© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 47/18 / 16. November 2018

Pankraz,
M. Lemling und die Freiheit der Regale

Untenrum frei“ – so der Titel des ersten Buches der Feministin Margarete Stokowski (32), das vor zwei Jahren bei Rowohlt erschien und für einige Unruhe sorgte. Als die Autorin, ebenfalls wieder bei Rowohlt, kürzlich unter dem Titel „Die letzten Tage des Patriarchats“ eine Aufsatzsammlung von sich nachreichte, wurde sie von Michael Lemling, dem Geschäftsführer der traditionsreichen Buchhandlung Lehmkuhl in München-Schwabing, für Ende November zu einer öffentlichen Lesung in seinem Haus eingeladen. Stokowski sagte zu, und alles schien seinen normalen Lauf zu nehmen.

Doch jetzt ist plötzlich Schluß mit der bürgerlichen Normalität. Die Untenrum-frei-Feministin meldete sich bei Lemling und teilte ihm mit, daß sie ihre Lesung absage. Denn sie habe inzwischen erfahren, daß es in seinem Buchladen auch ein kleines Regal gebe, in dem „Literatur von rechts“, zum Beispiel  Bücher des Verlags Antaios, zum Verkauf angeboten würden. „In solcher Gesellschaft“ wolle sie auf keinen Fall erscheinen, und deshalb werde sie sich im literaturfreudigen Schwabing umgehend ein anderes Podium suchen – und mit Sicherheit schnell finden.

Michael Lemling hat die Absage auf der Website von Lehmkuhl mit geradezu großväterlicher Geduld kommentiert. „Wer sich gegen Rechts engagiert“, schrieb er, „sollte wissen, was Rechte denken und lesen, wie sie argumentieren. (…) Bessere Einführungen in rechtes, identitäres Denken als die Bücher der (von Stokowski) Genannten gibt es nicht. Das ist Aufklärung im O-Ton. Gefährden wir damit unser Publikum? Müßten wir nicht jeden, der mit Kubitschek an die Kasse kommt, fragen, wes Geistes Kind er ist? Nun: Wir glauben an die intellektuelle Spannkraft unserer Kunden und sind überzeugt, daß das Lesen rechter Publizistik nicht wehrlos macht. Im Gegenteil!“


Margarete Stokowski antwortete ihm umgehend auf der  Netzseite von Rowohlt: Zwar teile sie seine „Sichtweise, daß man die Positionen von Rechten kennen sollte, um gegen sie zu argumentieren. Wo wir wohl unterschiedlicher Auffassung sind, ist die Frage, ob man deren Bücher dann auch kaufen sollte beziehungsweise zum Kauf anbietet. Für mich gehört es sehr zentral zum Engagement gegen Rechts, daß man die Positionen von Rechten und Rechtsextremen nicht normalisiert. (…) Man muß diese Texte nicht unbedingt kaufen, dafür gibt es Bibliotheken, Archive und so weiter.“

Und so etwas ausgerechnet im Rowohlt-Verlag! Sein Gründer, der legendäre Ernst Rowohlt, wird sich im Grab umdrehen. Für ihn bestand das Verlagsgeschäft gerade darin, Autoren, die etwas zu sagen hatten und es gut zu formulieren wußten, im gleichen Haus aufeinander loszulassen und so erhellende, gesellschaftlich notwendige Debatten in Gang zu bringen. Begriffe wie „Totschweigen“ oder „Nichtmiteinanderreden“ kannte er gar nicht. Leute wie Margarete Stokowski mußten kommen, um das abzuändern; Leute, für die das „Untenrum frei“ aufs engste mit dem Prinzip „Oben im Kopf möglichst unfrei“ verbunden ist. 

Die gegenwärtige Affäre „Stokowski kontra Lehmkuhl“ markiert sehr deutlich eine weitere Verschärfung des Krieges der im Geistesleben (und nicht nur dort) herrschenden Linken gegen die Meinungsfreiheit. Ihre Drohungen und „präventiven Maßmahmen“ gegen unerwünschte Meinungen werden immer konkreter – und brutaler. Ging es bisher vorrangig um die „Reinigung“ bekannter Archive und Bibliotheken, so wenden sich die Reiniger und Formierer jetzt offenbar verstärkt dem freien Buchhandel zu, der ohnehin schon in großen ökonomischen Schwierigkeiten steckt. 

Selbsternannte Kontrolleure machen sich auf, um nicht nur die Schaufenster und Großauslagen, sondern auch noch die kleinsten Regale in den verstecktesten Winkeln der Verkaufsräume nach zu vernichtender Ware zu durchschnüffeln. Und was heißt überhaupt Ware? Die schlimmste Missetat der Buchhändler besteht in den Augen von Margarete Stokowski & Co. darin, daß sie es wagen, mit Büchern „rechter“ Verlage tatsächlich Geschäfte zu machen!


Pankraz fragt sich kopfschüttelnd, wie lange sich die Buchhändler solche Brutal-Zensur noch gefallen lassen werden. Sicherlich, viele von ihnen sind selber links und fühlen sich manchmal als eine Art Volkserzieher. Zum anderen aber sind es in der Regel vom gelernten Beruf her ganz normale Geschäftsleute, die erfahren haben, daß man selbst in schweren Zeiten mit dem Verkauf von anspruchsvoller Literatur sein Auskommen finden kann. Diese Erfahrung möchten sie sich nicht einfach von dahergelaufenen Regalschnüfflern ausreden lassen. Ihre Verkaufsregale sollen frei bleiben. 

Lehmkuhl-Geschäftsführer Michael Lemling liefert dafür ein gutes Beispiel. In seiner ersten Reaktion auf die Absage der Lesung von Stokowski äußerte er sich noch kollegial-verständnisvoll, doch als die Autorin  ihm dann auf der Rowohlt-Website vorwarf, daß er mit „rechter Literatur“ Geschäfte mache, schlug er in einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung kräftig zurück: „Ich glaube, daß wir dringend wissen müssen, wie diese Leute“ (er meinte die Autoren von Antaios, von denen Pankraz übrigens auch einer ist) „denken und argumentieren, sonst ist die Debatte so hilflos, wie wir es gerade erleben.“

Und weiter der Buchhändler Lemling: Götz Kubitschek (der Besitzer des Antaios-Verlags) und seine Autoren „fordern einen richtig heraus. Die haben Gramsci, Carl Schmitt und Ernst Jünger gelesen, sie diskutieren Marx von rechts und schreiben Artikel auf einem Niveau, bei dem man erst mal ins Schleudern kommt. Das Wort vom Rechtsintellektuellen ist da schon richtig. Die haben auch eine Lesebegeisterung, die manchen Linken heute abgeht. So kommen wir nicht weiter. Deshalb finde ich, daß wir sie genau studieren sollten.“

Das sind zweifellos schöne Sätze aus Buchhändlermund, nicht nur weil sie Autoren schmeicheln, sondern auch und vor allem, weil sie für den gegenwärtigen Diskurs dringend gebraucht werden.