© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 48/18 / 23. November 2018

„Es gibt Tage, da habe ich nur noch Angst“
Beschimpft, geschlagen, beraubt, die Mädchen begrapscht – und Hilferufe zwecklos: Deutsche als Minderheit in Brennpunktschulen
Hinrich Rohbohm

Es hört sich so idyllisch an. Eine „überschaubare, ‘familiäre’ Schulgemeinschaft“ sei man, „in der jedes Kind mit Namen begrüßt wird und kein Kind untergeht“. So steht es auf der Internetstartseite der Peter-Ustinov-Oberschule in Ricklingen, einem Stadtteil von Hannover.

„Wir freuen uns, eine bunte, vielfältige Schule mit vielen Kindern, aber auch vielen Lehrkräften aus aller Welt zu sein“, heißt es da. Ihr Leitbild: „Gemeinsamkeit in Vielfalt.“ Dabei lege die Schule „großen Wert auf den respektvollen und gewaltfreien Umgang miteinander und auf gutes Benehmen“.

Blumige Beschreibungen, über die Natascha (Name geändert) nur bitter lachen kann. „Das steht da echt so drin?“ fragt sie ungläubig und lacht. Wir wollen von ihr wissen: Wie sieht diese Vielfalt im Schulalltag tatsächlich aus? Und: Wie ergeht es Schülern in Klassen, in denen sie als Deutsche inzwischen zu einer Minderheit gehören?

In Wahrheit hat die Schulleitung lange schon Alarm geschlagen. In den Medien, bei der Politik. „Unsere Schule ist in sich ghettoisiert“, hat deren Leiterin Karin Haller bereits öffentlich eingestanden und gewarnt, daß mit herkömmlichen Methoden der Unterricht nicht möglich sei. Das klingt anders als bunt und vielfältig, anders als familiär, respektvoll und gewaltfrei. Tatsächlich ist die Peter-Ustinov-Oberschule eine Brennpunktschule. Der Migrantenanteil liegt bei 90 Prozent. Türken, Syrer, Osteuropäer oder Zigeuner in den Klassen sind die Regel, nicht die Ausnahme.

Im Mai dieses Jahres war der niedersächsische Kultusminister Grant Hendrik Tonne (SPD) zu Besuch gekommen, um sich vor Ort ein Bild zu machen. Die Klassen zeigten sich an diesem Tag von ihrer Schokoladenseite. Doch auch der Politik ist klar, daß dies nicht dem Alltag entspricht.

Nur zögerlich erklärt Natascha ihre Bereitschaft, mit einem Journalisten über ihren persönlichen Schulalltag zu sprechen. An einem anderen Ort, außerhalb von Ricklingen. Jenseits der Blicke ihrer Mitschüler, unter Zusicherung strikter Anonymität. Das sind ihre Bedingungen. Das klingt abgeklärt, fast wie bei Erwachsenen. Es ist die Reaktion einer Jugendlichen, in deren Klasse die Mitschüler fast ausschließlich ausländische Wurzeln haben.

„Von türkisch-arabischen Cliquen abgezogen“

Wir vereinbaren einen Termin mit ihr in einem Café in der Innenstadt von Hannover. Natascha kommt nicht allein. Mareike (Name geändert), eine Mitschülerin aus der Parallelklasse, begleitet sie. Beide klammern sich an ihre Becher mit heißer Schokolade, die sie bestellt haben, und lachen etwas nervös. Dann werden sie ernst. Und um so gesprächiger. „Es gibt Tage, da habe ich einfach nur noch Angst, zur Schule zu gehen“, sprudelt es aus Natascha heraus. Daß sie als Deutsche ohne jeglichen Migrationshintergrund eine Ausnahme in ihrer Klasse ist, bekomme sie täglich zu spüren.

„Von Respekt und gutem Benehmen kann da überhaupt keine Rede sein“, sagt sie. Ihre Freundin Mareike nickt, kennt das aus eigener Erfahrung. „Daß ich als Schlampe oder Schlimmeres bezeichnet werde, ist eigentlich der Normalfall, gerade von den Jungs. Das ist noch das Harmloseste. Aber man wird eben auch begrapscht und sogar bedroht“, erzählt die Jugendliche, die offen zugibt, deshalb auch gelegentlich den Unterricht zu schwänzen. „Bei mir ist das die Ausnahme, aber es gibt Mitschüler, da ist das vollkommen normal. Denen ist die Schule so was von egal.“ Sie erzählt von Leuten aus den fünften und sechsten Klassen, die in den Pausen von „türkisch-arabischen Cliquen regelmäßig abgezogen werden“ und ihr Taschengeld abliefern müßten.

„Einerseits werden wir von den Lehrern immer aufgefordert, Leute aus anderen Kulturkreisen zu respektieren, aber wie steht es eigentlich um den Respekt uns Deutschen gegenüber? Ich finde, den haben wir auch verdient, aber da geht null bei den Leuten“, meint Natascha. Auch einen Zusammenhalt unter den Schülern in der Klasse vermißt sie. „Das geht ja schon bei der Sprache los. Zahlreiche Schüler können noch nicht mal richtig Deutsch sprechen. Und auf dem Schulhof sprechen sie dann sowieso in ihrer Muttersprache.“

Nicht wenige würden auch Waffen mit sich führen. Messer und Stahlruten bei den Jungen, Reizgas bei den Mädchen. Sie selbst sei auch schon mit dem Messer bedroht worden. „Das war im letzten Jahr. Ich hatte eine Auseinandersetzung mit einem Mitschüler aus Syrien. Plötzlich zückte der ein Messer. Ich war total geschockt.“ Seitdem ist sie vorsichtig geworden, geht Streit mit ihren Mitschülern aus dem Weg.

Den Lehrern möchte sie sich nicht anvertrauen. „Wenn die dann die Betroffenen zur Rede stellen, wird alles nur noch schlimmer.“ So sei ihr ein ähnlicher Fall an ihrer Schule bekannt, bei dem sich die „verpetzten“ Mitschüler bei nächster Gelegenheit am Opfer gerächt hätten. „Den haben sie dann zusammengeschlagen.“

Erzählt sie von den Zuständen ihren Eltern? „Mit denen rede ich nur wenig darüber. Sonst rennen die zu den Lehrern. Das wäre dann das gleiche Resultat. Und beschützen kann uns von denen ohnehin keiner, auch wenn sie meinen, daß sie es könnten.“

Mareike nickt. „Selbst die Polizei kann das ja nicht.“ Schon gar nicht vor den Diebstählen, die in der Schule an der Tagesordnung seien. Manche der wenigen verbliebenen deutschen Schüler hätten sich inzwischen mit der Situation arrangiert. „Die passen sich den Regeln der stärkeren Mehrheit an.“ Sie erzählt von Mädchen, die „islamistisch eingestellte Jungen“ als Freund hätten und nun zum Islam konvertieren wollten. Von deutschen Jungs, die in muslimisch dominierten Cliquen dabei seien, um Schutz zu erhalten. „Ehrlich gesagt, bin ich froh, wenn ich die Schule hier hinter mir habe“, ergänzt Mareike und ringt sich ein gequältes Lächeln ab.

Eine Anfrage der JF an die Schulleiterin, ob sie die geschilderten Vorkommnisse so bestätigen könne, wurde von Frau Haller nicht selbst beantwortet, sondern an die Landesschulbehörde in Lüneburg weitergegeben. Die Behörde räumte in ihrer Antwort „vereinzelt Beleidigungen oder gewalttätige Auseinandersetzungen“ an der Ustinov-Schule ein, „die sich allerdings nicht gezielt gegen einzelne Nationalitäten“ richteten. Und: „Weder wir noch die Schulleiterin haben Hinweise auf Diskriminierung bestimmter Nationalitäten oder Glaubensrichtungen.“

Zustände wie die an der Peter-Ustinov-Schule sind in Deutschland indes längst keine Einzelfälle mehr. Nicht zuletzt die Folgen der deutschen Zuwanderungspolitik zeichnen an immer mehr Schulen das ungeschminkte Bild einer Realität jenseits von Willkommenskultur und Utopien über künftige Fachkräfte und Rentenbeitragszahler.

Zusammengeschlagen, weil er ein „Ungläubiger“ sei

So auch in dem Frankfurter Stadtteil Griesheim, einem sozialen Brennpunkt mit hohem Ausländeranteil und ebenso hoher Kriminalitätsrate. Allein an der dortigen Berthold-Otto-Grundschule liegt der Anteil von Kindern mit ausländischen Wurzeln in einigen Klassen bei fast 100 Prozent. „Mein Sohn ist der einzige Deutsche. Wie soll er da bitte vernünftig lesen und schreiben lernen?“ klagt ein Familienvater, der unweit der Schule im Gespräch mit der JUNGEN FREIHEIT keinen Hehl daraus macht, daß er beabsichtigt, aus der Gegend wegzuziehen. „Am 1. März 2019 sind wir hier weg“, kündigt er an. Der Grund: „Der Ausländeranteil ist einfach zu hoch. Wir haben das Gefühl, wir selbst sind die Ausländer.“ Er erzählt von Elternabenden, in dessen Anschluß sich einzelne Gruppen bildeten und die Köpfe zusammensteckten. „Die brabbelten dann alles mögliche in ihrer eigenen Sprache, meine Frau und ich fühlten uns total ausgeschlossen.“

Zu einigen ausländischen Eltern hätten sie ein freundschaftliches Verhältnis aufgebaut. Auch die Kinder kämen gut miteinander aus. „Das ist aber bei weitem nicht der Regelfall, viele der Mitschüler meines Sohnes haben schon jetzt einen hohen Hang zur Gewalt.“

Gegen Ende des abgelaufenen Schuljahres war sein Sohn mit aufgeplatzter, blutender Lippe sowie starken Kratz- und Beißspuren an Gesicht und Armen nach Hause gekommen. „Er wollte uns nicht sagen, was passiert war.“ Erst von der Lehrerin haben die Eltern später erfahren, daß ihn mehrere Mitschüler bedrängt, angegriffen und geschlagen hatten.

„Ich fragte ihn, warum die das gemacht haben. Da sagte er mir, weil er ein ‘Ungläubiger’ sei. Ich war einfach nur entsetzt“, erinnert sich der Vater. Seine Frau ergänzt: „Die Kinder fangen auch an, ihren ganz eigenen Slang zu sprechen. Unser Sohn beginnt so zu reden, wie die ausländischen Kinder deutsch sprechen.“

Bei einem Blick auf die Bevölkerungszusammensetzung westdeutscher Großstädte scheint wahrscheinlich, daß die Lebenswirklichkeit deutscher Schüler noch ungemütlicher werden wird. In Frankfurt hat bereits über die Hälfte der Einwohner (51,2 Prozent) einen Migrationshintergrund. Mit stark steigender Tendenz. Nach einer Untersuchung des Amts für multikulturelle Angelegenheiten beim Magistrat der Stadt, dem „Frankfurter Integrations- und Diversitätsmonitoring“ vom Mai 2017, liegt der Schwerpunkt des Zuwachses an Bevölkerung mit ausländischer Staatsangehörigkeit in der Altersgruppe der Kinder unter sechs Jahren. Deren Anteil nahm zwischen 2012 und 2015 um über ein Drittel zu (36,4 Prozent), im Vergleich zu 2010 um 53,3 Prozent. 

Im ostwestfälischen Bielefeld hat über ein Drittel der Einwohner einen Migrationshintergrund, unter Kindern und Jugendlichen über die Hälfte. Nicht anders in Hamburg, wo ebenso über ein Drittel der Einwohner einen Einwanderungshintergrund hat, wie eine Auswertung des Statistikamtes Nord von 2017 ergab. Im Bezirk Hamburg-Mitte leben 71 Prozent Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren mit Einwanderungshintergrund. In manchen Stadtteilen beträgt der Anteil ethnisch nichtdeutscher Einwohner über neun Zehntel. Beinahe 95.000 Einwohner Hamburgs haben türkische Wurzeln. Angesichts dieser exemplarischen Zahlen, vor allem aber der Dynamik der Bevölkerungsverschiebung scheint es nicht zu weit hergeholt, zu vermuten, daß auf deutsche Schulkinder eine Existenz als bedrängte Minderheit zukommt.

Daß Schule auch anders gehen kann als in den geschilderten Fällen aus Hannover und Frankfurt, zeigt das Beispiel der Quinoa-Schule im Berliner Stadtteil Wedding. Dieses andere Herangehen ist allerdings kostspielig, weil betreuungsintensiv. Die als gemeinnützige GmbH geführte Integrierte Sekundarschule hat mit ihrem Bildungsangebot besonders Migranten im Blick. In den Jahrgangsstufen 7 bis 10 (derzeit gibt es keine 10. Klasse) werden zur Zeit 78 Schüler unterrichtet, davon  80 Prozent mit Migrationshintergrund – zumeist türkischem. Die meisten von ihnen kommen zudem aus Familien, die von Sozialhilfe leben. Nur knapp 20 Prozent der Eltern zahlen das obligatorische Schulgeld in Höhe von 25 bis 218 Euro im Monat. Schulträger ist die Montessori-Stiftung Berlin. Vom Berliner Senat erhält die Schule derzeit 79 Prozent der vergleichbaren Personalkosten öffentlicher Schulen pro Schüler. Um die große Finanzierungslücke zu decken, bittet die Quinoa-Schule bei Privatleuten, Firmen und Stiftungen um Spenden.

Die Kinder werden in Fächern wie „Zukunft“ unterrichtet, in dem sie sich damit auseinandersetzen, was sie später einmal beruflich machen wollen. Auch „Interkulturelles Lernen“ steht auf dem Stundenplan. Darüber hinaus absolvieren sie verstärkt Praktika in den verschiedensten Unternehmen und Institutionen. Zudem erhalten die Kinder durch Tutoren eine individuelle Betreuung. Also genauso wie früher in den mittlerweile abgeschafften Förderschulen. Und nach diesem Schulbesuch soll ein Mentorenprogramm sicherstellen, daß der Anschluß in weiterführenden Schulen oder in der Berufsausbildung gelingt. Im vergangenen Sommer verließ der erste Abschlußjahrgang die Schule. Das Resultat: 90,5 Prozent der Schüler erhielten einen Abschluß.

In ihrem Weddinger Schulbezirk lag die Bildungseinrichtung damit weit über dem Durchschnitt. Jedoch: Derartige Projekte haben im wahrsten Sinne des Wortes ihren Preis. Sie mögen als Modell funktionieren. Ob sie auch massentauglich sind, hängt nicht zuletzt von den finanziellen Möglichkeiten der Bundesländer ab. Die aber sind – von wenigen Ausnahmen abgesehen – äußerst überschaubar.