© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 45/18 / 02. November 2018

Wehrlose Beute
Migration und Biomacht: Warum sich in einer Gruppenvergewaltigung auch ein Staatsversagen offenbart
Thorsten Hinz

Erst mit zweiwöchiger Verspätung ist die Vergewaltigung einer 18jährigen in Freiburg im Breisgau bekanntgeworden, obwohl – oder eher: weil – die Tat von besonders abscheulicher Qualität ist und es sich um keinen individuellen, aus der Situation entstandenen Übergriff handelt, sondern um ein Kollektivverbrechen mit antideutscher Konnotation. Es gibt einen 21jährigen Haupttäter aus Syrien und sieben, darunter ein Deutscher, möglicherweise sogar 14 Mittäter, die sich vier Stunden lang an der jungen Frau vergangen haben. Sie sollen als hochkriminell bekannt und teilweise abschiebepflichtig gewesen sein. Niemand weiß, um den wievielten Vorfall dieser Art es sich handelt. Politik, Justiz, der Staat insgesamt, befinden sich im Versagermodus. Zusammen mit den Medien bilden sie ein dysfunktionales System, das seine Staatsangehörigen als wehrlose Beute feilbietet.

Um die sogenannte Zivilgesellschaft steht es nichts besser. Die Feministinnen und MeToo-Aktivistinnen, die wegen unzureichender Frauenrechte in Indien oder im Iran und wegen sexistischer Blicke des Chefs hyperventilieren, bleiben stumm. Zur Protestkundgebung der AfD in Freiburg fanden sich nur 500 Teilnehmer ein, zu den Gegendemonstrationen viermal so viele. Die Überzahl demonstrierte erklärtermaßen „gegen sexualisierte Gewalt gegen Frauen und gegen die Instrumentalisierung des Opfers“. 

Der Antagonismus, den sie behaupteten, ist falsch. Eine „Instrumentalisierung“ würde vorliegen, wenn die Tat in einen sachfremden Zusammenhang gestellt und zu eigennützigen Zwecken genutzt würde. Es geht aber darum, die politischen Voraussetzungen und Entscheidungen zu benennen und ins Bewußtsein zu heben, die solche Taten ermöglichen und befördern. Die guten Menschen in Freiburg und anderswo blockieren nur den gesellschaftlichen Erkenntnisprozeß. Ihre „Trauer“, ihr „Entsetzen“ und das „Mitgefühl“ mit dem Opfer sind impotente, weil folgenlose Bekenntnisse. In den Augen der Täter handelt es sich um weitere Zeichen von Schwäche, die ihre Verachtung für die deutsche Beute­gesellschaft steigern.

Ein von Bild abgedrucktes Facebook-Foto zeigt den Haupttäter Majid H. als den unumstrittenen Mittelpunkt einer Gruppe von rund 20 jungen Männern südländischer Herkunft an einer Freiburger Bahnhaltestelle. Sie strotzen vor Kraft und bersten vor Selbstbewußtsein, das sich in einer aggressiven Körpersprache manifestiert; einige zeigen den Stinkefinger. Ein Bekannter kommentierte: „Frauen mit Deutschpaß werden gesucht“. Auf einem anderen Foto posiert Majid H., der seit vier Jahren in Deutschland lebt, mit einem Maschinengewehr. Er schrieb dazu: „Ich bin Kurde und mein Herz ist eisern. Ich komme aus der Stadt Qamischli.“

Der Eindruck ist eindeutig: So präsentieren sich keine Schutzsuchenden, so schreiten Eroberer, die als Kampfplatz das Feld der Biopolitik für sich entdeckt haben, auf dem sie Stück für Stück nach der Macht greifen. Laut Giorgio Agamben und Michel Foucault äußert sich die „Biomacht“ durch Maßnahmen, „in denen die Macht selbst den Körper der Subjekte und ihre Lebensformen durchdringt“ (Agamben), wobei die Maßnahmen „nicht auf den Einzelnen, sondern auf die gesamte Bevölkerung zielen“ (Foucault), und zwar auf die Regulierung physischer Abläufe wie Fortpflanzung, Geburt und Tod. Auch die Konditionierung der Psyche durch äußere Eingriffe zählt dazu. Einer der schwersten und effektivsten Eingriffe ist die sexuelle Gewalt.

Um 1945 fanden in Deutschland massenhaft Vergewaltigungen statt. Die Berliner Tagebücher der Anonyma, von Margret Boveri oder Ruth Andreas-Friedrich geben davon ein anschauliches Bild. Letztere erklärte sich die „regimenterweisen“ Vergewaltigungen durch Rotarmisten mit der „Gattung der Naturmenschen. (…) wer triebhaft ist, will auch triebhaft besitzen. Fleisch oder Erde. Erde oder Fleisch. Dem Primitiven ist es dasselbe. Sieg ist ein physischer Vorgang. Physisch wird er empfunden, physisch auch abreagiert. Es ist nicht schön, aber verständlich. (…) Mit anderen Worten: Der russische Siegesrausch manifestiert sich im Fleische. Im Fleisch unserer Frauen. Leibhaftig nehmen sie Stück für Stück der deutschen Erde in Besitz; leibhaftig zeugen sie sich Nacht für Nacht in sie hinein.“

Der physischen Unterwerfung der Frau entsprach die Entwertung des Mannes durch die Demonstration seiner Ohnmacht. Frau und Mann durchlitten sowohl die eigene wie die Erniedrigung des anderen. Die Folgen dieses Eingriffs in den intimsten Bereich gleichen der von Jean Améry beschriebenen Wirkung der Folter: Sie zerstören die zwischenmenschliche Sicherheit und untergraben das Weltvertrauen. Margret Boveri schrieb rückblickend, „das ungeheure traumatische Erlebnis“ hätte sich „zu einem historischen Faktum verselbständigt und übersteigernd verwandelt“.

Ein ähnlich unverhohlenes Machtgefühl wie die sowjetischen Sieger demonstrierte der 31jährige ghanaische Asylbewerber, der im April 2017 ein in der Bonner Siegaue zeltendes Studentenpaar mit der Astsäge bedrohte und die Frau aufforderte: „Come out bitch. I wanna fuck you.“ Während der Vergewaltigung flehte ihr Partner per Telefon die überlastete Polizei um Hilfe an. 

Wieder ist der Staat – aus anderen Gründen zwar – außerstande, der Schutzfunktion für seine Bürger nachzukommen. Ob und inwieweit es sich dabei um die Objektivierung und politisch-historische Verselbständigung des Massentraumas von 1945 handelt, stellt ein eigenes Thema dar.

Man kann die Entwicklung freilich nicht auf Deutschland beschränkt und als Einbahnstraße betrachten. Der Staat der modernen Massendemokratie hat Räume der Freiheiten und Sicherheit eröffnet, in denen der einzelne sein Recht auf Leben, Gesundheit, Glück, Bedürfnisbefriedigung, auf sexuelles Laissez-faire verwirklichen konnte. Die aus einem menschenrechtlichen Universalismus abgeleiteten und definierten Vorrechte des Individuums überwiegen längst die Verpflichtungen gegenüber der partikularen Gemeinschaft und damit auch dem Staat.

Nun erfolgt der dialektische Umschlag des vom Bürger verabschiedeten, vom Humanitarismus durchsetzten Staates: Er öffnet im Zeichen des Universalismus seine Grenzen für eine ethnisch-kulturelle Transformation, in der die allseits befreiten Individuen sich unversehens archaischen Verhaltensweisen und fremder Biomacht ausgeliefert sehen. Die schwachen Reaktionen auf die Untaten in Freiburg und anderswo zeigen, daß eine Mehrheit ihre Lage weder begreift noch imstande ist, zu politischen Folgerungen und Entschlüssen zu kommen. Was heute noch verbrecherische Ausnahme ist, könnte daher bald die Regel sein.