© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 45/18 / 02. November 2018

„Enttäuschend und bitter“
Landtagswahl: Angela Merkel zieht Konsequenzen aus dem schlechten Abschneiden der CDU in Hessen
Jörg Kürschner

Vormittags um zehn Uhr schien die politische Welt im Berliner Regierungsviertel noch in Ordnung. Auf der Terminliste der Politiker und Journalisten stand am Montag die auf Landtagswahlen folgende Nachlese der Bundesparteien. Im Saal der Bundespressekonferenz (BPK) hatte AfD-Partei- und Fraktionschef Alexander Gauland gerade Klage über die seine Partei ausgrenzende Wahlberichterstattung von ARD und ZDF geführt, als die Bombe platzte. „Merkel verzichtet auf CDU-Vorsitz“, hieß es in der Eilmeldung. 

Ein Paukenschlag. „Das hat sehr viel mit uns zu tun“, wird Gauland später sagen, das CDU-Mitglied von 1973 bis 2013. Um hinzuzufügen, auch nach Merkels Verzicht gebe es in der CDU noch eine Menge, „das sich verändern muß, um überhaupt eine Chance für eine Zusammenarbeit mal in ferner Zukunft zu bieten“. Allerdings: Wenn Gesundheitsminister Jens Spahn CDU-Vorsitzender und Bundeskanzler werde, „dann haben wir es schwerer“. Daß die AfD in Hessen mit neun Prozent den höchsten Stimmenzuwachs aller Parteien hat erzielen können (Grüne 8,7 Prozent) wird fast zur Randnotiz.

Anschließend Stühlerücken im BPK-Saal für FDP-Chef Christian Lindner. Eine mögliche Zusammenarbeit in Form einer Jamaika-Koalition wäre für ihn wieder ein Thema, hätte Merkel nicht „das falsche Amt“ abgegeben. So werde das „Siechtum“ der Großen Koalition nur verlangsamt. In Hessen sei die „Merkel-Doktrin“, nach der gegen die CDU nicht regiert werden könne, ins Leere gelaufen. Denn im neuen Wiesbadener Landtag gibt es rechnerisch auch eine Mehrheit von SPD, Grünen und FDP. Merkels Schritt habe ihn überrascht, räumte Lindner vor den Journalisten ein.

Machtkampf beginnt kurz nach Merkels Rückzug

Merkel will bis zum Ende der Wahlperiode in drei Jahren Bundeskanzlerin bleiben – neben einem neuen Parteichef oder -chefin. Bisher hatte sie darauf bestanden, daß ihre Ämter als Kanzlerin und Parteivorsitzende zusammengehören. Ein „Wagnis“, wie sie in der CDU-Parteizentrale freimütig einräumte. Wohl wahr, denn Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) ließ es ausdrücklich offen, ob Merkel die volle Wahlperiode im Amt bleibt. „Auch das hat sie am Ende in der Hand, das muß sie entscheiden.“ Und kurz nach ihrer spektakulären Ankündigung begann der Machtkampf in der Partei. Generalsekretärin Annegret Kramp-Karrenbauer, „die kleine Merkel“ aus dem Saarland, kündigte ihre Kandidatur ebenso an wie das konservative Aushängeschild, Gesundheitsminister Jens Spahn, der Angstgegner der AfD. Und auch der liberalkonservative Friedrich Merz, erklärter Merkel-Gegner, kann sich vorstellen, seine Gegenspielerin von 2002 zu beerben. „Nach reiflicher Überlegung“ habe er sich entschieden, auf dem Bundesparteitag in Hamburg für den Posten des CDU-Vorsitzenden zu kandidieren, erklärte der frühere Unionsfraktionschef am Dienstag in einer schriftlichen Mitteilung. Weiter heißt es darin: „Wir brauchen in der Union Aufbruch und Erneuerung mit erfahrenen und mit jüngeren Führungspersönlichkeiten.“ 

Der dritte Kandidat, der noch sondiert, kommt ebenfalls aus Nordrhein-Westfalen, Ministerpräsident Armin Laschet. Intern hatte er immer darauf verwiesen, daß die Berufung der Saarländerin als Merkels rechte Hand keine Vorentscheidung für deren Nachfolge sei. Laschets Landesverband stellt etwa ein Drittel der Delegierten auf dem Parteitag, der am 7. Dezember in Hamburg die Nachfolge entscheiden wird. Inhaltlich erscheint ein Tandem Kanzlerin-Parteichef mit Merkels Favoritin Kramp-Karrenbauer oder mit Laschet denkbar. 

„Konservativen wieder eine politische Heimat bieten“

Ein Duo Merkel-Spahn gilt als schwierig, da der CDU-Nachwuchsstar etwa Merkels Willkommenspolitik äußerst kritisch sieht. Eine Zusammenarbeit mit Merz ist wohl ausgeschlossen. Merkel hatte ihm 2002 den Fraktionsvorsitz abgetrotzt, der daraufhin in die Wirtschaft ging und sich aufs Geldverdienen konzentrierte. Mit ihrem Votum über die Merkel-Nachfolge entscheiden die Delegierten also indirekt auch über deren weitere Kanzlerschaft. Der Vorsitzende der Werte-Union, Alexander Mitsch, forderte, die Partei müsse künftig auch konservativen und wirtschaftsliberalen Mitgliedern und Wählern wieder eine politische Heimat bieten.

Mit ihrem Verzicht nach über 18 Amtsjahren hat Merkel die Konsequenzen aus den dramatischen Verlusten von über 11 Prozentpunkten in Hessen gezogen. Zwar reicht es knapp für eine Fortsetzung der schwarz-grünen Koalition, doch sei das Ergebnis „überaus enttäuschend und bitter“. Als Ursache nannte sie ausdrücklich das „inakzeptable“ Bild der Bundesregierung. Daß sich dieses „grundlegend ändern“ müsse, findet auch SPD-Chefin Andrea Nahles, die im Willy-Brandt-Haus wie Merkel einen zweistelligen Absturz (10,9 Prozent) zu kommentieren hatte. Der angekündigte Fahrplan, wann welche Projekte in der Koalition bis zur Halbzeitbilanz in einem Jahr bearbeitet werden sollen, werde weiter diskutiert. Die SPD will sich in der Koalition „freischwimmen“, was der Merkel-Abgang allerdings erschweren dürfte. Bis zum Jahresende gibt Nahles der CDU Zeit, „ihre inhaltlichen und personellen Konflikte zu klären“.

Lindners Beobachtung vor einigen Wochen, nur noch die Grünen wollten gern mit Merkel regieren, findet in diesen hektischen Tagen eine unfreiwillige Bestätigung. Parteichefin Annalena Baerbock zollte ihr hohen Respekt für „ihre Verdienste als CDU-Chefin, als erste Frau in diesem manchmal sehr männergeprägten Laden“. Mit einem Vorsprung von nur 94 Stimmen gegenüber der SPD ist die Ökopartei mit 19,8 Prozent zweitstärkste Partei in Hessen geworden und wird gegenüber dem Wahlverlierer CDU inhaltliche und personelle Forderungen stellen. Ein „Weiter so“ werde es nicht geben, sagt Spitzenkandidatin Petra Hinz. 

Das könnte in einem anderen Zusammenhang auch für CSU-Chef Horst Seehofer gelten. Der saarländische Ministerpräsident Tobias Hans (CDU) sagte, Seehofer solle es Merkel gleichtun und nach dem schlechten Wahlergebnis (zwei Wochen zuvor in Bayern) zurücktreten. 

Für AfD-Chef Jörg Meuthen ist der Wiesbadener Wahlabend dagegen ein „emotionaler Moment“: Seine Partei ist nun fünf Jahre nach Gründung in allen deutschen Landesparlamenten sowie im Bundestag (und im EU-Parlament) vertreten. „Mission erfüllt“, bekannte er stolz. Der hessische Landesvorsitzende Klaus Herrmann kündigte an, man werde im Landtag eine bürgerlich-konservative Opposition bilden, fair mit den politischen Gegnern um- und keiner Auseinandersetzung aus dem Weg gehen. Sein Co-Landesvorsitzender Robert Lambrou nannte es besonders erfreulich, daß die AfD unter Wählern mit Migrationshintergrund sogar noch einen Prozentpunkt besser (14 Prozent) abgeschnitten hat. „Dieses Ergebnis hat Signalwirkung: Die AfD hat keine Probleme mit gut integrierten Einwanderern.“ Man sei – anders als von politischen Gegnern behauptet – eben nicht ausländerfeindlich oder rassistisch, betonte der künftige Landtagsabgeordnete am Montag in Berlin.