© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 44/18 / 26. Oktober 2018

Pankraz,
das WEF und sein vergiftetes Lob

Vergiftetes Lob? Ausgerechnet das in der Schweiz ansässige Weltwirtschaftsforum (World Economic Forum, kurz WEF), das auf seinen alljährlichen öffentlichen Großtagungen in Davos vor Kritik an der angeblichen Zurückgebliebenheit der deutschen Industrie in Sachen Mechanisierung und Digitalisierung schier überfließt, hat jetzt ein geradezu überschwengliches Lob für die deutsche Wirtschaft in die Medien gebracht. Deutschland, so heißt es da, sei die absolute Nummer eins in bezug auf Innovationskraft und technischen Erfindungsreichtum, eindeutig vor allen anderen Ländern der Welt. 

Deutsche Unternehmer seien risikofreudig wie sonst niemand. Die Bundesrepublik liege, was technische Neuerungen betreffe, eindeutig auf Platz eins vor den USA, Singapur oder Japan; das zeige schon der erste Blick auf Anzahl und Inhalt der angemeldeten Patente sowie auf wissenschaftliche Veröffentlichungen und die immer wieder geäußerte  Zufriedenheit internationaler Kunden mit deutschen Produkten. Und alle diese Faktoren feuerten die deutschen Unternehmen zu immer weiteren Verbesserungen an.

Nun, über Lob freut man sich üblicherweise und sollte sich auch darüber freuen. Es spornt im günstigsten Fall zu weiteren guten Taten an und verschafft einem ein gutes Gewissen. Freilich gibt es auch umgekehrte Effekte. Dann verwandelt sich das gute Gewissen, wie das Sprichwort sagt, in ein sanftes Ruhekissen, der Gelobte wird unaufmerksam, gar liebedienerisch dem Lobenden gegenüber. Hinzu kommt, daß dieser ziemlich oft kritische Beilagen in seinen Lobspruch mischt, des Inhalts etwa, daß sein Lob noch viel größer  ausgefallen wäre, wenn der Gelobte gewisse Umstände genauer bedacht hätte.


Das Lob des WEF für die deutsche Innovationsfreudigkeit zeugt von solcher Doppeldeutigkeit.  Verbunden war es mit dem maliziösen Hinweis, daß Innovationskraft nur einer jener „zwölf Pfeiler“ sei, an denen das WEF die Wettbewerbsfähigkeit eines Landes mißt und einstuft; weitere Pfeiler seien zum Beispiel die soziale Infrastruktur,  das Bildungswesen und nicht zuletzt die jeweilige Stärke des Finanzsystems. Alle zwölf Pfeiler zusammengenommen, belege Deutschland nur den dritten Platz in der internationalen Wettbewebsfähigkeit, hinter den USA und Singapur.

Ziemlich fragwürdig auch die Kriterien, nach denen das WEF die Innovationskraft der Länder „gerecht“ beurteilt haben will. Die immer wieder bezeugte hohe Zufriedenheit internationaler Kunden mit deutschen Produkten, ihren Preisen und ihrer höchst praxisnahen, pünktlichen und zuverlässigen Auslieferung beziehungsweise Installierung spielten nur eine untergeordnete Rolle.Wichtiger erschien den Davosern die Zahl der angemeldeten Patente – aber gerade die Patentanmelderei hat sich in letzter Zeit als ein höchst dubioses Mittel zur Förderung von Entdeckerfreude und Innovationslust erwiesen.

Man nehme zum Beispiel die moderne Agrarwirtschaft. Patente dürfen dem Gesetz nach  nur für „Erfindungen“ ausgegeben werden, und es läßt sich sehr darüber streiten, ob bloße „Entdeckungen“ wie zum Beispiel die über den Zusammenhang von „Wildheit“ und Insektenresistenz wirkliche Erfindungen sind. Isaac Newton hat die Schwerkraft entdeckt, eine gewaltige, weltbewegende Entdeckung, aber niemand würde auf den Gedanken kommen, ihm die Schwerkraft zu patentieren. Insofern hat die Kritik des Bündnisses „Keine Patente auf Saatgut“ durchaus einiges für sich. 

Es gibt derzeit einen Patentmißbrauch im Zeichen hemmungsloser Profitsucht, der zu einem echten Ärgernis geworden ist. Agrar- und Pharma-Konzerne, die zweifellos oft große Summen in die Forschung investieren, versuchen, das, was ihre Angestellten herausbekommen, mit allen juristischen Tricks patentieren zu lassen, obwohl es sich dabei keineswegs um Erfindungen, sondern um bloße neue Fakten und Forschungswege handelt, die gleichsam allgemeines Erbe der Menschheit sind wie Häuserbauen, Pilzesammeln oder Schuhanziehen. Für alles soll heute extra bezahlt werden.


Besonders skandalös in der Agrarwirtschaft ist die Entwicklung genbehandelten Saatguts bei synchroner Entwicklung von „zugehörigen“ Schädlingsbekämpfungsmitteln, die also nur das exklusiv vom Konzern gelieferte Saatgut schützen, so daß die Bauern, die dieses verwenden, auch das betreffende Schädlingsmittel kaufen müssen und vielleicht auch noch die vom Konzern speziell für die neuen Produkte entwickelten Aussaat- und Erntegeräte, alles voll patentiert und lizenziert. Hier liegen zweifellos Gefahren.

Spezifisch deutsche Innovationsfreudigkeit spiegelt sich darin gewiß nicht. Vermuten läßt sich aber, daß das WEF die Deutschen, indem es sie wegen ihrer vielen Patente lobt, auf „moderne“ Patentierungsmöglichkeiten hinweisen will, die ihre, der Deutschen, angeborene Innovationsfreudigkeit richtig in Fahrt bringen würden und sich in aktuellen „Studien“ widerspiegeln könnten.

Amazon zum Beispiel besitzt laut Patent „den Prozeß, welcher es gestattet, Sachen mittels eines einzigen Klicks zu erwerben“. Apple seinerseits hat für sich das Recht schützen lassen, „Kommunikationsgeräte in Form eines Rechtecks mit abgerundeten Ecken zu verkaufen, auf denen Icons in einem Raster und mit einer Reihe feststehender Icons am unteren Bildschirmrand angeordnet sind“. Auf solche Innovationen also sollen die Deutschen nach dem Willen des WEF eingestimmt werden. Wenn das mal kein vergiftetes Lob ist!

Dagegen kann Pankraz nur raten: Schuster, bleib bei deinen Leisten! Statt Patente zu horten und sich dafür in „wissenschaftlichen“ Zeitschriften loben zu lassen, lieber mit äußerster Konkretion höchst komplexe und wirklich benötigte Produkte herstellen und sie mit Kulanz und Präzision an den Kunden bringen. Das Leben besteht nicht vorrangig aus leerem Geschwätz. Wäre das nicht ein schönes Generalthema für die nächsten Davoser Gespräche?