© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 46/18 / 09. November 2018

Pankraz,
U. Poschardt und die Schönheit des Autos

Bemerkenswerte kulturkritische Töne erklangen Ende voriger Woche in der Berliner Welt. Ihr Chefredakteur Ulf Poschardt höchstselbst beklagte an prominenter Stelle, daß die „Beseelung“ der technischen Apparatewelt, die einst durch das Erscheinen des Autos erfolgt sei, im Zuge des VW-Abgas-Skandals weitgehend kaputtgemacht worden sei. Dies sei ein herber geistespolitischer Verlust und kaum wieder gutzumachen.

Pankraz neigt dazu, solchem Urteil spontan zuzustimmen. Das Auto war, besonders in seiner Frühgeschichte, stets viel mehr als ein bloß technisch-ökonomisches Phänomen, es war gleichermaßen – weit intensiver als etwa elektrisches Licht, Telefon oder auch Flugzeug – ein ästhetisch-künstlerisches Ereignis, es beschäftigte Künstler wie Kunsttheoretiker, prägte entscheidend die Welt des modernen Designs, bewegte tatsächlich bei jedermann nicht nur den kalkulierenden Verstand, sondern auch und vor allem das Gefühl, die Sinnlichkeit, eben die Seele, den ganzen Menschen in all seinen Höhen und Tiefen.

Merkwürdig an dem Artikel von Poschardt ist nun aber, daß in ihm diese Beseelung in schier unglaublicher Weise sofort zusammenschnurrt zu einem bloßen Piff-paff-puff. Es gibt in ihm keine Farben, an denen sich die Seele erfreuen könnte, kaum Formen, Töne nur in der allergröbsten Art, nämlich als lautes Motorengedröhn, dazu Motoröl-Gestank und auf menschlicher Seite den pompös vorgezeigten  Drang zur Geschwindigkeit um jeden Preis à la Steve McQueen. Es ist, als würde jemand die Schönheit einer Frau beschreiben durch die Schilderung der Lautstärke und des Geruchs ihrer abgelassenen Darmblähungen.


Schönheit und ästhetische Kraft des Autos, so wäre dem entgegenzuhalten, beruhen jedoch keinesfalls auf Auspuffgetöse, Ölgestank und Geschwindigkeitsgeilheit: Die von Poschardt behauptete Ähnlichkeit zwischen einem Autorennen und einer Opernaufführung ist unsinnig. Autorennen standen auch nicht am Anfang des Autobaus, vielmehr ging es damals um Verbequemlichung und Ausgestaltung des bürgerlichen Alltags. Die ersten, berühmt gewordenen Automarken, Maybach, Bugatti, Duesenberg, Hispano-Suiza, bemühten sich vorrangig um Luxus, Augenfälligkeit, ästhetisches Wohlbefinden.

Man übertreibt also kaum, wenn man feststellt, daß das Auto von Anfang an (auch) als Kunstwerk gesehen und gebaut wurde. Zeugnis davon  legt nicht zuletzt jene legendäre Münchner Austellung ab, deren Katalog jetzt noch antiquarisch zu haben ist: „Das Automobil in der Kunst, 1886–1986“ (Prestel Verlag, München). Die Reproduktionen dort sind hervorragend und lassen kein historisches Objekt aus. Alles ist wohlgeordnet und von klugen (wenn auch manchmal marxistisch verdrehten und autoskeptischen) Kommentatoren an seinen Platz gestellt.

Was auffällt, ist, daß die angewandte Kunst in Sachen Auto offenbar stets besser war als die sogenannte freie, das heißt die Plakate der großen Automobil-ausstellungen, die Firmenprospekte, die diversen Accessoires, wie zum Beispiel Kühlerfiguren, die Preisfigurinen für die Erstplazierten der berühmten Autorennen – all das wird ausführlich gezeigt und offenbart eine weithin unbekannte, aber nichtsdestoweniger erstklassige, farbenreiche und höchst originelle Qualität. Jugendstil und Art déco hatten, so sieht man, hier ihre eigentliche Domäne.

Längst berühmte Kunsthandwerkerfamilien, wie die Bugattis, stiegen damals voll ins Autogeschäft ein und sorgten dafür, daß der künstlerische Standard ihrer Limousinen und Sportwagen stets gewahrt blieb. Bei der „freien“ Kunst machten die frühen, in leicht impressionistischem Stil hingeschmissenen Ölgemälde über die ersten Autorennen am meisten Spaß; Henri Charles Willems’ „Gordon-Bennett-Rennen“ von 1905 oder Louis de Schryvers „Ankunft des Siegers“ von 1906 sind wahre Kabinettstücke künstlerischer Verwegenheit und nicht zuletzt eines hintergründigen Humors, an den später kein Surrealist mehr heranreichte.


Immerhin, auch die Bilder von Salvador Dalí, Grant Woods „Tod auf der Ridge Road“, 1935) oder die Autogemälde der deutschen „Neuen Sachlichen“ (etwa „Berlin, Kaiserdamm“ von Gustav Wunderwald, 1926) sind ihr Geld wert. Bis in die vierziger Jahre des zwanzigsten Jahrhunderts hinein reichte die Lust der Surrealisten, Futuristen und Neuen Sachlichen am Auto als Darstellungsobjekt für ihre Gemälde, und dieser Lust korrespondierte auf seiten der Autobauer deren Lust an der sorgfältigen ästhetischen Ausfaltung ihrer Limousinen, Kabinette, Sportwagen und Rennmodelle.

Vermassung, Automatisierung der Produktion, strengste Kostenkakulation und Globalisierung der Geschäfte haben der glücklichen Synthese aus Auto und Kunst ein gründliches Ende gesetzt, wobei die „Schuld“ dafür übrigens nicht nur bei den Autobauern, sondern auch bei den bildenden Künstlern liegt. Diese haben sich zum großen Teil in bloße Gestikulierer und Parolenausgeber verwandelt. Gediegenes Handwerk spielt keine Rolle mehr. Und alle Autos sehen inzwischen fast gleich aus und werden nur noch danach beurteilt, wie groß ihr CO2-Ausstoß ist. Der Auspuff ist das Wichtigste, da hat er Welt-Chef wohl recht. 

Bleibt die Frage, wie es da mit der „Beseelung“ steht. Poschardt meinte damit, daß das Auto von uns früher nicht nur als technisches Allerweltsgerät verstanden wurde, sondern auf vertrackte Weise auch als ein Teil von uns selbst. Solange es sich da um eine feine Bugatti-Limousine handelte oder, sei’s drum, um einen niedlichen DKW oder Trabant, mochte das hingehen. Aber heute? Mit einem Allerweltskasten,  der nur noch laut röhrt und giftige Abgase ausstößt und den wir demnächst nicht einmal mehr selber lenken dürfen? 

Nein, dann doch lieber einen fliegenden Rucksack überhängen und mit ihm per Knopfdruck in zwanzig Metern Höhe um die nächste Hochhausecke segeln! Gute, weiche Landung direkt vor der Arbeitsstelle oder vor der Tür zum Psychiater ist natürlich inbegriffen.