© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 47/18 / 16. November 2018

Böse Mitte?
Studie: Ausländerfeindlichkeit nimmt zu / Kritik an „unsachlicher Dramatisierung“
Karsten Mark

Die Leipziger Sozialpsychologen Oliver Decker und Elmar Brähler schlagen Alarm: „Fast jeder dritte Deutsche vertritt ausländerfeindliche Positionen“, lautet das Ergebnis ihrer aktuellen „Autoritarismus-Studie“, damit habe die Ausländerfeindlichkeit in Deutschland „erneut zugenommen“. „Die Aggression gegen Sinti und Roma, Asylbewerber und Muslime nimmt kontinuierlich zu“, sagt Brähler. Die „Mitte der Gesellschaft“ zeige eine „Flucht ins Autoritäre“.

In der Tat scheinen die Zahlen, die im Ergebnis einer schriftlichen Befragung von 2.416 repräsentativ ausgewählten Probanden stehen, für sich zu sprechen: Fühlten sich zum Beispiel noch 2010 rund 33 Prozent der Befragten durch Muslime als Fremde im eigenen Land, sind es 2018 in Ost wie West 55 Prozent. Sogar 60 Prozent der Deutschen stimmen der Aussage zu, daß Sinti und Roma zur Kriminalität neigen. Im Osten findet diese Position bei fast 70 Prozent Zustimmung. Die Leipziger Sozialwissenschaftler sehen damit ein weiteres Mal die Theorie vom „Extremismus der Mitte“ bestätigt, der zufolge der Faschismus in der sozioökonomischen Mittelschicht beheimatet ist.

Doch mit der zweijährigen Regelmäßigkeit, mit der Decker und Brähler ihre Studie seit 2002 fortsetzen, rufen sie auch immer wieder Kritiker auf den Plan. Aktuell hat sich der Chemnitzer Politologe und Extremismusforscher Eckhard Jesse in der Welt zu Wort gemeldet und die Zuspitzung der Ergebnisse durch seine Leipziger Kollegen als „unseriös“ bezeichnet. Es gebe eine „unsachliche Dramatisierung“, weil Ergebnisse und deren Interpretation „auseinanderklaffen“. Jesse stößt sich konkret daran, daß die als rechtsextrem eingestuften Einstellungen in Deckers und Brählers Studien zwar seit 2014 wieder ansteigen, bezogen auf den Ausgangspunkt im Jahre 2002 aber in wesentlichen Punkten sogar gesunken sind. 

So sank der Anteil der als „geschlossen manifest ausländerfeindlich“ eingestuften Befragten von einst 26,9 auf aktuell 24,1 Prozent. Die Gruppe der „geschlossen manifesten Antisemiten“ halbierte sich sogar von 9,3 auf 4,4 Prozent. Ebenso jene der „geschlossen manifesten“ Befürworter einer rechtsautoritären Diktatur von 7,7 auf 3,6 Prozent.

Kritiker stören sich an suggestiven Fragen

Auch die Methodik der Befragung hält Jesse, wie schon zahlreiche Kritiker vor ihm, für zweifelhaft. Als Indiz für Ausländerfeindlichkeit zählt in der Leipziger Studie etwa die Zustimmung zu der Aussage: „Wenn Arbeitsplätze knapp werden, sollte man die Ausländer wieder in ihre Heimat zurückschicken.“ Dies sei in der DDR gängige Praxis gewesen und erfahre deshalb Zustimmung – nicht aus Fremdenfeindlichkeit. So formuliert sei die Aussage nicht wirklich trennscharf: „Die Thesen zielen auf ein intellektuelles Publikum, das weiß, was es zu sagen hat“, so Jesse. 

In gewisser Weise räumen das auch die Leipziger Sozialforscher selber ein: Der Befund, daß Befragte mit Abitur signifikant seltener rechtsextrem eingestellt sind als weniger Gebildete, sei mit Vorsicht zu genießen. Mit einem höheren Bildungsabschluß gehe oft ein größeres Wissen darüber einher, welche Antworten bei Befragungen dieser Art sozial erwünscht sind. 

Eine suggestive Wirkung geht nach Ansicht vieler Kritiker auch von Aussagen wie: „Bei der Prüfung von Asylanträgen sollte der Staat nicht großzügig sein“, aus. Schon wer diese Aussage „eher“ bejahe, verfällt nach Ansicht der Leipziger Forscher einer „Einstiegsdroge in den Rechtsextremismus“.

Interessant, doch von den Verfassern der einst als „Mitte-Studie“ gestarteten Langzeitbeobachtung nicht weiter thematisiert, erscheint ein deutlicher Sprung in den über die Jahre gemessenen Meinungstrends. So ging der Anteil der als ausländerfeindlich Eingestuften zwischen 2012 und 2014 vor allem im Osten sprunghaft zurück, um seitdem wieder anzusteigen. Dürfte sich der erneute Anstieg noch recht naheliegend aus dem Einsetzen einer bis dato nie dagewesenen Masseneinwanderung erklären, so liegt der Sprung vor 2014 nicht gleich auf der Hand. Damit im Zusammenhang könnte eine Verschiebung des Fokus’ der Befragung auf die „Aufnahme autoritärer Einstellungen“ stehen. 

Von 2006 bis 2012 war die „Mitte-Studie“ in Zusammenarbeit mit der SPD-nahen Friedrich-Ebert-Stiftung entstanden. Dann trennten sich die Wege von Forschern und Förderern. Ab 2014 gab die Ebert-Stiftung ihre eigene „Mitte-Studie“ heraus. Die Leipziger „Autoritarismus-Studie“ wird aktuell von der Grünen-nahen Heinrich-Böll-Stiftung und der Otto-Brenner-Stiftung der IG Metall finanziert.

Aussagen zu Parteipräferenzen sind darin übrigens auch enthalten. Unter Wählern von Union, SPD und FDP sei vor allem die Ausländerfeindlichkeit relativ hoch, jeweils um die 20 Prozent, schreiben die Autoren. Anhänger der Grünen stimmten rechtsextremen Ansichten am seltensten zu, „wenngleich auch sie bestimmte rechtsextreme Aussagen nicht durchgehend“ ablehnten. Die größte Anhängerschaft von Personen, die rechtsextremen Aussagen zustimmen, hat den Forschern zufolge die AfD. Sie stimmen den zur Abstimmung gestellten Ansichten durchweg am stärksten zu.