© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 47/18 / 16. November 2018

Benziner, Diesel und Zigarettenrauch
Der Lungenarzt Dieter Köhler wagt eine abweichende Meinung in Sachen Stickoxid und Feinstaub
Christoph Keller

Wer den Modellen und Prognosen des UN-Weltklimarats (IPCC) mißtraut, gilt als „Klimaleugner“. Entsprechend müßten diejenigen, die den aktuellen Kampf gegen den Dieselmotor und die wohl kommende Verbannung des feinstaubemittierenden direkteinspritzenden Benzinmotors (JF 25/18) kritisch hinterfragen, als „Stickoxid- und Feinstaub-Skeptiker“ bezeichnet werden.

Dieses Etikett hat sich Dieter Köhler schon verdient, seitdem er zur Diskussion um Abgasgrenzwerte und Fahrverbote Stellung nahm. Bis 2013 ärztlicher Direktor der Lungenfachklinik in Schmallenberg (Hochsauerland) und Professor an der Universität Marburg, ist der 70jährige kein Außenseiter. Von 1989 bis 2014 war er Präsident des Verbandes Pneumologischer Fachkliniken und stand 2002 bis 2007 an der Spitze der Deutschen Gesellschaft für Pneumologie. Habilitiert hat er sich 1985 über ein Thema, das im Zentrum der Kontroverse steht: über feste und flüssige Stoffe in der Atemluft (Aerosole) und deren gesundheitsschädliche Wirkung.

Köhler legte nun im Medizinreport des Deutschen Ärzteblatts (38/18) mit dem Aufsatz „Feinstaub und Stickstoffdioxid (NO2) – eine kritische Bewertung der aktuellen Risikodiskussion“ nach. Dabei betont er aber ausdrücklich, dieser Beitrag sei keine „Absolution“ für die „unverantwortlichen Manipulationen wesentlicher Teile der Autoindustrie bezüglich des Schadstoffausstoßes“. Dessen Fazit schlägt aber dennoch der herrschenden Meinung ins Gesicht: Für die gültigen Grenzwerte gebe es „keine ausreichende wissenschaftliche Basis“.

Verwechselung von Korrelation und Kausalität

„Die in Deutschland aktuellen Grenzwerte für Feinstaub (Tagesmittelwert: 50 Mikrogramm pro Kubikmeter) und NO2 (Jahresmittelwert: 40 µg/m³) stammen aus epidemiologischen Studien, die im wesentlichen von WHO- und EU-Arbeitsgruppen zusammengefaßt und unterstützt wurden“, aber die profunde Kenntnisse der Aerosolphysik und Toxikologie vermissen ließen.

Er könne sich nur wundern, „daß daraus so weitreichende politische Schlüsse gezogen wurden“. Insbesondere übt Köhler Kritik an den daraus abgeleiteten, von Politik und Medien exponierten „vorzeitigen Todesfällen“ durch Autoabgase. Diese erhöhten Mortalitätsraten seien jedoch oft auf einen Fehler zurückzuführen, den jeder Student im Grundkurs medizinische Statistik zu vermeiden lerne: die Verwechselung von Korrelation und Kausalität.

Folglich bestünde zwar zwischen der Zunahme von tödlich verlaufenden Lungenkrankheiten und dem steigenden Verkehrsaufkommen eine Korrelation. Ob es zwischen diesen eine kausale Beziehung bestehe, mehr Autos mehr Lungentote verursachen, sei durch die bisher veröffentlichten Studien nicht bestätigt. Denn keine sei falsifizierend, auf allein Erkenntnisgewinne versprechende Widerlegung der Gefährlichkeit von Feinstaub und Reizgasen angelegt. Mehr als eine Hypothese sei der behauptete Zusammenhang zwischen Luftverschmutzung durch Autos und der Zunahme von Lungenerkrankungen daher nicht.

Als in den siebziger Jahren die Luftverschmutzung in Europa um den Faktor 10 bis 20 größer war als heute, gab es hingegen bei hoher Atemluftbelastung eine auffällige Häufigkeit von chronisch obstruktiven Lungenerkrankungen und Asthma. „Experimentelle Untersuchungen belegten die Hypothese plausibel, vor allen Dingen bei hohen Konzentrationen von inhalierten Schadstoffen am Arbeitsplatz (Quarz, Asbest, Kanzerogene). Bekanntestes Beispiel ist die Silikose bei Bergleuten“, so Köhler. Allerdings lagen die Arbeitsplatzkonzentrationen damals zehn- bis fünfzigmal höher als die Grenzwerte heute.

Methodologisch kritisiert Köhler auch eine Schlüsselstudie von 1993, die in sechs Städten die Partikelbelastung mit der Mortalität verglich. In Metanalysen der danach entstandenen Studien sei von der WHO 2004 ein um 1,5 Prozent erhöhtes Risiko für gröbere (Massendurchmesser zehn Mikrometer/PM 10) und kleinere Partikel (PM 2,5) ermittelt. Entsprechend ergab sich eine lediglich gering erhöhte Mortalität. Aufgrund dieser Daten wurden die Grenzwerte festgelegt, ohne widersprüchliche Aussagen zu berücksichtigen. So sei etwa unter den Tisch gefallen, daß in einer so staubbelasteten Region wie der spanischen Großstadt Sevilla die Mortalitätsraten überraschend niedrig sind.

Es stelle sich die Frage, wie man bei der geringen Risikoerhöhung von 1,5 Prozent Störfaktoren wie Rauchen, Hypertonie, Alkoholkonsum, Impfverhalten, sportliche Aktivitäten und vieles mehr, was den kollektiven Gesundheitszustand einer Stadtbevölkerung beeinflußt, herausrechnen könne. Allein bei Rauchern nehme das relative Mortalitätsrisiko um 800 Prozent zu. Es sei zu vermuten, daß hier schon geringste Unterschiede in der Lebensführung oder im Gesundheitsbewußtsein zwischen staubbelasteten und weniger staubbelasteten Gebieten die ganzen Effekte des Feinstaubs und des NO2 erklären.

Solche „Einflüsse der Lebensart“ spiegeln die WHO-Studien nicht wider. Zudem wiesen neuere Studien teilweise „groteske Risiken“ aus. Demnach soll Feinstaub mitverantwortlich sein für die Spermienqualität oder für Depressionen. Dabei seien die Unterschiede häufig nicht einmal signifikant nach dem jeweils zugrundeliegenden Modell. Trotzdem würden sie das Risiko so formulieren, als sei die geringe Erhöhung kausal allein durch Feinstaub verursacht.

Keine Novellierung bestehender Grenzwerte?

Immer wieder gebe es auch negative Ergebnisse von zuvor scheinbar bestätigten Risiken. So habe die große Escape- und Transphorm-Studie, ein von der EU gefördertes Projekt mit 300.000 Probanden, die ursprünglich gefundene kardiovaskuläre Mortalität nicht bestätigt. Ebenso unterstreiche die vom Umweltbundesamt (UBA) vorgestellte, schwere methodische Fehler aufweisende epidemiologische NO2-Studie mit etwa 6.000 deutschen Todesfällen jährlich das Dilemma solcher Untersuchungen.

NO2 ist ein Gas, das infolge Wasserlöslichkeit nur die oberen Atemwege erreicht. Es wird von der Schleimhaut absorbiert und hydrolysiert, was eine pH-Verschiebung bewirkt. Pathophysiologisch sei es schwer vorstellbar, daß diese minimale Azidose beispielsweise die Diabeteshäufigkeit um acht Prozent erhöhen soll. Kurzzeitversuche mit Konzentrationen von 3.000 ?g/m3 zeigten jedenfalls keine Effekte. Deswegen liege die maximal zulässige NO2-Konzentration am Arbeitsplatz in Deutschland weiterhin bei 950 ?g/m3.

Erstaunlich sei, daß Arbeiten wie die UBA-Studie Daten aus anderen Bereichen wie der Nikotinforschung nie diskutierten. Zigarettenrauch gehört zu den dichtesten Aerosolen, die man erzeugen kann. „Die Dichte des Zigarettenrauchs erreicht über 500 g/m3, womit die Konzentration etwa zehnmillionenfach über dem Limit des Feinstaubs liegt.“ Überdies beträgt die NO2-Konzentration im blauen Dunst etwa 300.000 ?g/m3.

Die Feinstaub-Studien seien also einfach dadurch zu widerlegen, daß man die inhalierten Dosen mit denen der Raucher vergleicht. Viele Millionen Raucher führen quasi einen inhalationstoxischen Großversuch aus. Vergleiche man, in Relation mit dem Mortalitätsrisiko, die Dosis von lebenslang inhaliertem Feinstaub und NO2 mit den inhalierten Dosen von Rauchern, müßten diese nach wenigen Wochen tot sein, was offensichtlich nicht der Fall ist. Damit sei die Hypothese einer Risikoerhöhung durch Feinstaub und NO2 in den gesetzlich fixierten Grenzwertdosen falsifiziert.

Da manche Leser durch Köhlers Beitrag „verunsichert“ werden könnten, fügt die Ärzteblatt-Redaktion zur Festigung der herrschenden Meinung eine Stellungnahme des Münchner Umweltmediziners Joachim Heinrich an. Köhlers Argumentation enthalte „grundsätzliche Mißverständnisse“, moniert Heinrich, da seine methodologische Kritik an den WHO- und UBA-Studien zu oberflächlich gerate. Es bestehe daher keine Veranlassung für eine Novellierung bestehender Grenzwerte.

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