© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 45/18 / 02. November 2018

Frisch gepresst

Deutsches Jahr. Hätten die Alliierten doch Christian Bommarius, aktuell ist er Kolumnist der Süddeutschen Zeitung, als Chef-„Umerzieher“ 1945 angeheuert. Was für ein Erfolg wäre der Reeducation beschieden gewesen! Wer es nicht glauben mag, kann sein Buch über das „lange deutsche Jahr“ lesen. Vor dem Hintergrund des Gründungsjahrs der beiden deutschen Staaten treibt den Autor die für ihn alles entscheidende Frage um, ob die Deutschen zu der Zeit überhaupt gute Demokraten werden konnten? Seine simple Antwort, nein, seine Begründung lautet folgendermaßen: Ein Deutscher sein kann jeder Idiot, schreibt Bommarius. Und 1948/49 verweigerten die Deutschen „das Versprechen“ sich abzuschaffen, womit der Autor das Grundgesetz meint. Dabei sei das die Forderung der Welt gewesen, „damit die Bundesrepublik werden kann“. Zum Beweis seiner These läßt der Germanist und Jurist bekannte und unbekannte Namen und Protagonisten dieser Zeit am Leser vorbeidefilieren. Der sollte sich allerdings die Mühe machen und die Namen und mager skizzierten Umstände, wie beispielsweise den Mord am Aachener Oberbürgermeister Franz Oppenhoff, lieber selbst nochmal nachschlagen. (mec)

Christian Bommarius: 1949. Das lange deutsche Jahr. Droemer Verlag, München 2018, gebunden 320 Seiten, 19,99 Euro





Babylon Berlin. Döblins „Berlin Alexanderplatz“ oder Falladas präzise Impressionen der Abgründe Berlins in den zwanziger Jahren waren der Griffzone vieler Privatbibliotheken bereits entrückt, als Volker Kutscher 2008 mit seinen Gereon-Rath-Romanen „die dunkle Seite der Goldenen Zwanziger“ in der Reichshauptstadt einem Massenpublikum erschloß. Die daran angelehnte TV-Produktion „Babylon Berlin“ steigerte das Interesse sogar zu einem regelrechten Hype, den die Journalistin Nathalie Boegel (Spiegel-TV) nun zielsicher mit ihrem flott und lebendig geschriebenen Sachbuch bedient. Darin schildert die frühere Polizeireporterin anhand zeitgenössischer Prozeßakten und Pressequellen den quirligen, seit 1929 zudem von politischen Kämpfen überschatteten Kosmos zwischen dem Elend übervölkerter Mietskasernen, der Halbwelt in „Mulackritze“ oder „Café Dalles“ im berüchtigten Scheunenviertel und den pompösen Glitzervarietés im Berliner Westen. (bä)

Nathalie Boegel: Berlin. Haupstadt des Verbrechens. Die dunkle Seite der Goldenen Zwanziger. Deutsche Verlagsanstalt, München 2018, gebunden, 288 Seiten, Abbildungen, 20 Euro