© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 47/18 / 16. November 2018

Die Kritik wird lauter
UN-Migrationspakt: Mehr und mehr Staaten bekommen Bauchschmerzen
Curd-Torsten Weick

Als erste zogen die USA die Reißleine. Bereits Anfang Dezember 2017 erklärten die USA ihren Rückzug aus dem Globalen Pakt für sichere, geordnete und reguläre Migration (GCM), der am 10. und 11. Dezember 2018 in Marrakesch, Marokko, verabschiedet werden soll. Kurz und knapp erklärte die amerikanische Uno-Botschafterin Nikki Haley, daß der „globale Ansatz“ in der New Yorker UN-Erklärung nicht mit der Souveränität der USA vereinbar sei.

Am 18. Juli 2018 schloß sich die Regierung von Viktor Orbán an. Das „voreingenommene“ Dokument widerspreche den Sicherheitsinteressen des Landes, betonte Außenminister Péter Szijjártó. Zudem basiere der Pakt auf der Annahme, daß Migration ein unvermeidliches Phänomen sei und fördere daher die Migration, anstatt sie zu begrenzen. 

Visegrád-Staaten ziehen fast an einem Strang

Für internationale Schlagzeilen sorgte dann die türkis-blaue Regierung in Wien am 31. Oktober. „Österreich wird dem Migrationspakt der Vereinten Nationen (UN) nicht beitreten“, erklärte Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP; JF 46/18) und zog sich prompt den Unmut von Spaniens Außenminister Josep Borrell zu. Eine „sehr schlechte Nachricht“, twitterte der Sozialist. Die Herausforderung durch die Migration könne nur in einem „breiten internationalen Konsens“ angegangen werden. Vizekanzler Heinz-Christian Strache (FPÖ) dagegen jubilierte: „Der Pakt wird noch in einigen Ländern inhaltlich aufstoßen.“

Zuerst stieß er zu Beginn dieser Woche überraschend in Bulgarien auf. Das Land werde sich nicht dem Globalen UN-Migrationspakt anschließen, meldete die bulgarische Nachrichtenagentur BTA unter Bezugnahme auf einen Beschluß des Koalitionsrates der Regierung. Nach Ansicht des Rates gefährdet das Abkommen die nationalen Interessen Bulgariens, erklärte der Vorsitzende der rechtsbürgerlichen Gerb-Partei Zwetan Zwetanow.

Wackelkandidaten waren in Europa neben Ungarn die drei anderen Visegrád-Staaten Tschechien, Polen und die Slowakei. Tschechiens Premier Andrej Babiš (Ano) macht seit langem keinen Hehl aus seiner ablehnenden Haltung. „Niemand anderes als wir selbst wird darüber entscheiden, wer aus dem Ausland sich in Tschechien ansiedeln und arbeiten darf“, zitiert Radio Prag den 64jährigen Politiker. Der Standpunkt seines Kabinetts habe sich nicht geändert: „Wir werden keine illegalen Migranten aufnehmen. Mir gefällt dieser Pakt nicht, denn der textliche Inhalt läßt sich breit interpretieren, und ein Mißbrauch ist nicht eindeutig ausgeschlossen.“

Ähnliche Töne kommen aus Warschau. Auf der Pressekonferenz mit Kanzlerin Angela Merkel nach Beendigung der deutsch-polnischen Regierungskonsultationen in Warschau am 2. November ließ Ministerpräsident Mateusz Morawiecki eher noch diplomatisch verbrämt verlauten: „Es ist sehr wahrscheinlich, daß wir, ähnlich wie Österreich, die Tschechische Republik und die Vereinigten Staaten, auch nicht Teil des UN-Migrationspakts sein werden, weil wir der Meinung sind, daß hier unsere Regeln, unsere souveränen Grundsätze, die auch den Grenzschutz und die Kontrolle über den Zufluß von Migranten betreffen, für uns absolute Priorität haben.“ Zuvor hatte bereits Polens Innenminister Joachim Brudzinski dafür plädiert, den GCM nicht zu unterzeichnen.

Dagegen kritisiertte auch  der slowakische Außenminister Miroslav Lajcák den Austritt Österreichs. Der Pakt sei nicht verpflichtend und habe lediglich Empfehlungen zum Inhalt, so der parteilose Politiker. Lajcák forderte alle an der Diskussion teilnehmenden Länder zu einem konstruktiven Dialog auf. Auch innerhalb des Landes soll noch einmal über Einwände zum UN-Migrationspakt diskutiert werden, versprach der sozialdemokratische Premier Peter Pellegrini. Zuvor hatte die oppositionelle Partei Freiheit und Solidarität (SaS), den Premier aufgefordert, Lajcák die Unterzeichnung des Pakts zu verbieten. 

Moskaus Lesart: Zustimmen und nicht dran halten 

In Slowenien fordert die oppositionelle konservative SDS die neue Mitte-Links-Regierung auf, die Vereinbarung abzulehnen. „Es behandelt alle Migranten gleich und beseitigt langfristig die Staatsgrenzen“, betonte der SDS-Abgeordnete Branko Grims. Nun soll die Nationalversammlung in Laibach am 21. November in einer Dringlichkeitssitzung entscheiden, wie sich das Land verhält.

Parallel dazu soll in Kroatien nun das Ministerium für auswärtige und europäische Angelegenheiten einen Bericht über den GCM ausarbeiten, der in letzter Zeit viele Streitigkeiten unter Politikern, vor allem zwischen Staatspräsidentin Kolinda Grabar Kitarovic und Premier Andrej Plenkovic, verursacht hatte. Der Bericht soll noch von der Regierung diskutiert und danach an das Parlament weitergeleitet werden.

Auch Australien könnte eines von den Ländern sein, die sich weigern, den UN-Pakt zu unterzeichnen. Denn Innenminister Peter Dutton macht keinen Hehl daraus, daß er das Abkommen als Bedrohung für die Souveränität und Sicherheit der Nation in Frage stellt. Neu-Premier und Ex-Einwanderungsminister Scott Morrison dürfte ihm keinen Stein in den Weg legen. Gilt er doch als Vater der rigiden australischen Migrationspolitik. 

Überraschenderweise legt Belgien die Zustimmung zum Pakt vorerst auf Eis. Der Staatssekretär für Migration Theo Francken (N-VA) stört sich vor allem an der Beschränkung der Ausweisung abgelehnter Einwanderer. „Es ist notwendig, mehr Informationen zu diesem Text zu erhalten. Unsere Experten werden in den kommenden Tagen weiter arbeiten“, betont Premier Charles Michel. Vor allem solle Außenminister Didier Reynders Kontakte auf europäischer Ebene knüpfen. Angesichts der Bedeutung des Themas beabsichtige die Regierung „richtige“ Entscheidungen zu treffen und eine starke internationale Zusammenarbeit sicherzustellen, unterstrich der liberale Premier. 

Neue Dynamik entfaltet das Thema in der Schweiz. Nach der Staatspolitischen Kommission verlangt nun auch die Außenpolitische Kommission des Ständerates (APK-S), daß der UN-Migrationspakt dem Parlament zur Zustimmung vorgelegt wird. Nun soll der Ständerat am 29. November und der Nationalrat am 6. Dezember entscheiden. 

Wie in der Schweiz (SVP, FDP) sind es auch in Dänemark, Norwegen und Schweden die rechtsbürgerlichen Parteien, die die positive Haltung der Regierungen kritisieren. In Großbritannien, Israel, Spanien und selbst in Italien, wo Premier Giuseppe Conte gerade noch seine Unterstützung für den Pakt betont hat, gibt es keine öffentliche Debatte. Selbst in Frankreich, wo die größte Oppositionspartei in der Nationalversammlung, die Republikaner, als auch Marine Le Pens Rassemblement National einwanderungskritisch sind, ist die Diskussion zum Thema Migrationspakt eher leise. Le Pen begrüßt den Rückzug anderer Länder als „Rückkehr des gesunden Menschenverstands in Europa“ – ohne aber selbst in Paris eine Debatte anzustoßen.

Rußland hat seine eigenen Bedenken hinsichtlich des UN-Pakts zur Migration. Alexander Pankin, stellvertretender Außenminister, unterstrich bereits im April, daß „solche Gesetze weder dazu beitragen, unsere nationale Sicherheit zu verbessern noch den normalen Charakter der Beziehungen zu Migranten in Rußland gewährleisten“. Und Tatiana Ilarionova, Professorin am Institut für Staatsdienst und Verwaltung, weist darauf hin, daß Präsident Wladimir Putin bereits Ende Oktober das neue Konzept russischer Migrationspolitik bis 2025 unterschrieben habe. Selbst wenn Rußland dem Pakt in Marokko zustimme, werde dieses neue Konzept die Moskauer Migrationspolitik bestimmen. Ilarionova: „Wir haben schon unsere eigenen Vorstellungen von einer Migrationspolitik.“