© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 47/18 / 16. November 2018

Ländersache: Hessen
Knapp verschätzt ist auch daneben
Sandro Serafin

Es ging aus, wie es in Hessen ausgehen mußte: denkbar knapp. Bei der Landtagswahl am 28. Oktober brachte es die bisherige schwarz-grüne Regierung auf eine hauchdünne Mehrheit von einem Sitz. Und die Grünen schafften es mit 94 Stimmen Vorsprung gerade so vor der SPD auf Platz zwei – zumindest laut dem vorläufigen amtlichen Endergebnis.

Das jedoch könnte nur begrenzt aussagekräftig sein. Denn bei der Ermittlung der Zahlen kam es in Frankfurt, der größten Stadt des Landes, zu massiven Fehlern. Wie die FAZ berichtet, wurden bei der Auszählung Ergebnisse vertauscht, Zahlen verdreht und ganze Stapel mit Stimmzetteln vergessen. Hinzu kamen technische Probleme mit dem Übermittlungssystem des Landes, die die Arbeit für rund anderthalb Stunden erschwerten.

Landeswahlleiter Wilhelm Kanther bestätigte gegenüber der Welt zudem, daß das Wahlamt die Ergebnisse von einigen der insgesamt 490 Wahlbezirke einfach geschätzt habe – wohl weil es nicht mehr an die entsprechenden Informationen kam. Das sei zwar „kein normaler Vorgang“ und nicht „Teil einer geordneten Schnellmeldung. Aber trotzdem liegt das Ergebnis näher am endgültigen Wahlergebnis“, als wenn man gar keine Ergebnisse eingetragen hätte, begründete Kanther das Vorgehen. 

Aufgefallen waren vor allem merkwürdige Ergebnisse von CDU und AfD. So kamen die Christdemokraten in einem Teil von Oberrad gerade einmal auf 6,9 Prozent der Stimmen, während der Stimmanteil in der unmittelbaren Nachbarschaft bei über 20 Prozent lag. Dem Wahlleiter zufolge wären untypische Wahlergebnisse wie dieses auch ohne die Medienberichterstattung bemerkt worden: „Die Niederschriften von allen über 6.000 Wahlvorständen in Hessen werden nach dem Wahlabend von den Kreiswahlleitungen intensiv überprüft.“

Klar ist: Infolge der Erkenntnisse mußten zahlreiche Ergebnisse korrigiert, mehrere Stimmbezirke sogar neu ausgezählt werden. Daß die nachträglichen Änderungen am Ende zu einer anderen Sitzverteilung und einer Verschiebung der Mehrheitsverhältnisse im Parlament führen, ist so gut wie ausgeschlossen. Dennoch brachten die Meldungen den Prozeß der Regierungsbildung ins Stocken.

Die CDU hatte eigentlich am vergangenen Freitag mitteilen wollen, mit welcher Partei sie Koalitionsverhandlungen aufnimmt. Alles lief auf eine Fortsetzung der schwarz-grünen Regierung hinaus. Doch angesichts der Nachrichten aus Frankfurt erklärte Generalsekretär Manfred Pentz, man werde nun die Bekanntgabe des amtlichen Endergebnisses am 16. November abwarten.

Für Ministerpräsident Volker Bouffier heißt das: zittern. Denn das eigentlich schon tot geglaubte Bündnis von SPD, Grünen und FDP scheint nun wieder möglich. Die Liberalen hatten den Gang in eine Ampel-Koalition bisher in erster Linie deshalb abgelehnt, weil das nach dem bisherigen Stand einen grünen Ministerpräsidenten zur Folge gehabt hätte. Sollte die SPD nun aber doch vor den Grünen ins Ziel einlaufen, würde wohl Sozialdemokrat Thorsten Schäfer-Gümbel ein etwaiges rot-grün-gelbes Kabinett anführen. Zwar erklärte FDP-Fraktionschef René Rock gegenüber der Frankfurter Neuen Presse, daß auch das „sehr schwierig“ wäre. Er betonte jedoch auch: „Wir kneifen nicht vor einer Ampel.“