© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 44/18 / 26. Oktober 2018

Hessen opfert Wald der Windindustrie
Während alle auf den Hambacher Forst schauen, wollen Grüne und CDU den Reinhardswald zerstören
Volker Kempf

Ein Unwetter verursachte im August vorigen Jahres im Landkreis Passau zweistellige Millionenschäden. Aus 3.200 Hektar Wald wurde Kahlfläche, die Schadholzmenge summierte sich auf 1,5 Millionen Festmeter, das entspricht etwa einem Zehntel des jährlichen Holzeinschlags in ganz Bayern. Bei den Aufräumarbeiten kamen zwei Arbeiter ums Leben – die mediale Aufregung hielt sich in Grenzen.

Der zwischen Aachen und Köln gelegene Hambacher Forst ist nur 200 Hek­tar groß, aber seit Monaten in den Medien. Die Hälfte davon – also eine Fläche von hundert Fußballfeldern oder zirka 0,001 Prozent der gesamten deutschen Waldfläche – soll gerodet werden, um Platz für den Braunkohleabbau durch RWE zu schaffen. Dagegen demonstrieren Tausende von Menschen, seit sechs Jahren gibt es Besetzungen, Polizeieinsätze und Gerichtsverhandlungen. Am 5. Oktober wurde RWE die Rodung des Waldes vom Oberverwaltungsgericht Münster vorerst untersagt.

Globaler Klimaschutz kontra heimatlicher Naturschutz

Kommt hier die deutsche Liebe zum Wald zum Ausdruck? Die Internetseite des Freundeskreis Hambacher Forst läßt daran zweifeln: Die erste Aussage lautet, der Wald sei 12.000 Jahre alt und ein wichtiges Ökosystem. Im zweiten Satz wird angegeben, wofür der Wald weichen soll, nämlich „um Platz für einen klimazerstörenden Braunkohletageabbau zu machen“. Und die Klimaerwärmung bekämen nicht die, die „Profite“ einfahren, zu spüren, sondern „Menschen im globalen Süden“. Und die Übeltäter, das seien die „Energieriesen“. Das Ganze sei ein „Symptom des kapitalistischen Systems“, so der Schlußpunkt.

Also geht es den Aktivisten weniger um den Wald als vielmehr um Antikapitalismus. Dieser Kampf war nie zimperlich. So auch hier und heute nicht, wie die Rheinische Post berichtete. Denn der niederländische Maschinenverleiher Boels Rental sah sich aus Sorge um die Sicherheit seiner Mitarbeiter dazu gezwungen, seine Maschinen „mit sofortiger Wirkung“ aus dem Hambacher Forst zurückzuziehen. Wo es um das Weltklima geht, ist die Situation aufgeheizt und sind offenbar alle Mittel erlaubt.

Während es um den Hambacher Forst viel Revolutionsgeschrei gibt, geht es in Nordhessen zwar ebenfalls um viel Wald. Aber hier herrscht eher Schweigen im Walde. Keine Massendemos, keine Besetzungen, keine Behinderung von Rodungsarbeiten. Am 14. Oktober wanderten lediglich 150 Naturschutzbewegte, fünf Landtagskandidaten und ein paar Lokalreporter zu den geplanten Standorten von riesigen Windkraftanlagen im Naturpark Reinhardswald.

Hier sowie im Bramwald und dem Solling (Südniedersachsen) geht es auch um insgesamt etwa hundert Hektar Wald. Der Unterschied ist: Hier sollen die Bäume für Windindustriegebiete geopfert werden. Und für den Klimaschutz scheint kein Preis zu hoch. Wenn man mit Hilfe der Windkraft nicht gegen den Klimawandel angehe, dann hätten wir in 50 Jahren keinen Wald mehr, den wir noch schützen können, behauptet die hessische Umweltministerin Priska Hinz von den Grünen. Daher sollen zwei Prozent der hessischen Landesfläche laut schwarz-grünem Koalitionsvertrag von 2013 für die Windenergie bereitgehalten werden – auch im Reinhardswald.

Diese Linie vertraten bei der sonntäglichen Wanderung im Prinzip auch die Landtagskandidaten Juri Stölzner (ein Fledermauskundler von den Grünen) und Alexander Lorch (ein Wasserschutzpolizist von der CDU). Oliver Ulloth (ein Rechtsreferent von der SPD) konnte sich als Oppositionsvertreter erlauben, die Windkraftpläne abzulehnen – daß seine Parteiführung in Berlin anders denkt, was soll’s? Florian Kohlweg (ein Industriekaufmann von der AfD) sowie Malte Fehling (ein Wirtschaftspädagoge von den Freien Wählern) konnten sich auf ihre Parteilinien berufen: Die lehnen die Windräder im Reinhardswald ab.

Im Gegensatz zum Hambacher Forst ist der Reinhardswald voll knorriger, uralter Baumriesen, wo seltene Tiere leben und in dem sich sagenhafte Burgen befinden. Die „Deutsche Märchenstraße“ durchquert den Reinhardswald, Besucher stoßen hier auf die Spuren berühmter Motive der Brüder Grimm. Der Urwald in Sababurg, das älteste Naturschutzgebiet Hessens, zieht sich entlang der Weserhänge mit alten Laubbäumen, geschützte Arten leben hier.

Nähe von Windindustrie und Umweltverbänden

Ein einzigartiges Waldreservat ist bedroht – auch wenn nicht direkt in die Naturschutzgebiete hineingebaut wird. Es geht um Anlagen von 150 bis 250 Metern Höhe – höher als der Berliner Funkturm. Es müssen riesige Schneisen in die Wälder geschlagen und Tausende Tonnen Beton in den Naturwaldboden eingepreßt werden. Anders als in Norddeutschland, Brandenburg und Sachsen-Anhalt sind in Hessen Windindustrieanlagen nur in Höhenlagen effektiv zu betreiben. Da diese bewaldet sind, entstehen fast alle neuen hessischen Windindustrieanlagen in Wäldern – die dann teilgerodet werden müssen.

Doch mit der Umwandlung von Wald in Windindustriegebiete beginnt ein neues Märchen, das vom Weltklima: Die Windindustrie verhütet einen Temperaturanstieg, liefert zuverlässig und günstig Strom. Der Mitgründer des Bundes für Umwelt und Naturschutz (BUND), der dieses Jahr verstorbene Dirigent und Stifter Enoch zu Guttenberg, glaubte dieses Märchen nicht und prangerte die unübersehbare Nähe von Umweltverbänden und Windindustrie an – allerdings vergeblich. Daher gründete er 2015 den Verein für Landschaftspflege und Artenschutz in Bayern und unterstützte die Bundesinitiative Vernunftkraft, die sich deutschlandweit gegen die „Verspargelung“ der Landschaft durch Windräder einsetzt (JF 7/18).

Enoch zu Guttenberg präsentierte vor 25 Jahren Joseph Haydns „Schöpfung“ als einen Ruf aus der Kultur gegen die „Dampfwalze der Gleichmacherei“. Optimistisch klang er nicht, er beklagte den Verlust des Inhalts von Haydns „Jahreszeiten“, um zu fragen, wo denn der Wachtelruf geblieben sei. Maxim Gorki hat berichtet, der russische Revolutionsführer Lenin mochte Beethoven nicht hören, da ihn dieser zu sehr in die Stimmung versetzte, die Menschen zu lieben. Es gibt die Klänge aus einer geschichtlichen Tiefe, aus der heraus einst auch die Liebe der Deutschen zu ihrem Wald erwuchs. Hiervon hängt ab, was aus Hessens einzigartigen Wäldern wird.

Wen die Mißklänge von Motorsägen in Hessen stören, kann auch etwas für den Reinhardswald tun: Bis Mitte Januar 2019 kann noch die Internet-Petition „Stopp der Zerstörung des Reinhardswaldes in Hessen durch Windkraftpläne von Grüne und CDU“, die an das hessische Umweltministerium gerichtet ist, unterschrieben werden.

Die Reinhardswald-Petition:  openpetition.de

Aktionen der Bundesinitiative Vernunftkraft:  www.vernunftkraft.de/





Bürgerinitiativen fürs Märchenland

Seit Jahren kämpfen Umweltschützer dafür, daß salzige Abwässer aus den K+S-Kaliwerken an der hessisch-thüringischen Grenze nicht mehr in die Werra fließen oder künftig via Pipeline in die Weser und in riesige Speicherbecken geleitet werden. Dabei wurden sie von den Grünen lautstark unterstützt. Seit 2014 koalieren diese aber mit der CDU, und der grünen Umweltministerin Priska Hinz reicht es, wenn die genehmigte Versenkmenge nicht ausgeschöpft und nach alternativen Entsorgungswegen gesucht wird. Beim Thema Waldschutz stehen die hessischen Grünen – wie die CDU – sogar klar auf seiten der Windindustrie. Für deren Interessen sind die Grünen sogar bereit, breite Schneisen in den auch „Märchenland“ genannten Naturpark Reinhardswald zu schlagen. Dagegen opponieren regionale Bürgerinitiativen wie „GegenWind und GegenSalz“ oder das „Aktionsbündnis Märchenland“. Die lokale SPD sowie die AfD und die Freien Wähler sind ebenfalls gegen die nordhessischen Windkraftpläne.

 www.gegenwind-gegensalz.de

 rettet-den-reinhardswald.de