Man spricht vom Ersten Weltkrieg als der Urkatastrophe des an Katastrophen überreichen 20. Jahrhunderts. Und das mit Recht: Viel nachfolgendes Unheil nahm hier seinen Ausgang. Als vor hundert Jahren die Waffen schwiegen, waren die Feindseligkeiten noch lange nicht vorbei, die „Welt von gestern“ (Stefan Zweig) aber unwiderruflich vorüber. Zurück blieben am Grauen des Gemetzels irre gewordene Seelen, Waisen und Verstümmelte in großer Not. Mit der Abdankung der Monarchen war es mit dem Gottesgnadentum ein für allemal vorbei, doch die neue republikanische Ordnung hatte lange wenig Freunde. Der Nationalismus der kleinen Völker triumphierte und mündete in Gründungen neuer Republiken. Deutschland mußte große Gebiete abtreten (Elsaß-Lothringen, Westpreußen u. a.). Demütigung und Unterdrückung durch den Versailler Vertrag forderten den Wunsch nach Revision heraus. Das von US-Präsident Wilson hehr verkündete Selbstbestimmungsrecht der Völker wurde aus machtpolitischem Kalkül den Deutsch-Österreichern und den Sudetendeutschen vorenthalten; daß es den arabischen Völkern verweigert wurde, schwelt als Nahostkonflikt noch heute.
Zahl der kämpfenden Soldaten: Mittelmächte: 24,4 Millionen
darunter Deutsches Reich: 13,2 Mio.
Entente: mehr als 41,8 Mio.
Weltweit standen mehr als 66 Millionen Mann unter Waffen
Kriegsernährung
Hunger und Mangel beherrschten den Alltag der deutschen Zivilbevölkerung. Das Reich war stark von Lebensmittelimporten abhängig, das britische Handelsembargo und die Seehandelsblockade trafen deshalb hart. Arbeitskräfte und Zugpferde fehlten, die Agrarproduktion schrumpfte um bis zu 25 Prozent. Die Industrie erfand Lebensmittelsurrogate, Konrad Adenauer ließ „Kölner Brot“ aus Graupen und Maismehl backen. Die Steckrübe, zur Schweinemast gedacht, wurde im eisigen „Kohlrübenwinter“ 1916/17 Hauptnahrungsmittel des Volkes. Im Sommer 1917 lebten die meisten von weniger als 1.000 Kalorien und zehn Gramm Fett am Tag. Die Ziviltoten des Krieges gehen überwiegend auf Hunger zurück. Aus jener Zeit stammt der Topos, daß die „hartherzigen“ Bauern auf den Dörfern nichts hergeben.
Kampf mit Maschinen
Der Kriegsbegeisterung („August-Erlebnis“) folgte rasch Ernüchterung angesichts der gegenüber 1870/71 völlig gewandelten Realität des Krieges: Statt idealisiertem fairen Kampf sahen sich die Soldaten unaufhörlichem Trommelfeuer in den Materialschlachten ausgesetzt. Artilleriebeschuß im Stellungskrieg zwischen Kanalküste und Schweizer Grenze forderte fast die Hälfte aller Kriegstoten. Der schützende Stahlhelm gehörte erst ab 1916 zur Standardausrüstung. Neuartige Waffen wie Maschinengewehre, Giftgas, Panzer, Luftminen und Beschuß von Flugzeugen führten zu nie dagewesenen Verstümmelungen und Traumata.
Erste und letzte Gefallene
Der Kavallerist Paul Grun fiel mit 21 Jahren als erster Deutscher an der Ostfront. Am Sonntag, dem 2. August 1914, geriet seine Patrouille in Russisch-Polen in einen Hinterhalt von Kosaken. Grun verstarb zwischen 8.45 und 10 Uhr.
Erster deutscher Toter im Westen ist der Kavallerieleutnant Albert Mayer. Der 22 Jahre junge Mann fiel um 9.59 Uhr des 2. Augusts östlich des Dorfes Joncherey bei einem Feuergefecht seiner Patrouille mit einem französischen Vorposten.
Den Stuttgarter Leutnant Erwin Alexander Thomä ereilte noch am 11. November 1918 eine halbe Stunde nach Inkrafttreten des Waffenstillstands eine feindliche Kugel. Die Kunde vom Schweigen der Waffen war noch nicht überall hin durchgedrungen.
Zahl der Gefallenen:
Weltweit etwa 9 Millionen
Deutsches Reich: 2 Millionen
(15 Prozent der Soldaten)
Zivile Tote:
Weltweit etwa 6 Millionen
darunter Deutsches Reich: 700.000
Kriegsinvaliden im
Deutschen Reich:
insgesamt mindestens 90.000,
nach anderen Quellen 2,7 Millionen
körperlich und seelisch Schwerverletzte
1,2 Millionen Kriegswaisen
533.000 Kriegerwitwen
Kriegsziel: Sicherheit
Von den deutschen Kriegszielen, wie sie in der Mitteleuropa-Idee des (in der Forschung umstrittenen) Septemberprogramms von Kanzler Bethmann Hollweg 1914 anklingen – Deutschland umgeben von einem Ring durch Zoll- und Wirtschaftsverbund abhängiger Staaten –, war 1918 nichts mehr übrig. Aus dem unter der Kontrolle der Mittelmächte stehenden Regentschaftskönigreich Polen ging am 11. November ein unabhängiger, Deutschland feindlich gesonnener polnischer Staat hervor.
1914, 28. Juni: Attentat von Sarajevo
Ermordung des österreichischen Thronfolgers Erzherzog Franz Ferdinand durch serbische Nationalisten (Bild l.). Julikrise: Österreich-Ungarn stellt Serbien ein Ultimatum, dem Belgrad nicht bedingungslos nachkommt. 28. Juli: Kriegserklärung Wiens an Serbien. 29.–31. Juli: Russische Mobilmachung
1914, 1. August: Deutsche Generalmobilmachung
Durch wechselseitige Bündnisverpflichtungen eskaliert ein lokaler Konflikt zu einem weltumspannenden Krieg
1914, November – 1918, März: Stellungskrieg an der Westfront
Außer 1914 in Ostpreußen (russischer Einfall) und dem Elsaß finden Kämpfe nicht auf Reichsterritorium statt. Materialschlachten zwischen Deutschland, Frankreich und Großbritannien an der Somme (1916), um Verdun (1916) und in Flandern, Isonzoschlachten zwischen Italien und Österreich-Ungarn (1915–1917).
1917, 6. April: Die USA erklären dem Deutschen Reich den Krieg
1917, 7. November: Oktober-revolution in Rußland
1918, 3. März: Frieden von Brest-Litowsk
Das revolutionäre Rußland scheidet aus dem Krieg aus und tritt Polen, das Baltikum (16. Februar Litauen unabhängig), Finnland und die Ukraine ab.
1918, 21. März: Deutsche Frühjahrsoffensive an der Westfront
18. Juli: Gegenoffensive der Alliierten; 29. September: Die Oberste Heeresleitung fordert Waffenstillstandsverhandlungen
1918, 9. November: Ausrufung der Republik durch Philipp Scheidemann und wenig später durch Karl Liebknecht („Sozialistische Republik“) in Berlin; Kaiser Wilhelm II. flieht in die neutralen Niederlande; Friedrich Ebert (SPD) wird Vorsitzender des Rates der Volksbeauftragten (10.11.).
1918, 11. November: Waffenstillstand von Compiègne
Matthias Erzberger (Zentrum) unterzeichnet für das Reich die De-facto-Kapitulation mit von den Alliierten diktierten harten Bedingungen