrunnen. Damaskus lebt, der Basar ist voller Leben, die Händler sehnen sich nach dem Luftschlag auf Idlib, nach der endgültigen Zerstörung des IS und damit dem Ende des Krieges. Essen in einem riesigen Restaurant in der Altstadt. Damaskus lebt nach seinen eigenen Regeln. Ein Raum mit Tonkrügen auf der Treppe, an einem langen Tisch vierzehn vergnügte Muslimas beim Essen, nur teilweise bekopftucht, drei rauchen Shisha, ohne Ehemänner? „No husband, no cry!“ sagt eine Schwarzlockige vergnügt.

Zu uns stößt Derawan Ghouffran, eine 30jährige Schiitin mit Kopftuch, großes Hallo mit den Italienern aus unserer Gruppe, man kennt sich aus dem vergangenen Jahr, da hatte Derawan gerade ihre Schwester und deren kleinen Sohn in einem Bombenangriff des IS verloren, endlich kommt Idlib dran, sagt sie, dann ist der IS-Spuk wohl vorbei. 

Ghouffran lebt im Viertel der Christen, sie feiert mit ihnen Weihnachten, in ihrem Haus hängt ein Kreuz. Das war alles normal, bis der Krieg der von den USA unterstützten „moderaten“ Rebellen begann.

Am nächsten Morgen das lang ersehnte Gespräch mit Yousseff Absi, dem melkitischen Patriarchen von Antiochien und dem ganzen Orient, von Alexandrien und Jerusalem, Oberhaupt der melkitischen griechisch-katholischen Kirche, die mit Rom uniert ist. Yousseff I., graue Haare, silberne Brille, seit vierzig Jahren Priester, seit siebzehn Bischof, seine lächelnde Kultiviertheit vermag den Ärger über die sogenannten Christen im ahnungslosen Westen kaum verhehlen. „Ihr Volk wird belogen über die Zustände hier“, und er erteilt mir seinen Segen, eine Deutschlandtour zu organisieren.

Sebastian Zeilinger steht ehrfürchtig neben dem Patriarchen. Natürlich gehört Religion zur Identitätspolitik seiner Bewegung. Ganz besonders hier, im heiligen Land der Christenheit, Galiläa erstreckte sich bis nach Maalula.

Was seine Bewegung tun könne, um zu helfen? Nun, die Schule in Maalula leidet. Vor allem aber möchte Yousseff seine nach Europa geflüchteten Gemeindemitglieder bewegen, zurückzukehren. „Wir brauchen sie beim Wiederaufbau!“ Die Identitären wollen nichts anderes.

Nach mir sind Jan und Eva, aus der polnischen Sektion von „Kirche in Not“ dran, überreichen  eine „Reliquie 3. Grades“ des heiligen Johannes Paul II., ein Haar in einer Schatulle aus gehämmertem Silber. Sie erklären sich bereit, Fahrzeuge zu stiften und als erste Notmaßnahme 2.000 Schreibhefte für Schüler. Der Patriarch berichtet über die Granaten. Eine davon sei in den  Eßsaal gegenüber eingeschlagen. Hundert Priester seien dort versammelt gewesen. Ein Assistent bringt das Mordgerät herbei, im gebrochenen Metallmantel haben sich offenbar Samen eingenistet, kleine Blümchen sprießen hervor.

Das Vaterunser auf aramäisch  

Aufbruch nach Maalula, über eine geflickte Piste an zerstörten Siedlungen vorbei, nach Nordosten ins Qalamun-Gebirge. Ausgebrannte Panzer, an den unzähligen Checkpoints die gleichen kriegsmüden und friedensfrohen Gesichter, der Passierschein des Patriarchen tut Wunder. Sebastian, der Identitäre, klampft auf seiner Wandervogelgitarre, er hatte mit ihr schon Usbekistan, Georgien und Tadschikistan bereist, er freut sich darauf, Maalula nach sieben Kriegsjahren wiederzusehen. 

Checkpoint Stadttor. Ein großes Loch im linken Schenkel. Besuch im Haus daneben bei Daniel, querschnittsgelähmt im Bett, eine Kugel am Checkpoint traf seine Wirbelsäule. Bleich und bärtig, dreht er sich eine Zigarette. Er studierte Jura und war 19, als ihn die Schüsse trafen. Nun hat er eine Organisation für verwundete Veteranen gegründet. Ja, er hat Schmerzen, aber  lehnt Morphium ab, weil es abhängig macht.

Für die Glaubensmärtyrer hat der Patriarch bereits ein Kanonisierungs-Verfahren eingeleitet, aber natürlich sind sie bereits Heilige, sind der Stolz des Ortes. Auch die Kreuze sind zurück. Patriarch Youssef feiert mit der Gemeinde. Eine Liturgie, die vorwiegend aus Gesang, aus vielstimmigen Chören besteht. Die Lesungen werden aus der Apostelgeschichte bestritten und den Evangelien. Mädchen dürfen sie vortragen, Yousseff I. und seine bärtigen Co-Zelebranten lehnen in ihren Brokatgewändern im Gestühl, Weihrauch steigt auf, die Segnung der Brote, das Vaterunser auf aramäisch. 

Doch die Schlacht von Maalula beginnt erst, denn gleichzeitig mit den Katholiken endet der Gottesdienst der Orthodoxen, am Dorfplatz treffen beide Prozessionen aufeinander. Die Anrufung der Heiligen, die Hymnen auf die Helden, die Spottverse auf den Gegner sind nicht zu unterscheiden, milchige Wasserflaschen mit Araq werden geschwungen, bei den Katholiken schwingt einer eine Axt.

Doch das andere Lager trumpft auf mit – Daniel! Er wird in seinem Rollstuhl in die Höhe gestemmt, er lacht, er schwebt über den Köpfen der Menge und feuert Salven aus einer Kalaschnikow. Worum geht es in dieser Schlacht? Die Katholiken erklimmen den Westhügel des Ortes, die Orthodoxen den im Osten. Beide sind Steilwände, die nur von hinten zu besteigen sind. Wer auf seinem Bergkamm die meisten Feuer in Brand setzt, hat gewonnen. Die Feuer werden nicht von Holz, sondern aus Gummireifen genährt, ein weniger knapper Rohstoff nach dem Krieg, vor allem aber lassen diese sich abschließend prächtig ins Tal stürzen, wobei sie blutrote Striemen in die nächtlichen Hänge reißen werden.

Schon nach hundert Metern bereue ich jede einzelne Zigarette meines Lebens. In Steilabschnitten zieht mich Abdo nach oben. Auf halber Strecke kommen uns Patriarch Yousseff und Bruder Christopher leichtfüßig entgegen, sie haben die Gebete zur Eröffnung der Feuerzeremonie bereits gesprochen. Großes Hallo.

Sebastian und sein Kumpel Mario haben entschieden, die Nacht hier oben auf der kahlen Kuppe zu verbringen. Jugendliche Kämpfer haben sich zu Füßen eines Neonkreuzes versammelt, sie singen, andere schauen ins Lichtertal hinab oder in die dunkle Nacht. 

Mit leuchtenden Augen berichten die Identitären am nächsten Tag über die Freunde auf dem kahlen Gipfel, die Joints haben sie abgelehnt, sie hatten Whisky beigesteuert. Und Sebastian Zeilinger sang für die wilden Burschen.

Identitäre kümmern sich um Flüchtlinge

Doch nun schnell zurück nach Beirut, ins Flüchtlingslager im Bekaa-Tal, die Identitären haben Patenschaften übernommen, ihre Organisation AHA (Alternative Help Association) hilft denen, die zurückkehren wollen, etwa der jungen Lama aus Homs, der Mutter von Hamza (6) und Mohammed (8). Sie weiß nicht, wo ihr Mann ist, vielleicht tot, vielleicht beim IS, vielleicht in Europa. Der kleine Mohammed tränkt die Geranien, die seine Mutter in Speiseölkanister vor der Hütte gepflanzt hat, sie will es schön haben.

Es gab das übliche Gezeter um diese Aktion der Identitären, sie wollten, schrieb eine linke Fanatikerin im Netz, nur Geld machen. Nun, ich kann bestätigen, daß das Geld dort ankommt, wo es ankommen soll. Die junge Palästinenserin Nadia begleitet die Aktion und führt Buch.

Mario erzählt auf der Fahrt von der vielleicht spektakulärsten Aktion, an der er teilgenommen hat: Mit ihrem gecharterten Schiff C-Star, Teil der Aktion „Defend Europe“, hatten sie gemeinsam mit der libyschen Küstenwache den Taxiverkehr einer spanischen NGO gestört, die vor der Küste „Schiffbrüchige“ aufnehmen wollte, um sie nach Europa zu bringen. Eine Odyssee, denn wegen der Denunziationen einer linken NGO („Söldner an Bord“) konnte er weder in Port Said noch in Famagusta, noch in einem europäischen Hafen zusteigen, sondern lediglich auf offener See.

Im Gespräch mit Mario wird mir klar, was diese Jungs zu opfern bereit waren. Mit all den Verfemungen ist es schwer, eine bürgerliche Zukunft zu denken, selbst wenn sie angestrebt wird. 

Ich tröste ihn mit einem Gedicht des großen Robert Frost „Der nicht gewählte Weg“: „Es könnte sein, daß ich dies seufzend sag, / Wenn Jahre und Jahrzehnte fortgeschritten: / Zwei Straßen teilten sich im Wald, und da – / Wählt’ ich jene, die nicht oft beschritten. / Und das hat allen Unterschied gemacht.“ Es gefällt ihm. Er fotografiert es mit seinem Handy ab, um es auswendig zu lernen.

Foto: AHA-Aktivist Sebastian Zeilinger (l.) und Autor Matthias Matussek in einem Flüchtlingslager im libanesischen Bekaa-Tal: Lama aus Homs weiß nicht, wo ihr Mann ist, vielleicht tot, vielleicht beim IS, vielleicht in Europa