© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 46/18 / 09. November 2018

Radaranlagen für Windparks
Erneuerbare Energien: Jährliche Ausschreibungen beim deutschen Windenergieausbau werden erhöht
Henning Lindhoff

Die „große“ Koalition in Berlin will mehr Tempo beim Ausbau der erneuerbaren Energieträger in Deutschland machen. Bundeskanzlerin Angela Merkel und ihre SPD-Partner haben sich darauf geeinigt, Ausschreibungen für Vier-Gigawatt-Photovoltaik- und Vier-Gigawatt-Onshore-Wind-Anlagen in den Jahren 2019 und 2020 zu planen. Es ist eine deutliche Steigerung des bisherigen Volumens. Derzeit werden jährlich rund 2,8 Gigawatt Windstrom ausgeschrieben. In den kommenden Jahren 2020 und 2021 sind es aller Voraussicht nach 2,9 Gigawatt. In puncto Sonnenstrom werden regelmäßig 0,6 Gigawatt ausgeschrieben.

Die erweiterten Ausschreibungen sollen dazu beitragen, bis zum Jahr 2030 rund 65 Prozent des deutschen Strommixes durch erneuerbare Energiequellen abzudecken. Aktuell beträgt diese Quote 36 Prozent. Die zusätzlichen Anlagen könnten die Kohlendioxidemissionen hierzulande um acht bis zehn Millionen Tonnen pro Jahr senken. Des Weiteren sollen neue Förderbedingungen erprobt werden, die zu mehr Wettbewerb bei den erneuerbaren Energien führen sollen, teilten die Fraktionen von Union und SPD in der vergangenen Woche mit.

All diese vereinbarten Maßnahmen waren bereits Teil des Koalitionsvertrages. In diesem heißt es: „Der Ausbau der erneuerbaren Energien muß deutlich erhöht werden, auch um den zusätzlichen Strombedarf zur Erreichung der Klimaschutzziele im Verkehr, in Gebäuden und in der Industrie zu decken.“

Teure „bedarfsgerechte“ Nachtbeleuchtung

„Die Einigung ist längst überfällig“, erklärte der Hauptgeschäftsführer des Bundesverbands der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW), Stefan Kapferer. „Sie ist hoffentlich der Auftakt für eine energiepolitische Offensive der Koalition. Der bisherige Stillstand muß beendet werden.“ Nötig sei mehr Tempo beim Erneuerbaren-Ausbau. Denn „sonst schaffen wir das Ziel von 65 Prozent bis 2030 nicht“. Kapferer forderte zudem nicht zu strenge Abstandsregelungen bei Windkraftanlagen sowie einen „massiv beschleunigten Netzausbau“. Im Jahr 2017 wurden 467 Megawatt an alten Anlagen, die ihre Nutzungsdauer überschritten haben, wieder zurückgegebaut.

In diesem Punkt einigten sich die Koalitionsfraktionen darauf, eine Arbeitsgruppe unter Beteiligung der Bundesländer einzurichten. Diese soll über Mindestabstände, Höhenbegrenzungen, die finanzielle Beteiligung von Kommunen und die Veränderung von Planungsverfahren beraten. „Auf dieser Grundlage entscheiden wir im Herbst 2019 im Paket über konkrete Akzeptanzmaßnahmen und über Förderbedingungen“, erklärten die stellvertretenden Vorsitzenden der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Carsten Linnemann und Georg Nüßlein.

Das besondere Augenmerk der Verhandlungspartner lag auf der „bedarfsgerechten Nachtbeleuchtung“. So sollen Windkraftanlagen in Zukunft nur dann gefördert werden, wenn sie nachts „bedarfsgerecht“ beleuchtet werden. Dies bedeutet konkret, daß Warnlichter nur dann aufleuchten, wenn zum Beispiel ein Flugzeug in der Nähe des entsprechenden Windrades fliegt. Die Anwohner sollen dadurch weniger von Lichtern gestört werden. Bereits errichtete Windräder müssen ab 2021 ebenfalls bedarfsgerecht beleuchtet werden. Eine Ausnahme bilden die „kleinen Windparks“, für die der Umbau zu teuer wäre.

Wie diese „bedarfsgerechte Nachtbeleuchtung“ zukünftig funktionieren kann, zeigt ein Bürgerwindpark in Ockholm-Langenhorn in Schleswig-Holstein. Für diesen wurde ein Radarsystem zusammen mit Cassidian, der Verteidigungs- und Sicherheitsdivision des Luft- und Raumfahrtkonzerns EADS, entwickelt. Es arbeitet im X-Band-Frequenzbereich, der relativ kurzwelligen Strahlung des Radarspektrums, und überwacht den Luftraum bis zu einer Entfernung von acht Kilometern und einer Höhe von 600 Metern. Nur wenn sich ein Luftfahrzeug nähert, werden die Lichter der Windenergieanlagen für wenige Minuten aktiviert. Sämtliche sicherheitsrelevanten Funktionen kontrolliert das System selbständig und übermittelt regelmäßig einen Bericht an eine Überwachungszentrale. Im Störfall werden die Lichter der Windanlagen wieder eingeschaltet.

Kommunale Beteiligung an Windenergieunternehmen?

Die durch den Verband Deutscher Maschinen- und Anlagenbau (VDMA) vertretenen Hersteller von Windkraftanlagen – etwa Siemens Gamesa, Nordex und Senvion, MHI Vestas und General Electric – zeigten sich nach Bekanntgabe des Verhandlungsergebnisses zuversichtlich. Sie hoffen darauf, daß die Auktionen zügig erfolgen können.

Die Grünen kritisierten, das „Ener-giepaket“ der Koalitionsfraktionen komme „um Monate zu spät“. Die Ausschreibungen für das kommende Jahr seien kaum wirksam aufzustocken, so der Energieexperte der Grünen-Bundestagsfraktion, Oliver Krischer.

Der energiepolitische Sprecher der Linken-Fraktion, Lorenz Gösta Beutin, kritisierte es als „unzumutbar, daß Akzeptanz-Probleme bei der Windenergie die mangelnden Ambitionen beim Ausbau von Wind an Land begründen sollen“. Er schlug vor, stattdessen Kommunen an den Einnahmen der Windenergieunternehmen zu beteiligen: „Auch die Bürgerenergie, die Menschen vor Ort ermöglicht, sich an Windenergie zu beteiligen und zu profitieren, sorgt für Akzeptanz.“

Bundesverband Windenergie: www.wind-energie.de

Plattform der Windenergie-Gegner: www.vernunftkraft.de





Energieverbrauch Deutschlands sinkt

Laut aktuellen Erkenntnissen der Arbeitsgemeinschaft Energiebilanzen e.V. wurde in Deutschland von Januar bis September 2018 5,3 Prozent weniger Energie verbraucht. Für das gesamte Jahr 2018 werde ein Minus von knapp fünf Prozent erwartet, teilten die Statistiker mit. Verantwortlich für den Rückgang seien vor allem die steigenden Preise, die milde Witterung, sowie Optimierungen der Energie­effizienz.

Zum Rückgang hätten in den ersten drei Quartalen 2018 alle fossilen Energieträger beigetragen. Demgegenüber wurde mehr Energie aus Kernkraft und erneuerbaren Quellen verbraucht. Ein gutes Drittel des gesamten Energieverbrauchs entfiel der Studie zufolge auf Mineralöl. Erdgas steuerte 22,5 Prozent bei, Braun- und Steinkohle brachten es zusammen auf 22,2 Prozent. Die erneuerbaren Energien deckten 13,9 Prozent des Energieverbrauchs, die Kernenergie 6,5 Prozent. Die erneuerbaren Energien lieferten so den zweitgrößten Anteil an Strom. Durch den verringerten Verbrauch von Kohle, Erdgas und Mineralöl habe sich der Ausstoß von Kohlendioxid (CO2) in den ersten neun Monaten des Jahres um rund sieben Prozent verringert.