© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 46/18 / 09. November 2018

„Habt ihr ihm die Hand gegeben?“
Getarnt als Witz: Komiker Oliver Polak wirft ZDF-Moderator Jan Böhmermann Antisemitismus vor
Tobias Dahlbrügge

Jan Böhmermann ein Antisemit? Während die etablierten Medien seine Sendung „Laß dich überwachen“ feiern, in der der Moderator vergangene Woche verdutzte Studiogäste mit deren Facebook-Beiträgen überrumpelte, geht dieser schwere Vorwurf gegen den ZDF-Mann fast ein wenig unter.

Der Komiker Oliver Polak hat ein gar nicht komisches Buch darüber geschrieben, welche Demütigungen er in seinem Leben einstecken mußte, weil er Jude ist: Vom Schulhof bis zum Medienbetrieb erlebte er immer wieder antisemitische Anfeindungen. Doch sein Kölner Verlag Kiepenheuer & Witsch will das Buch erst gar nicht drucken, da er eine Passage für „unseriös“ und „absurd“ hält – das könne nicht stimmen. Polak müsse vor sich selbst geschützt werden. Dieser einigt sich daraufhin mit Suhrkamp.

Es geht um ein Erlebnis mit Böhmermann. Polak beschreibt, wie dieser ihn nach einem Auftritt 2010 zusammen mit TV-Moderator Klaas Heufer-Umlauf und Komödiant Serdar Somuncu „ironisch“ von der Bühne vertrieben hat. Dabei demonstrieren die drei Ekel vor Polak. Somuncu ruft: „Juden schinden immer Zeit, damit sie hinterher Forderungen stellen können.“ Böhmermann zieht ein offenbar zu diesem Zweck hinter dem Sofa verstecktes Desinfektionsmittel hervor und fragt: „Habt ihr ihm die Hand gegeben?“ Dann desinfiziert er ihre Hände.

Polak selbst nennt in seinem Buch keine Namen, und auch viele Zeitungen übten sich diesbezüglich zunächst in Zurückhaltung, bis Medienjournalist Stefan Niggemeier die besagte Szene samt ihrer Beteiligten im Freitag öffentlich machte. Sie ist auf der DVD „Der Haßprediger: Hardcore Live!“ zu sehen, einem Mitschnitt von Somuncus 25. Bühnenjubiläum, das Böhmermann moderierte.

Böhmermann wollte sich zunächst nicht zu der Causa äußern und schrieb lediglich auf Twitter: „Ich kann leider ohne eine angemessene Umsatzbeteiligung nicht an der nachträglichen Umdeutung von ultrakrassen Ficki-Ficki-Comedykarrieren in schillernde, sensible Intellektuellenbiographien mitwirken.“ In seinem Podcast „Fest & Flauschig“ mit Musiker Olli Schulz kritisierte er dann, die Diskussion sei „irritierend unsachlich“ und betonte, bei der Szene handle es sich um einen Sketch als Gemeinschaftsarbeit, bei dem „alle Beteiligten ihre Rollen freiwillig selbstbestimmt gespielt haben“. Zur Show habe gehört, daß alle möglichen Gäste wegen rassistischer oder sonstiger Stereotype beleidigt werden. 

Trotzdem müssen sich einige Mainstreammedien die Frage nach moralischen Doppelstandards gefallen lassen. Denn die als Witz bemäntelte antisemitische Beleidigung hätte eine riesige Empörungswelle ausgelöst, wenn sie nicht von Böhmermann gekommen wäre, der sich mit „Blockierlisten“ und seiner Aktion „Reconquista Internet“ (JF 21/18) gern als „Nazi-Jäger“ in Pose wirft.