© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 47/18 / 16. November 2018

Knapp daneben
Selbstbestimmtes Alter
Karl Heinzen

Tsjakkaa! Du schaffst es!“ Wer in den 1990er Jahren daran zweifelte, ob er seinen beruflichen Herausforderungen gewachsen wäre, konnte aus der unter diesem Motto stehenden RTL-II-Sendung des niederländischen Motivationstrainers Emile Ratelband neuen Mut schöpfen. Die meisten seiner Fans schafften es dann zwar dennoch nicht. Immerhin war es ihnen aber für einen kurzen Augenblick vergönnt, an sich selbst glauben zu dürfen.

Heute, zwei Jahrzehnte später, will Ratelband nicht mehr nur Fernseh-, sondern Rechtsgeschichte schreiben. Er ist 69 und hat damit eigentlich auch kein Problem, da er, wie ihm sein Arzt bescheinigt, die Fitneß und das Aussehen eines 45jährigen hat. Allerdings muß er befürchten, daß seine Chancen auf Tinder überschaubar sind, wenn er dieses Alter angibt. Natürlich könnte er schummeln und einfach etwas anderes eintragen, doch damit bliebe ein Grundsatzproblem, das alle angeht, ungelöst. 

Welchen Namen man trägt und welchem Geschlecht man zugehört, kann der einzelne bereits entscheiden.

Warum dürfen sich Behörden anmaßen, das Alter eines Menschen aufgrund seines zufälligen Geburtsdatums festzulegen? Ratelband sieht dies als einen Verstoß gegen das in der niederländischen Verfassung verankerte Diskriminierungsverbot an und pocht darauf, als 49jähriger anerkannt zu werden. Da die Behörden seinem Wunsch bislang nicht Folge leisten, ist der Fall nun vor einem Arnheimer Gericht anhängig. Welchen Namen man trägt und welchem Geschlecht man zugehört, ist heute, argumentiert Ratelband, bereits der Entscheidung des einzelnen überlassen, doch auch für das Alter gibt es kein vermeintlich objektives Kriterium, dem er sich zu unterwerfen hätte. Jeder ist genauso alt, wie er sich fühlt. Das kann sich jeden Tag ändern, je nachdem, was man am Vorabend getrunken hat. 

Setzt sich Ratelband durch, wären wir einer Welt ohne Fremdbestimmung wieder einen Schritt näher gekommen. Bald wird sich der Mensch nur noch von sich selbst befreien und die Fesseln der Ich-Identität ablegen müssen. Erst wenn er in jedem Augenblick neu entscheiden kann, wer er ist, hat er das Reich der Freiheit betreten.