© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 45/18 / 02. November 2018

Eskalation? Könnt ihr haben
Italiens Haushaltspläne: EU fordert geringere Neuverschuldung / Lega und Fünf-Sterne-Bewegung lehnen das in aller Deutlichkeit ab
Christian Schreiber

Es ist ein Novum in der Geschichte der Europäischen Union. Die Europäische Kommission hat Italien aufgefordert, binnen drei Wochen einen überarbeiteten Haushaltsplan vorzulegen. „Die heute von der Kommission angenommene Stellungnahme dürfte niemanden überraschen, da der Haushaltsplan der italienischen Regierung eine klare und vorsätzliche Abweichung von den Zusagen darstellt, die Italien im vergangenen Juli abgegeben hat“, erklärte Pierre Moscovici, EU-Kommissar für Wirtschafts- und Finanzangelegenheiten, fügte aber hinzu, daß „die Tür noch nicht zu ist“. Die Regierung in Rom stelle sich „offen und bewußt“ gegen frühere Verpflichtungen und Zusagen an andere Euro­partner, sagte Kommissions-Vizepräsident Valdis Dombrovskis.

„Die EU attackiert nicht die Regierung, sondern das Volk“

Die neue italienische Regierung aus der Fünf-Sterne-Bewegung sowie der Rechtspartei Lega hatte angekündigt, das Land trotz eines Rekordschuldenstandes von rund 132 Prozent der Wirtschaftsleistung mit 2,4 Prozent neu zu verschulden. Das ist dreimal soviel wie von der Vorgängerregierung des sozialdemokratischen Ministerpräsidenten Paolo Gentiloni mit Brüssel vereinbart wurde. Die neue Regierung in Rom versprach im Wahlkampf eine soziale Grundsicherung für Langzeitarbeitslose, die Rücknahme einer umstrittenen Senkung des Renteneintrittsalters und eine Steuerreform für Klein- und Kleinstbetriebe.

Der Lega-Vorsitzende und stellvertretende Regierungschef Matteo Salvini erklärte gegenüber der Nachrichtenagentur AFP, die Koalition sei zu Gesprächen mit der EU bereit, man werde den eingeschlagenen Weg aber fortsetzen. „Es ändert sich nichts, die Herren der Spekulation mögen abtreten, es gibt keinen Weg zurück“, sagte Salvini. Die EU-Kommission würde nicht eine Regierung, „sondern ein Volk attackieren“. Man werde den Italienern „keinen einzigen Cent“ aus den Taschen nehmen. Angesprochen auf die Reaktion des EU-Kommissionspräsidenten Jean-Claude Juncker, der die italienischen Pläne als „inakzeptable Abweichung“ von den europäischen Regeln bezeichnet hatte, sagte Salvini: „Schon wieder Juncker? Es reicht, auf den hört doch wirklich keiner mehr.“

Unterstützung erhält der Lega-Boß auch aus den Reihen der Fünf-Sterne-Bewegung. Regierungschef Giuseppe Conte sieht keinen Handlungsbedarf seines Landes: „Mir ist absolut klar, daß das nicht der Haushalt ist, den die EU-Kommission erwartet hat. Aber wir sind überzeugt von dem, was wir tun.“ Und die Innenministerin Laura Castelli fügte hinzu: „Die in Brüssel können noch zwölf Briefe schreiben, es wird sich an unserer Einschätzung nichts ändern.“

Weil Italien einen riesigen Schuldenberg von gut 130 Prozent – zusammen mit den Target-Verpflichtungen von über 400 Milliarden Euro sogar über 150 Prozent – statt der erlaubten 60 Prozent des Bruttoinlandproduktes aufweist, wollte die Vorgänger-Regierung des sozialdemokratischen Ministerpräsidenten Paolo Gentiloni deutliche Sparmaßnahmen durchsetzen. Dies führte zu heftigen Protesten innerhalb des Landes und schließlich zum Wahlsieg der beiden populistischen Parteien. Die neue Regierung sieht sich dabei formal übrigens völlig im Recht. Schließlich liege die von ihnen geplante Neuverschuldung unterhalb der laut Maastricht-Vertrag erlaubten drei Prozent-Marke, teilte Wirtschaftsminister Luigi di Maio mit. Die Märkte reagieren allerdings erwartungsgemäß aufgeregt. Nachdem die Renditen für lang laufende Schuldtitel Roms bis auf fast 3,5 Prozent nach oben kletterten, hatte mit Standard & Poor’s eine weitere Ratingagentur dem Land mit einer Herabstufung der Bonitätsnote gedroht. Die Bundesbank schlägt der Regierung in Rom indes die Einführung einer Zwangsanleihe vor, mit der wohlhabende Italiener direkt für die Schulden ihres Staates haften sollten.

Noch ist völlig unklar, wie es weitergehen wird. Der EU-Kommission bliebe die Möglichkeit, Italien mit Geldstrafen zu belegen, was in der Vergangenheit aber weder bei Verstößen gegen die Haushaltsdisziplin in Frankreich, Spanien oder Griechenland durchgeführt wurde. Der „Super-Gau“, daß Italien die Eurozone verlassen könnte, wird ebenfalls als äußerst unrealistisch angesehen. Einmal, weil die italienische Regierung versprochen hat, nicht zur Lira zurückkehren zu wollen, zum anderen, weil Italien nach dem voraussichtlichen Ausscheiden Großbritanniens einer der wenigen EU-Netto-Zahler sein wird. Überhaupt gibt man sich in Rom ziemlich gelassen. Einer aktuellen Umfrage des Corriere della Sera zufolge unterstützen 59 Prozent der Italiener den Kurs ihrer Regierung. „Wenn die EU die totale Eskalation will, dann fragen wir das Volk. Und dann erhalten wir 70 Prozent“, glaubt Lega-Chef Salvini.