© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 47/18 / 16. November 2018

Manche Abdankungen erfolgten auf Zuruf
Im November 1918 endeten jahrhundertealte Dynastien in den deutschen Fürstenstaaten überraschend unspektakulär
Jürgen W. Schmidt

Es ist bekannt, daß der sächsische König Friedrich August III. im November 1918 die Aufforderung zur Abdankung mit den verärgerten Worten „Dann macht doch eiern Dregg alleene“ quittierte. Als die Dresdener knapp zehn Jahre später massenhaft zusammenströmten, um ihren Ex-König auf der Durchreise nach seinen schlesischen Gütern auf dem Hauptbahnhof zu begrüßen, drohte er ihnen spaßhaft mit dem Zeigefinger und meinte: „Ihr seid mir ja scheene Reppubliganer.“ An seinen Trauerfeierlichkeiten im Jahr 1932 nahmen über eine halbe Million Sachsen teil. 

Während man Anfang November 1918 in breiten Volkschichten Deutschlands meinte, Kaiser Wilhelm II. und die Hohenzollerndynastie opfern zu müssen, um von den Ententemächten dafür einen „günstigen“ Frieden zu erlangen, so war die Lage bei vielen bundesfürstlichen Dynastien anders. Einerseits waren diese, wie etwa die Wettiner in Sachsen oder die Wittelsbacher in Bayern, in ihren Monarchien ziemlich beliebt. Die kleinen bundesfürstlichen Herrscherhäuser genossen in ihren Kleinstaaten oft regionale Popularität, und eigentlich sah außer den Revolutionskadern niemand so recht ein, warum jetzt jahrhundertealte Dynastien wie die Mecklenburger Großherzöge, die braunschweigischen Welfen oder Reuß Ältere und Jüngere Linie in Thüringen abdanken mußten. 

Es reichten oft nur kleine revolutionäre Gruppen

Relativ einfach war diesbezüglich die Situation im verwaisten Großherzogtum Mecklenburg-Strelitz. Der letzte Großherzog von Mecklenburg-Strelitz Adolf Friedrich VI. beging am 24. Februar 1918 Selbstmord, weil er vermutlich wegen Homosexualität in die Hände von Erpressern gefallen war und ihn Kaiser Wilhelm II. intern als „Schande der deutschen Bundesfürsten“ bezeichnete. Das Großherzogtum stand seitdem unter der Verwaltung durch die nahe verwandten Großherzöge von Mecklenburg-Schwerin. Als Großherzog Friedrich Franz IV. von Mecklenburg-Schwerin wegen der ohne sein Einverständnis erfolgten Ausrufung einer „Volksregierung“ in Schwerin seinem Thron entsagte und sich samt Familie nach Dänemark begab, brach für ganz Mecklenburg nach gut tausend Jahren Monarchie die republikanische Epoche ebenso schmerzlos wie überraschend an. 

Beispielhaft für den Übergang zur Republik können die Vorgänge im kleinen Fürstentum Lippe mit der Hauptstadt Detmold gelten. Fürst Leopold IV. hatte frühzeitig die Richtung der politischen Entwicklung in Deutschland erkannt und seinem Ländchen schon vor Ausbruch der Revolution weitgehende Wahlreformen versprochen, welche das allgemeine und gleiche Wahlrecht beinhalteten. Trotzdem gewannen vor Ort in Detmold am 9. November 1918 plötzlich radikale Stimmen die Oberhand. Diese wurden vor allem durch „auswärtige“ Revolutionäre, welche dazu aus Bielefeld anreisten, getragen. Es konstituierte sich ein demokratisch nicht legitimierter, weil nicht gewählter „Arbeiter- und Soldatenrat“, welcher sogleich an Leopold IV. die Forderung nach Abdankung herantrug, dem dieser zur Vermeidung von Unruhen für seine Person zustimmte. Anstatt damit die Lage zu beruhigen, gewannen jetzt erst recht radikale Stimmungen in Detmold an Zuspruch. Obwohl ursprünglich mit dem Führer der örtlichen Sozialdemokratie abgemacht war, daß zu späterer Zeit eine gewählte Volksversammlung über die zukünftige Staatsform entscheiden sollte, spitzte sich die Lage zu. Die Schloßwache rückte ab, und die Fürstenfamilie war ab sofort schutzlos. Revolutionäre Soldaten drangen ins Schloß ein und hißten die rote Fahne. Der unter Bielefelder Einfluß stehende Detmolder Arbeiter- und Soldatenrat verlangte am 10. November ultimativ die Abdankung der gesamten Dynastie, oder man werde den Ex-Fürsten in „Schutzhaft“ nehmen. 

Nach ähnlichem Muster verlief die Abdankung der deutschen Bundesfürsten allerorten ab, wie etwa im Großherzogtum Sachsen. Dem dortigen Großherzog Wilhelm Ernst wurde im Falle einer Abdankung von den Weimarer Revolutionären „Ordnung und Sicherheit“ inklusive des Schutzes seiner Familie versprochen. Irgendwelche Machtmittel hatte der Großherzog nicht bei der Hand, wenn man von den beiden Wachtposten vor dem Residenzschloß absah. 

Im Herzogtum Sachsen-Meinungen, wo Herzog Bernhard sich anfangs hartnäckig weigerte, zurückzutreten, drang eine Gruppe aufrührerischer Soldaten am 10. November 1918 gewaltsam ins Schloß ein. Davon eingeschüchtert, unterzeichne der Herzog für sich und seine Thronfolger die Abdankung. 

Am 8. November verlangten drei anreisende Matrosen aus Wilhelmshaven, daß Großherzog Friedrich August von Oldenburg auf seinem Schloß und auf dem Oldenburger Elisabeth-Anna-Palais die rote Fahne aufzuziehen habe. Dieser Aufforderung gab der Großherzog nach und plauderte mit den Soldaten und hörte sich deren Klagen an. Danach milde gestimmt, erlaubte der Soldatenrat, daß die Fahne auf dem Palais wieder eingeholt werde. Doch tags darauf erklärte Bernhard Kuhnt, Vorsitzender des Wilhelmshavener Arbeiter- und Soldatenrats, den Großherzog von Oldenburg für abgesetzt. Am 11. November dankte der Großherzog für seine Dynastie ab, „um Unheil von den oldenburgischen Landen fernzuhalten“.

Diese schnelle und flächendeckende Abdankung der deutschen Dynastien im Laufe der Novembertage 1918 überraschte selbst führende Sozialdemokraten wie Gustav Noske. Gemäß Noske hatte niemand geahnt, daß die Throne in Deutschland so wackelig standen. Doch es siegte eine zwar kleine, doch entschlossen handelnde und radikal gesinnte revolutionäre Minderheit in den „Arbeiter- und Soldatenräten“, während sich die große Masse der nicht dezidiert antimonarchistischen Untertanen erst später mit den vollendeten Tatsachen arrangierte.