© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 46/18 / 09. November 2018

Die Deutschen für das Meer begeistert
Zum Gedenken: Vor hundert Jahren starb der Hamburger Reeder Albert Ballin
Eberhard Straub

Im Sommer 1914 herrschte nahezu ununterbrochen Kaiserwetter, auch am 20. Juni, als der Welt größtes Schiff, die „Bismarck“ vom Stapel lief. Sie war ein Meisterwerk deutscher Schiffbaukunst und als schwimmender Palast ein Gesamtkunstwerk, zu dem die technischen Fertigkeiten und Künste des Geschmacks beitrugen. 1861 spotteten Engländer noch, die Deutschen könnten gewiß den Boden pflügen, mit den Wolken segeln und Schlösser in der Luft bauen, aber niemals den Ozean oder auch nur schmale Gewässer überqueren. Unter Kaiser Wilhelm II. hatten Deutsche seit 1888 rasch die Welt davon überzeugt, daß sie in der Lage waren, auch die Meere zum Schauplatz ihrer erstaunlichen Tüchtigkeit und Einbildungskraft zu machen. 

Zu diesen Deutschen gehörte Albert Ballin, vor hundert Jahren am 9. November 1918 gestorben. Unter seiner Leitung wurde ab 1888 und seit 1896 als Generaldirektor aus der hanseatisch soliden und vorsichtigen Hapag die größte Reederei der Welt, von Neidern auch Weltballinie genannt, worin dennoch Anerkennung mitschwang. Er nahm den fast gleichaltrigen Kaiser beim Wort, daß Deutschlands Zukunft auf dem Wasser liege und Seefahrt bitter not tue. Den bürgerlichen, festlichen Wilhelminismus ergänzte alsbald sein ruheloser „Ballinismus“ des immer Weiter, Höher, und Schneller. Wer rastet, der rostet, die Welt war sein Feld, wie er immer wieder beteuerte. Ehrgeizige Deutsche verlangten nach Weltgeltung. Diese ließ sich nach den Vorstellungen der Zeit nur auf den Meeren erringen, die Kontinente verbinden und die vielen Welten zu einer weiten Welt vereinen. So wurde er für deutsche Bewunderer zum „Admiral der Weltwirtschaft“, zum „Napoleon der Meere“ oder zum „Prince of Hamburg“, der die Hansestadt seinem Willen unterwarf, wie gewiß nicht untüchtige Engländer staunten.

Der Matrosenanzug wirkte demokratisierend

Der Kaiser bewunderte solch unerschrockene Männer der Tat, die sich mit wahrhaft imperialem Zugriff alles und alle ihren Zwecken gefügig machten, was ihm die Reichsverfassung gar nicht erlaubte. Albert Ballin war berechtigterweise darauf stolz, neben Heinrich von Tirpitz, dem nicht minder genialen Schöpfer der Kriegsflotte, dazu beigetragen zu haben, daß so mancher phlegmatische deutsche Michel zu einem wagemutigen Jörg der Seefahrer geworden ist. Beide unternahmen viel, um Deutsche für Schiffe und das Meer zu begeistern und sie davon zu überzeugen, daß kaiserliche Macht identisch mit Seemacht sei. Im dunkelsten Schwarzwald oder jenseits der Oder saßen die Deutschen im Gasthaus zur Deutschen Flotte beisammen. Ihre Kinder wurden in den Matrosenanzug gesteckt, vom kaiserlichen Prinzen bis zum schlesischen Bergarbeitersohn. Eine Nation, die erst noch eine werden wollte, hatte ihr nationales Gewand entdeckt. Übrigens das erste, das alle oder fast alle Deutschen als Kinder trugen. Der Matrosenanzug wirkte demokratisierend; er machte alle gleich. Die Flottenbegeisterung war ein bürgerliches, sogar proletarisches Phänomen, eben ein nationales und volkstümliches.

Neuen Reichtum und alten Adel miteinander versöhnen

 Insofern beschrieb der Hamburger Bürgermeister Johann Burchard eine nahezu allgemeine Stimmung, wenn er den Kaiser immer wieder rühmte, das ganze deutsche Volk dem Meer vermählt zu haben. Wilhelm II. kam seit 1902 jedes Jahr auf drei Tage zu seinen Hamburgern, die ihn so gut verstanden. Die Arbeiter wählten mehrheitlich sozialdemokratisch für den Reichstag, aber bei den Kaisertagen im Sommer wegen der Segelregatta und des Pferderennens tummelten sie sich jubelnd auf den Straßen, um Ehrenbogen und Sinnbilder zu bewundern unter dem Klang von Posaunen- und Trompetengeschmetter; überall Fahnen, Girlanden, Wimpel, Adler und Kronen, überschwenglich feierten sich Kaiser und Reich. Die Honoratioren – hohe Beamte, Offiziere, Industriekapitäne, Journalisten, Abgeordnete und Professoren – versammelten sich um den Kaiser auf einem der eleganten Schiffe Albert Ballins, der Gastgeber und Zeremonienmeister war. 

Die Schiffe waren tatsächlich Staatsschiffe, wie anschließend bei der Kieler Woche, auf denen die sehr gemischte neue Gute Gesellschaft veranschaulichte, wie wenig reaktionär sie und ihr Bürgerkaiser waren, der bewußt danach trachtete, neuen Reichtum und alten Adel, ungewöhnlichen Luxus und guten Geschmack miteinander zu versöhnen. Albert Ballin übertrieb wahrlich nicht, wenn er seine  Reederei mit einer Kulturmission verband. Deutsche Schiffe sollten jedem auf allen Meeren zeigen, auch den höchsten Bedürfnissen der Großen Welt und ihres feinen Geschmackes vollauf zu genügen. Die Erlebnisgesellschaft entwickelte sich gerade und er bot ihr eine neue Sensation: die Erlebnisreise auf großen und kleineren Schiffen im Mittelmeer, in der Karibik, zur norwegischen Küste oder auf die Azoren und die Kanarischen Inseln. Dazu gehörte auch ein Unterhaltungsprogramm in den einzelnen Hafenstädten, an Bord ohnehin. Albert Ballin ist der erste Großorganisator perfekt durchgeplanter Vergnügungsreisen, für die aufwendig geworben wurde und an die Andenken aller Art später noch erinnerten.  

Es war nicht weiter verwunderlich, daß Wilhelm II. zu diesem Repräsentanten des kaiserlichen Reiches ein unbekümmertes Verhältnis unterhielt. Er besuchte ihn sogar zum Frühstück seit 1905 jährlich in seinem Palais, unbekümmert um Zeremoniell und zu achtende Hierarchien, weil das Stadtoberhaupt als Mitsouverän im Reich auf diese Art zurückgesetzt wurde. Albert Ballin wurde zu „Seiner Majestät Hofozeanjude“, wie der Journalist Maximilian Harden spottete oder galt einfach als einer vielen Kaiserjuden, mit denen Wilhelm II. unbefangen verkehrte. Diese bevorzugte Rolle gewährte dem Reeder einigen Einfluß, der aber ganz entschieden überschätzt wurde. Wilhelm II. achtete in politischen Angelegenheiten auf die Institutionen und Dienstwege. Wenn Albert Ballin sich indiskret in die Vergabe von Ministerposten oder in wirtschaftspolitische Pläne der Regierung einmischte, hörte ihm der Kaiser gut zu, wie er gerne Meinungen von überallher sammelte. Er hielt es nicht für weiter verwerflich, daß der Manager bei allen Versuchen, sich politischen Intrigen anzuschließen, stets an sich und die Hapag oder die deutsche Seefahrt dachte. Unternehmer könnten gar nicht von ihren besonderen Interessen absehen.

Der Erste Weltkrieg vernichtete sein Lebenswerk

Wie der Kaiser war Albert Ballin durch und durch anglisiert. Das half ihm aber nicht, englisch-deutsche Spannungen abzuschwächen. Er kam nie auf den Gedanken, daß Briten seine erfolgreiche Konkurrenz auf allen Meeren und seine erreichte Vorherrschaft auf dem Atlantik zusammen mit dem Bremer Lloyd auch als politische Herausforderung verstanden und nicht nur als reinen sportlichen Wettkampf. Wie die meisten liberalen Wirtschaftsführer gab er sich sorglos der Illusion hin, Ökonomen und er selber dächten immer sachbezogen, während Politiker sich von Wünschbarkeiten verwirren ließen. Er war ein Nationalist und Imperialist, der sich als solcher auf ein Wettrüsten auch in der zivilen Schifffahrt einließ. Die Namen der Schiffe auf englischer und deutscher Seite sind beredt genug: Gigantic, Olympic und Titanic, der auf deutscher Seite Imperator, Vaterland und Bismarck entsprachen und veranschaulichten, daß Deutschland nicht bereit war, auf seinen Platz unter der Sonne und auf den Weltmeeren zu verzichten. Daraus spricht keine Kurzsichtigkeit oder verwegener Leichtsinn. 

Im Zeitalter des Imperialismus und einer Weltwirtschaft, die ja als eminent politische Kraft die nationalen Wettbewerbe gerade nicht versachlichte, entschieden zivile und militärische Schiffe über den Rang einer Macht unter den übrigen Mächten. Alle Staaten, die in der Weltpolitik souverän mitspielen wollten, bauten Schiffe und betrachteten ihre Flotten als Unterpfand nationaler Größe und Selbständigkeit. Souveränität war damals an den Besitz von Schiffen gebunden, wie heute Atomwaffen bestätigen, keine abhängige Größe zu sein. Die Schiffe dokumentierten unübersehbar das wissenschaftlich-technische Wissen, den Fortschritt oder die Stagnation auf wichtigen Gebieten. Kein Staat und kein Unternehmer konnte unter den vorherrschenden sozialdarwinistischen Voraussetzungen, immer der Stärkste und Beste zu sein, für behagliche Entschleunigung werben und den Wettbewerb überhaupt in Frage  stellen. Denn vom Wettbewerb hieß es doch stets, er löse „spielend“, was die Politiker komplizierten.

Für Albert Ballin war der Ausbruch des Großen Krieges die Katastrophe schlechthin. Mit seinem Lebenswerk hatte er dem Deutschen Reich Glanz und Ansehen verschafft. Doch ohne ein mächtiges und souveränes Reich konnte es auch keine deutsche Schiffahrt im großen Stil geben. Der schon immer nervöse Mann wurde gejagt von Hoffnungen und Verzweiflung je nach der Kriegslage. Ihn beschäftigten zuweilen ganz neue Aussichten, Luftschiffahrt, Handelsflotten und Eisenbahn in einem großen System miteinander zu verbinden. Aber die militärische Niederlage des Reiches vernichtete sein Lebenswerk, das sich nur zusammen mit ihm so eindrucksvoll, kaiserlich und wirklich imperial, zu entwickeln vermochte. Er nahm eine Überdosis von Schlaf- und Schmerzmitteln. In Erinnerung bleibt er als ein feuriger und eleganter Weltmann, der den ohnehin glänzenden Wilhelminismus auf das Prächtigste zu inszenieren verstand.

Zu Albert Ballin zeigt das Internationale Maritime Museum Hamburg, Kaispeicher B, Koreastraße 1, bis zum April 2019 eine Sonderausstellung. Öffnungszeiten: täglich von 10 bis 18 Uhr. Der Eintritt kostet 13 Euro. Telefon: 040 / 300 92 30–0

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