© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 46/18 / 09. November 2018

Wiens Schritt zieht Kreise
Österreich: Mit ihrem Nein zum UN-Migrationpakt setzt die ÖVP-FPÖ-Regierung Zeichen und erzürnt die Opposition
Ralph Schoellhammer

FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache jubilierte auf Facebook. „Liebe Freunde. Ich darf mich heute mit einer klaren und erfreulichen Nachricht bei euch melden: Österreich sagt nein und tritt dem UN-Migrationspakt nicht bei!“ Als Vizekanzler habe er sicherstellen können, daß der Pakt, den die Freiheitlichen in wesentlichen Passagen und aus inhaltlichen Gründen konsequent ablehnen, nicht unterschrieben werde. Vor allem bedankte sich der 49jährige bei Bundeskanzler Sebastian Kurz, daß er die „massiven freiheitlichen Bedenken“ ernstgenommen und unterstützt habe. 

Der ÖVP-Chef pflichtete ihm bei und erklärte Mitte vergangener Woche zusammen mit Strache vor der Presse, daß sich die türkis-blaue Bundesregierung ausführlich mit dem UN-Pakt für eine „sichere, geordnete und reguläre Migration“ beschäftigt habe. „Gemeinsam“ sei dabei die Entscheidung getroffen worden, die „nationale Souveränität Österreichs zu wahren“. Zwar gebe es in dem Pakt Dinge, die die Regierungspartner positiv sehen, aber auch „einige Punkte, die man kritisch“ betrachte. Nach Prüfung der Möglichkeiten sei die ÖVP/FPÖ-Bundesregierung schließlich zu der Übereinkunft gekommen, daß  Österreich,den UN-Migrationspakt am 10. und 11. Dezember in Marrakesch nicht unterzeichnen und auch keinen offiziellen Vertreter zur intergouvernementalen Konferenz entsenden werde. Parallel dazu werde sich Wien bei der UN-Generalversammlung im September 2019 der Stimme enthalten

Opposition sieht den guten  Ruf Österreichs geschädigt

Die Opposition schäumte. Es sei ein „Armutszeugnis, daß sich mit der Ablehnung des UN-Migrationspaktes die österreichische Bundesregierung in dasselbe Eck stellt wie Trump und Orbán“, kritisierte der grüne Integrationslandesrat Rudi Anschober. Die türkis-blaue Entscheidung zeige „neuerlich deutlich auf, daß ganz offensichtlich Teile der österreichischen Bundesregierung keine Lösungen der Herausforderungen durch Migration“ wollten. Diese, so der Grüne, ließen sich „nur gemeinsam, durch internationale Kooperation der Staatengemeinschaft lösen. Dafür war und ist der UN-Migrationspakt ein erster Anlauf.“ 

Die SPÖ-Politikerin Selma Yildirim sieht Österreichs Ansehen im Ausland in Gefahr. Ein Pakt, der „noch von einem gewissen Außenminister Kurz ausverhandelt wurde“, so die stellvertretende SPÖ-Vorsitzende. „Ich finde es beschämend, wie sich die ÖVP – eine christlich soziale Partei – als willfähriger Kumpane einer FPÖ beweist, die das Zerstören der EU und in weiterer Folge internationaler Organisationen und deren Handeln im Visier hat“, betonte die Europaabgeordnete der linksliberalen Neos, Angelika Mlinar. 

Auch innerhalb der ÖVP sorgt die Entscheidung für Aufregung. Erhard Busek (ÖVP) erklärte im Standard, daß es nur „schwer erklärbar“ sei, daß sich Österreich „verabschiede“, nachdem  Kurz an Verhandlungen zum Migrationspakt noch als Außenminister mitgewirkt habe. Das sei der „Preis der Koalition“, so der Ex-Vizebundeskanzler. Die Bedeutung des Dokuments sei zwar „nicht gerade riesig, die Ablehnung aber ein Zeichen, das Österreich viel kosten“ werde. 

Doch trotz der Kritik und reihenweise offener Briefe von Migrationsexperten beharrt die Regierung auf ihrem Standpunkt. Selbst Bundespräsident Alexander Van der Bellen holte sich am Freitag mit dem Versuch, den Kanzler von seinem Kurs abzubringen, eine eiskalte Abfuhr. 

Der Kurs ist eindeutig: Auch weiterhin äußert die  Regierung erhebliche Bedenken hinsichtlich der Inhalte und Ziele des UN-Migrationspaktes. Vor allem dürfe es zu keiner Verwässerung von legaler und illegaler Migration kommen, wie es bei diesem Pakt zu befürchten sei, heißt es aus Wien. Die Souveränität Österreichs müsse zu jeder Zeit erhalten bleiben. Obwohl der UN-Migrationspakt nicht rechtlich, sondern nur „politisch verbindlich“ (Soft Law) ist, betont Kurz, daß die Regierung den Pakt als völkerrechtlich nicht verbindlich ansehe. 

Dagegen verweist Strache eher süffisant darauf, daß jeder der 23 Punkte im UN-Pakt Satzstücke wie „Wir verpflichten uns“, „werden aus diesem Grund Rechte erlassen“, „bestehende Rechte abändern oder revidieren“ enthalte. Doch werde es nicht dazu kommen. „Wir verpflichten uns ausdrücklich nicht dazu, und wir werden daher auch keine Rechte erlassen, abändern, revidieren oder gar entstehen lassen“, erklärt der FPÖ-Chef und warnt davor, daß auch ein unverbindliches Soft Law durch Hintertüren schnell zu einem rechtlich verbindlichen Gesetz mutieren könnte.

Vor diesem Hintergrund werde der Pakt noch in „einigen Ländern inhaltlich aufstoßen“, freute sich Strache. Neben den Aussteigern Österreich, USA und Ungarn gibt es vor allem in der Schweiz, Polen, Tschechien, Italien und Kroatien heiße Debatten um den „Global Compact for Safe, Orderly and Regular Migration“.





Österreich kritisiert folgende Punkte des UN-Migrationspaktes: 

 Erleichterung des Statuswechsels regulärer-irregulärer Migrant 

 Familienzusammenführung soll erleichtert werden 

 Verbesserte Inklusion in den 

Arbeitsmarkt 

 Schaffung einer Übertragung von Ansprüchen in die Sozialversicherung 

 Zurverfügungstellung einer Grundversorgung 

 Zurverfügungstellung von Schulressourcen 

 Zugang zu höherer Bildung 

 Anerkennung von formal nicht 

erworbenen Qualifikationen 

 Erleichterung von Unternehmensgründungen 

 Zugang zum Gesundheitssystem 

 Ansiedlungsoptionen für Klimaflüchtlinge 

 Übernahme von Best-practices in der Integration 

 Verfolgung von Haßverbrechen 

 Aufklärung über rechtliche Verfolgungsmöglichkeiten zugunsten der Opfer von Haßverbrechen (Anzeigen, Schadenersatz) 

 Verhinderung von Täterprofilerstellungen aufgrund der Rasse, Ethnie oder Religion 

 Motivierung zur Aufdeckung von Intoleranz 

 Verhinderung von Internierungen und das Verbot von Sammelabschiebungen