© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 47/18 / 16. November 2018

Der Teufel steckt im Detail
UN-Migrationspakt: Wohlfeile Worte sollen den Vertrag ausgewogen erscheinen lassen. Doch seine Stoßrichtung kann der Text nicht verschleiern
Michael Paulwitz

Die Bundesregierung ist in Erklärungsnöten. Der von Österreich mit einem Paukenschlag angekündigte Ausstieg aus dem UN-Migrationspakt hat auch in Deutschland eine Debatte ausgelöst, die der Koalition offensichtlich ungelegen kommt. Lieber hätte man wohl vor der Unterzeichnung im marokkanischen Marrakesch am 10. und 11. Dezember gar nicht über den „Globalen Pakt für sichere, geordnete und reguläre Migration“ gesprochen. 

Längst laufen Bundesregierung und regierungsnahe Medien der Kritik von AfD und alternativen Medien hinterher. Ursprünglich sollte der Migrationspakt nach zweijährigen Verhandlungen von allen 193 UN-Mitgliedstaaten unterzeichnet werden. Doch nachdem zunächst die USA, Australien und Ungarn und dann Österreich ausgestiegen sind und Polen, die Tschechische Republik und Kroatien Souveränitätsbedenken angemeldet haben, läßt sich der Vertrag nun nicht mehr als Routinesache abtun.

Das komplexe Dokument steckt voller Fallstricke und Zweideutigkeiten. Der Sprengstoff steckt vor allem im Detail. Formal umfaßt der Pakt nach einer Präambel 23 als „Ziele“ bezeichnete Kapitel, unter denen jeweils ganze Kataloge von Unterzielen, Selbstverpflichtungen und Einzelvorhaben aufgelistet werden. Unstrittiges und Selbstverständliches steht da neben Zumutungen und potentiell Zerstörerischem.

Die Fürsprecher des Pakts heben vor allem die Harmlosigkeiten hervor. Ein staatenübergreifendes Vorgehen gegen Schlepper und Schleuser oder die Bekämpfung von Fluchtursachen in den Herkunftsländern wird kaum jemand ablehnen, zumal diese selbst mit an Bord sein sollen. Wieviel bei solch allgemeinen Bekundungen herauskommen kann, steht auf einem anderen Blatt.

 Tatsächlich soll aus illegaler legale Migration werden 

Brisant ist der Pakt vor allem in seiner einseitigen ideologischen Ausrichtung, Migration ausschließlich positiv und wohlstandsfördernd zu betrachten. Es geht vor allem um Rechte und Ansprüche von Migranten, die in jeder erdenklichen Weise geschützt und gefördert werden sollen. Wirtschaftsmigranten stellt der Pakt mit Kriegs- und anderen Flüchtlingen gleich und begrüßt beide. Grundtenor des Pakts ist nicht, illegale Migration zu verhindern und einzudämmen, sondern sie in „geordnete und reguläre“ legale Migration zu überführen.

Daß sich diese Migration vor allem auf die westlichen Wohlfahrts- und Sozialstaaten richtet, ergibt sich auch aus der längerfristigen Agenda der Vereinten Nationen, die Ein- bzw. Auswanderung als Patentrezept empfiehlt gleichermaßen für die demographischen Probleme des überalterten Westens und der übervölkerten außereuropäischen Welt. 

Nehmen die Europäer die Verpflichtungen des Pakts ernst, würden sie ihre Sozialstaaten über kurz oder lang in die Luft sprengen. Breiten Raum hat in den entsprechenden Zielvorgaben die Verpflichtung, Migranten den regulären Grenzübertritt grundsätzlich zu gestatten, ihnen umfassenden Zugang zu Arbeitsmarkt und Sozialsystem zu gewähren, ihnen Rechtsmittel und Rechtswege zu öffnen, Familiennachzug zu erleichtern und die Beibehaltung ihrer kulturellen Traditionen zu ermöglichen.

Die Fürsprecher des Pakts verweisen zudem darauf, daß der Vertrag gleich mehrfach explizit als rechtlich „nicht bindend“ und die migrationspolitische Souveränität der Staaten nicht berührend bezeichnet wird. Offensichtlich sind diese Klauseln, die im Gesamtzusammenhang wie ein Fremdkörper wirken, aufgrund von Vorbehalten einzelner Teilnehmer eingefügt worden.

Der Gesamtzusammenhang des Textes spricht eine klare Sprache darüber, wie eine etwaige restriktive Migrationspolitik zu beurteilen wäre: nämlich negativ. Die Unterzeichner verpflichten sich ausdrücklich, positive Einstellungen zu Migration und zur Aufnahme von Migranten auf der Grundlage umfassend erhobener Daten und Fakten zu fördern – was bei der „objektiven“ Datenerhebung herauskommen soll, ist also auch schon vorgegeben. 

Und sie verpflichten sich, diskriminierende Äußerungen und Handlungen, „Rassismus“ und „Haß“ zu unterbinden und zu ahnden. Ob es bereits „Rassismus“ ist, wenn man eine Politik der offenen Grenzen nicht gutheißt oder Migration im großen Stil aus dem islamischen Kulturraum kritisch sieht, ist nur eine der vielen Fragwürdigkeiten.

„Ziel 17“ des Pakts geht sogar noch weiter: Darin verpflichten sich die Unterzeichner, einen „auf nachweisbaren Fakten beruhenden öffentlichen Diskurs zur Gestaltung der Wahrnehmung von Migration“ zu fördern. Das nachgeschobene Bekenntnis zur „freien Meinungsäußerung“ ist leere Beschwichtigung. Denn zugleich wird empfohlen, „hochwertige“ Berichterstattung durch Medien, auch im Internet, zu fördern, unter anderem durch „Sensibilisierung und Aufklärung von Medienschaffenden“, und Medien, die nicht mittun und „Intoleranz, Fremdenfeindlichkeit, Rassismus“ verbreiten, etwaige öffentliche Finanzierung zu entziehen. Im Klartext heißt dieser Gummiparagraph: Finanziert Propaganda und bestraft Kritiker.

Formell mag der Pakt rechtlich unverbindlich sein, politisch ist er es nicht. Durch die umfangreichen Selbstverpflichtungen geraten die Unterzeichnerstaaten unter moralischen Druck, den Vorgaben auch zu folgen. Unter dem Einfluß von Lobbyisten und wohlwollenden Richtern können aus dem sogenannten „Soft Law“, das dieser Pakt als eine nicht zwingende politische Absichtserklärung darstellt, am Ende doch harte Tatsachen werden.

Der Pakt wird zusätzliche Sogwirkung entfalten

Druck kommt zum einen von der Uno selbst: Die Staaten müssen regelmäßig über ihre „Fortschritte“ bei der Umsetzung des Pakts berichten, und das UN-Gremium „High Level Dialogue on International Migration and Development“, das schon bei der Vorbereitung des Pakts eine maßgebliche Rolle spielte, soll in „International Migration Review Forum“ umbenannt und um regionale „Foren“ erweitert werden, um die „Fortschritte“ zu überwachen und weitere Maßnahmen zu beschließen.

Zum anderen werden sogenannte Nichtregierungsorganisationen als Partner für die Umsetzung ausdrücklich benannt und somit aufgewertet. Die Paktteilnehmer verpflichten sich, diese Organisationen der Einwanderungslobby zu unterstützen. Da die Europäische Union voll hinter der Uno-Strategie steht, könnten die Vorgaben des Pakts zudem sukzessive in EU-Recht einfließen und den Mitgliedstaaten unter Umgehung ihrer Parlamente als bindendes Recht vorgesetzt werden. Diese Aussicht dürfte die Skepsis der Osteuropäer zusätzlich befördert haben. 

Afrikanische oder arabische Staaten, die tatsächlich Nachbesserungsbedarf bei der Behandlung von Migranten hätten, werden den Pakt dagegen nach Unterschrift wohl in der Schublade verschwinden lassen und weiter mit dem Finger auf den Westen zeigen. Die Uno-Unterorganisationen und Nichtregierungsorganisationen werden dafür sorgen, daß das Regelwerk in den Herkunftsländern der Migranten bekannt wird und zusätzliche Sogwirkung entfaltet. Für Länder wie Deutschland, dessen politische Eliten sich auf die Übererfüllung supranationaler Vorgaben noch etwas einbilden, könnte der UN-Migrationspakt so zum Selbstzerstörungsknopf werden. Die vorauseilende Zündung hat schon begonnen.





Befürworter

Bischöfliches Hilfswerk Misereor, Aachen

Das katholische Hilfswerk Misereor hätte lieber einen völkerrechtlich verbindlichen Vertrag gehabt. Der Pakt biete jedoch die Chance, „das Thema Migration international auf der Agenda zu halten“, sagte Geschäftsführer Martin Bröckelmann-Simon. Längerfristig könne er „endlich verbindliche Standards für den Umgang mit Migration und Migranten“ setzen.

 www.misereor.de

Institut für Weltwirtschaft (IfW), Kiel

„Nimmt man den Pakt ernst, dann sollte man die Möglichkeiten für reguläre Migration tatsächlich ausweiten.“ In Afrika gebe es „viele Menschen, die keine besonderen beruflichen Qualifikationen haben, aber in Deutschland durchaus Arbeit finden würden“, sagte Professor Matthias Lücke vom IfW der Welt.

 www.ifw-kiel.de

Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP), Berlin

Nach Auffassung der Stiftung stellt der Pakt  „eine historische Chance dar, zu einer wirksamen Steuerung der Wanderung zu kommen“. Die nationale Souveränität der Unterzeichnerstaaten schränke er nicht ein. Die SWP berät Bundestag und Bundesregierung in allen Fragen der Außen- und Sicherheitspolitik.

 www.swp-berlin.org





Gegner

Zivilgesellschaftlicher Widerstand

Eine Petition hat die Zivile Koalition e.V. initiiert. Sie warnt vor einer Aushebelung der Souveränität in Sachen Einwanderung und Migration. Die Bundesregierung müsse umgehend reagieren. Bis Redaktionsschluß haben nach Angaben des Vereins 570.835 Personen unterschrieben.

 www.abgeordneten-check.de/kampagnen/

Parteilicher Widerstand – AfD

Die AfD warnt auf ihrer Internetseite vor der Annahme des Migrationspaktes und untermalt die mahnenden Worte mit einem Countdown, der am 10. Dezember ende – dem Tag des UN-Gipfels in Marrakesch. Dazu werden kritische Handzettel, Aufkleber und Plakate zum Herunterladen angeboten.

 www.afd.de/migrationspakt-stoppen/

Parteilicher Widerstand – WerteUnion e. V. 

Die konservative Werte-Union in der CDU/CSU befürchtet ebenfalls, daß der Pakt zu vermehrter Einwanderung nach Deutschland führen wird, weil er weitere Anreize schaffe und gleichzeitig die Möglichkeiten einschränke, Migration zu steuern und zu begrenzen. In Kürze sollen bundesweit Unterschriften gesammelt werden, beschloß der Bundesvorstand der Werte-Union.

 https://werteunion.net