© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 48/18 / 23. November 2018

Grüße aus Santiago de Cuba
Plötzliche Freiheiten
Alessandra Garcia

Keila zählt zu meinen Freundinnen, um die ich gern einen Bogen mache. Diesmal aber freue ich mich, als ich sie vor dem Büro der staatlichen Telefongesellschaft Etecsa unterhalb der Kathedrale stehen sehe und sie mich heranwinkt. Denn sie steht im vorderen Teil einer Schlange von Santiagueros, die geduldig darauf warten, daß sich die Tür öffnet und sie eine der kleinen Karten, die Tarjeta de Navegación, kaufen können, die ihnen den Zugang in die große weite Welt ermöglicht: in das weltweite Internet. 

Rund 700 Wifi-Hotspots gibt es inzwischen im Land. Wo sie installiert sind, sitzen Dutzende Kubaner, starren auf die Bildschirme ihrer Smartphones und Notebooks oder unterhalten sich lautstark mit Verwandten und Freunden in anderen Ländern. Auch Video-Chats sind möglich, zumindest soweit der Gesprächspartner auf seinem Handy ebenfalls Imo installiert hat, die kubanische Alternative zu Skype, das es aufgrund der US-Wirtschaftsblockade auf der Insel nicht gibt.

„Ich erkläre ihr, daß sie sich erst eine vertrauenswürdige Freundesgruppe aufbauen muß“

Eine Stunde Internet kostet einen konvertiblen Peso. Beim Begrüßungsküßchen drücke ich Keila unauffällig einen Drei-Peso-Schein in die Hand. Sie nickt und zückt ihr Handy. Sie habe jetzt einen eigenen Facebookaccount und schon Freunde auf der ganzen Welt, erzählt sie stolz. Vor allem Männer. Kein Wunder, denn ihr Profilfoto zeigt eine attraktive schwarzhäutige Frau. Ihre Freunde finde ich weniger attraktiv: Türken, Italiener, Russen, ein Kanadier und auffällig viele mit arabisch klingenden Namen.

Keila entreißt mir das Handy, denn die Tür zum Etecsa-Reich hat sich geöffnet. Zehn Minuten später erscheint sie wieder und nimmt mich beiseite. Zu ihren neuen Freunden gehöre auch ein hübscher Italiener, der wolle aber unbedingt ein Nacktfoto von ihr. Sie habe das empört abgelehnt, aber er schicke immer wieder solche Bitten. Ob sie nachgeben und ihm eines posten soll? Er sei doch so niedlich. 

Ich muß an unseren Präsidenten denken. „Wir müssen die Möglichkeit haben, die Inhalte der Revolution online zu stellen“, hatte Miguel Díaz-Canel unlängst  verkündet. Fotos von Keila würden bestimmt den Tourismus ankurbeln. Diese scrollt inzwischen auf den Eintrag. Das Foto ist ein Fake. Ich versuche ihr zu erklären, daß sie sich eine vertrauenswürdige Freundesgruppe aufbauen muß, nicht für jeden einsehbar. Sie schaut mich nur verwirrt an: Also kein Nacktfoto, sagt sie dann und packt das Handy weg.