© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 46/18 / 09. November 2018

Die Welt abhanden gekommen
Im Zeichen von Party und Präservativ: Ulrich Köhlers diese Woche in den Kinos anlaufende Film „In My Room“ zeigt die letzten Menschen
Sebastian Hennig

An einem grauen, verregneten Morgen sind plötzlich die Menschen weg. Unter Zurücklassung aller Apparate und Hilfsmittel haben sie sich bis auf einen letzten verflüchtigt. Nur Armin (Hans Löw) ist zurückgeblieben. Er hatte zuvor schon irgendwie den Anschluß verpaßt. In Ulrich Köhlers Film „In My Room“ wird diese ungewöhnliche Situation nicht als Apokalypse gezeigt. Sie setzt nur die Rahmenbedingungen der weiteren Handlung. Fast vierzig Minuten schleppt sich der Film im Gewöhnlichen dahin, ehe die wunderbare Wendung eintritt. Von jener Vorhölle her gesehen, ist dem Regisseur zuzustimmen, wenn er das Folgende ein Paradies nennt.

Armin ist einer jener Provinzler, die Berlin zur Hauptstadt machen. Wir können ihm beim Versagen zuschauen. Der Kameramann soll im Bundestag für einen Sender die führenden Abgeordneten filmen. Während der Auswertung des Materials sind nicht die Stellungnahmen von Karl Lauterbach und Sahra Wagenknecht zu sehen, sondern deren Hin- und Herlaufen und Gestikulieren jeweils davor und danach. (Der Film verwendet hier Originalaufnahmen.) Armin hat die falschen Knöpfe betätigt.

Vor solchen Katastrophen ist die Vertilgung des gesamten Menschengeschlechts beinahe eine Bagatelle. Dem modernen Menschen ist ohnedies die Welt abhanden gekommen. Bevor jedoch alle verschwinden, verscheidet zunächst Armins Großmutter (Ruth Bickelhaupt), als wäre sie die letzte Gerechte, die Gott davon zurückhält, die Einwohner Sodoms auszutilgen. Ans heimatliche Sterbebett begibt sich Armin, nachdem auch der klägliche Versuch gescheitert ist, mit der Klubbekanntschaft Rosa (Emma Bading) in seiner Einraumwohnung Hautkontakt herzustellen. Bewährte Betäubungsmittel sind wirkungslos. Hans Löw ist eines der traurigsten Mannsbilder, die der deutsche Film derzeit aufbietet. Seine Niedergeschlagenheit entbehrt aller Poesie. Er ist einfach erstarrt. Den Eintritt des Todes der Großmutter bekommt der neben ihr Sitzende nicht mit. Er läßt sich dort vom Vater (Michael Wittenborn) ablösen. In der Küche hockt er so gelähmt vor der glucksenden Kaffeemaschine wie zuvor am Bett der röchelnden Alten. Der Vater muß ihm den Sterbefall mitteilen.

Sind wir in der Lage zu einem Neuanfang?

Aus dem Auto erblickt er vom Ufer aus ein Schiff vorüberziehen, in fahler Beleuchtung und mit elektronischer Tanzmusik. Das gleiche Schiff treibt im trüben Tageslicht des nächsten Morgens steuerlos und menschenleer unter der Brücke dahin. Oben auf der Fahrbahn liegen die Motorräder verstreut. Es hat sich ausgerast. Der Regisseur meint dazu: „Die menschenleere Welt ist eine Versuchsanordnung, die der Frage nachgeht, ob wir – frei von sozialen Zwängen – zu einem Neuanfang in der Lage wären.“

Daß diese Frage unanständig ist, bekennt er selber, wenn er eingesteht: „Wir neigen dazu, gesellschaftliche Zwänge für unsere Unfreiheit verantwortlich zu machen. Dabei übersehen wir, daß unsere Biographien uns erst zu dem machen, der wir sind. Wir haben vieles verinnerlicht und können vielleicht gar nicht so viel mit der Freiheit anfangen.“ 

Tatsächlich verhält sich Armin nicht viel anders als bisher. Als er in der verwaisten Tankstelle etwas mitnimmt, legt er noch das Geld auf den Ladentisch. Andererseits haben die sozialen Zwänge selbstherrliche und archaische Züge lediglich eingedämmt. Die sterbliche Hülle der Großmutter ist ebenso erhalten wie die Tier- und Pflanzenwelt. Er entfacht ein Feuer unter ihrem Bett und fährt ab. Die Ungewißheit der Lage teilt sich dem Zuschauer mit. Der Film schafft hier überzeugende Bilder. Auf apokalyptische Zuspitzungen wird verzichtet. Es herrschen einfach die Stille und das Naturgeräusch. Der letzte Mensch bleibt Pilot und Maschinenführer. An der italienischen Staatsgrenze steigt er auf einen Rennwagen der Polizei um. Im Tunnel ist die Fahrt zu Ende. Verkeilte Fahrzeuge verbarrikadieren den Weg. Aus einem Anhänger läßt er einige Pferde frei, die mit den Hufen klappernd davontraben. 

Auf den kurzen Ausflug nach Südtirol folgend, entschließt er sich, im Lippischen Land seßhaft zu werden, mit Pflug und Pferdewagen, Hühnern und Ziegen. Das Unspektakuläre dieses Handelns macht das Filmmärchen glaubhaft. „Wenn dir alle Möglichkeiten offenstehen, dann kannst du auch das Naheliegende wählen“, erklärt Regisseur Köhler dazu.

Dieser Robinson trifft keinen Freitag, dafür findet sein Adam eine Eva. Als Armin verwundet und fiebrig heimkehrt, ist eine Frau auf seinem Hof. Vom Lager aus sieht er, wie Kirsi (Elena Radonicich) eines seiner Hühner köpft. Später findet der Rekonvaleszent es in einem aufbauenden Süppchen vor seinem Lager wieder. Die kurze Romanze trägt alle Züge der bisherigen sterilen Lebensweise. Vor allem gelingt es Armin nicht, Kirsi als Stammmutter eines neuen Geschlechtes von Menschen zu gewinnen. Köhler meint dazu: „Kirsi ähnelt dem Armin vom Anfang des Films, vom bürgerlichen Leben enttäuscht, ist sie zur Nomadin geworden. Die beiden Protagonisten haben entgegengesetzte Pfade genommen.“ Darin ähneln sie mehr Nietzsches letztem Menschen als dem Robinson. Der letzte Mensch, der diesem Namen noch Ehre machte, war wohl die Großmutter, von der wir kein Wort vernommen haben.

Filmstart ist am 8. November 2018

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