© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 47/18 / 16. November 2018

Mut zur Nische
Gesundheitsindustrie: Deutschland ist längst nicht mehr die Apotheke der Welt / Forschung in USA und Japan, Massenproduktion in China und Indien
Carsten Müller

In Zeiten, in denen es an den Börsen zunehmend rauher zugeht, rückt der Gesundheitssektor bei Geldanlegern noch stärker in den Fokus. Die entsprechenden Unternehmen gelten als defensive Investments, da die Nachfrage nach Medikamenten in der Regel nicht abhängig ist von der Konjunkturlage. Was nicht bedeutet, daß Firmen aus dieser Branche risikolos wären. Gerade Pharma- und Biotech-Firmen weisen einige Besonderheiten auf.

So kann es zehn Jahre dauern, bis ein neues Medikament tatsächlich in den Apotheken landet. Kein Wunder also, daß sich viele Investoren vor allem auf solche Pharmafirmen einlassen, die über ein breites Portfolio an Medikamenten verfügen. Das führt dazu, daß sich an der Branchenspitze im weltweiten Maßstab seit vielen Jahren nicht viel geändert hat. Bis in die achtziger Jahre, als es Hoechst, Schering, Boehringer Mannheim oder Gödecke noch gab, galt Westdeutschland als „Apotheke der Welt“. Heute wird die Pharmabranche von amerikanischen und japanischen Unternehmen dominiert, Standardwirkstoffe werden zunehmend billig in China und Indien hergestellt – was nicht ohne Risiko für die Patienten ist (JF 36/18). Einige europäische Konzerne wie Sanofi, Roche und Novartis können ebenfalls mitspielen. Doch ein deutsches Weltunternehmen – jenseits der Pharmaabteilungen bei BASF und Bayer – sucht man vergebens.

Dennoch gibt es auch in Deutschland weiter einen breit aufgestellten Gesundheitssektor, der jedoch eher von Mittelständlern oder Spezialisten geprägt ist, die in ihrer jeweiligen Nische sehr erfolgreich sind, aber nicht mit den Geschäftsvolumen der US-Konzerne Johnson & Johnson oder AbbVie mithalten können. Hinzu kommt, daß sich in den vergangenen Jahrzehnten das Bild der deutschen Pharmabranche stark gewandelt hat. Der Bayer-Konzern, der 2006 die Berliner Schering AG übernommen hat, wird nicht mehr als Pharma-Unternehmen wahrgenommen, auch wenn das Medikamentengeschäft im ersten Halbjahr 2018 knapp 45 Prozent zum Umsatz beitrug. Mit der Übernahme des umstrittenen amerikanischen Saatgut-und Pflanzenschutz-Herstellers Monsanto hat sich Bayer einen neuen Anstrich gegeben. So sind nun Boehringer Ingelheim und die Damstädter Merck KGaA, die in diesem Jahr ihr 350jähriges Bestehen feiern kann (JF 35/18), sowie Fresenius Kabi die drei größten unabhängigen deutschen Pharma-Unternehmen.

Medizintechnik und Krankenhausbetreiber

In der Medizintechnik spielen hingegen gleich zwei hiesige Unternehmen in den globalen Ranglisten ganz vorne mit. Mit rund 17,7 Milliarden Euro Umsatz im vergangenen Jahr trumpft der Dialyse-Spezialist Fresenius Medical Care (FMC ) auf. Das 1996 gegründete Unternehmen ist durch eine Vielzahl von Übernahmen zu einem der weltweit größten Anbieter von Dialysezentren und auch von Dialyseprodukten geworden. FMC ist Bestandteil des Gesundheitskonzerns Fresenius, der über seine Tochter Helios zu den größten Krankenhausbetreibern Deutschlands gehört.

Fresenius ist ein echtes Urgestein deutscher Wirtschaftsgeschichte. Die Wurzeln des international tätigen Konzerns gehen auf die bereits 1462 in Frankfurt am Main gegründete Hirsch-Apotheke zurück. Der zweite wichtige Medizintechnik-Konzern ist als Aktienwert ein echter Neuling. Denn erst in diesem Jahr wurde Siemens Healthineers aus dem Siemens-Konzern ausgegliedert und an die Börse gebracht. Medizintechnisch gesehen ist das Unternehmen aber ebenfalls ein echtes Urgestein. Denn bereits 1850 begann das Vorläuferunternehmen mit der Produktion elektromedizinischer Geräte.

Heute ist Siemens Healthineers mit einem bisherigen Jahresumsatz von über 13 Milliarden Euro die Nummer sechs in der Rangliste der global tätigen Medizintechnikunternehmen. Neben diesen beiden Schwergewichten gibt es noch eine Vielzahl deutscher Spezialisten wie Stratec Biomedical, Eckert & Ziegler oder Co.don, die zum Teil schon profitable Nischen besetzen konnten und damit letztlich auch den Nimbus deutscher Technik-Tüftler fortführen können. Carl Zeiss Meditec ist das umsatzstärkste börsennotierte Unternehmen in Thüringen.

Auch in der Biotechnologie, die in den vergangenen 20 Jahren einen regelrechten Siegeszug begann, sind deutsche Firmen erfolgreich dabei. Zwar fehlen hier noch die großen Namen, die es mit Amgen oder Biogen in den USA aufnehmen könnten. Doch gibt es eine Vielzahl von Biotech-Unternehmen, die bereits Präparate an den Markt bringen konnten oder sich auf sehr gutem Weg dazu befinden. Dazu gehören unter anderem auf Morphosys, Evotec oder Medigene.

Doch trotz aller Erfolge: Deutsche Gesundheitsunternehmen in all ihren Ausprägungen und Spezialisierungen werden es wohl auch in Zukunft nicht mehr schaffen, an die Schwergewichte aus Übersee heranzukommen. Allerdings sind sie gesuchte Kooperationspartner, was sich schon jetzt an den vertriebenen Medikamenten und Technologien erkennen läßt.

Und nicht zu vergessen: Deutsche Firmen sind immer wieder Übernahmeziele. Erinnert sei beispielsweise an die Übernahme von Ratiopharm durch die US-israelische Teva Pharmaceutical. Was auch andere Firmen betrifft. So gaben internationale Investoren im vergangenen Jahr einen Großteil ihrer europäischen Investmentgelder – insgesamt rund elf Milliarden Euro – in Deutschland aus. 

Spitzenreiter waren die Private-Equity-Firmen Bain und Cinven, die für den hessischen Arzneimittelhersteller Stada vier Milliarden Dollar springen ließen (JF 17/17). Andere Investitionen gingen insbesondere in den Bereich Kliniken und Pflegeeinrichtungen. Dennoch dürfte der deutsche Gesundheitssektor trotz dieser Highlight-Übernahmen nicht viel von seinem mittelständischen Charakter verlieren und sich insbesondere technologisch eine gute Positionierung im globalen Maßstab sichern.

Verband Forschender Arzneimittelhersteller:  www.vfa.de/