© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 48/18 / 23. November 2018

Lukrative Massenüberwachung
Verkehrstechnik: Bundesregierung erlaubt elektronische Einfahrtkontrollen zur Durchsetzung der Diesel-Fahrverbote
Jörg Fischer

Jean Pütz ist Elektromechaniker, Diplomingenieur sowie Lehrer für Physik und Mathematik. Er studierte Soziologie und Volkswirtschaft – doch den Kulturpreis der 1976 gegründeten Eduard-Rhein-Stiftung (Rhein war Erfinder des deutschen Radars und der Langspielplatte sowie bis 1964 Chefredakteur der Hörzu) erhielt der 82jährige für sein Lebenswerk als jahrzehntelanger Wissenschaftsjournalist des WDR.

Pütz ist auch ein Freigeist, und so sprach der Kölner vorigen Samstag – vor der Preisverleihung im Deutschen Museum in München und anläßlich der nun auch in Essen und Gelsenkirchen gerichtlich angeordneten Fahrverbote – unverblümt Millionen Autobesitzern aus dem Herzen: In seiner Heimat Nordrhein-Westfalen sei man „gerade dabei, die industrielle Infrastruktur zu zerstören. Durch einen schwachsinnigen Stickoxid-Wert“, sagte Pütz in einem Video auf seinem Facebook-Kanal.

Lobbyverein Bundesverband Verkehrssicherheitstechnik

Die 40 Mikrogramm pro Kubikmeter seien „wirklich schwachsinnig. Und dann wird noch argumentiert: Wenn der nicht eingehalten wird, dann sterben soundso viele Menschen mehr. Das sind statistische Werte“, so der engagierte Umweltschützer. Damit könne man die Menschen „vielleicht bange machen“, und dies ermögliche „Abmahnvereinen“ wie der Deutschen Umwelthilfe (DUH), „alles zu zerstören, was wir haben“, sagte Pütz. „Wir brauchen natürlich ein umweltfreundliches Auto“, aber diese plötzlichen Fahrverbote und die daraus resultierenden Umleitungen schafften nur zusätzliche Probleme andernorts.

Die rhetorische Frage von Pütz, wer solle die Einfahrtverbote in Bonn, Frankfurt, Hamburg, Köln, Mainz oder Stuttgart überwachen, ist längst aber beantwortet: Während Politiker medial Verständnis heucheln und die Polizei klagt, sie habe keine Kontrollkapazitäten frei, wurden längst Fakten geschaffen. „Entwurf eines Neunten Gesetzes zur Änderung des Straßenverkehrsgesetzes“ heißt das Monster zur Massenüberwachung der Diesel-Fahrverbote. Die mit vielen Verweisen gespickte Gesetzesnovelle ist am 7. November vom Bundeskabinett verabschiedet worden und seit 26. Oktober auf der Internetseite des Verkehrsministeriums von Andreas Scheuer (CSU) einsehbar.

Wie in anderen EU-Ländern bereits üblich wird dadurch eine automatisierte Kameraüberwachung ermöglicht. Die aufgenommenen Bilder von Fahrzeug, Kennzeichen und Fahrer werden gespeichert und mit den Daten des Zentralen Fahrzeugregisters des Kraftfahrt-Bundesamtes abgeglichen – so entgeht kein in Deutschland gemeldeter „Umweltsünder“ der juristischen Verfolgung. Und was ist mit ausländischen Kfz? Hier hilft vorerst nur die manuelle Kontrolle durch das Ordnungsamt – oder die griechische Touristen-Lösung: In die Athener Umweltzone können Autos mit ausländischem Kennzeichen und Mietwagen beschränkungsfrei einfahren.

Damit das Scheuer-Gesetz auch bei einer Jamaika-Koalition Bestand hat, soll die Datenerhebung für jeden erkennbar sein. Die Originalbilder sollen nach sechs Monaten gelöscht werden. Was mit den Bild- und Datenkopien passiert und über welchen Datenzugang in- und ausländische Geheimdienste verfügen werden, darüber läßt sich nur spekulieren. Aber schon jetzt steht fest, daß es wohl ein gutes Geschäft werden wird – und daß die ganze Aktion von langer Hand geplant ist. Nicht von der DUH, grünen Klimaaktivisten oder bayrischen Staatsschützern, wie viele glauben.

Am 27. Februar dieses Jahres bestätigte das Bundesverwaltungsgericht die erstinstanzlichen Diesel-Fahrverbote in Düsseldorf und Stuttgart – und löste damit die Lawine der deutschen Fahrverbote aus. Aber bereits im Januar gründeten drei deutsche Firmen einen Verein: den Bundesverband Verkehrssicherheitstechnik (BVST). Der Verband verstehe sich als „neue, bundesweite Stimme für Sicherheit im Straßenverkehr“ und wolle über die „Produkte und Dienstleistungen seiner Mitglieder informieren.

Eso ist ein Hersteller von Geschwindigkeitsmeßgeräten aus dem Bodenseekreis, der thüringische Jenoptik-Konzern bietet modernste Fototechnik an, und Vitronic ist eine Wiesbadener Firma für industrielle Bildverarbeitung. Jenoptik-Chef Benno Schrief ist zugleich BVST-Vereinsvorsitzender, Wolfgang Lang (Vitronic) und Christoph Münz (Eso) sind BVST-Vorstände. Auch wenn in der BVST-Imagebroschüre viel von „Sicherheit auf allen Straßen“ und den „Kosten von Straßenverkehrsunfällen“ die Rede ist, wird Klartext gesprochen: Dem BVST gehe es um Analyse, Steuerung und Überwachung des Verkehrs. Man wolle die „Umweltbelastung reduzieren, bestehende Technik anwenden und Innovationen realisieren.“

Bislang setzten Datenschutz und Straßenverkehrsgesetz dem enge Grenzen – die Diesel-Fahrverbote eröffnen nun neue Geschäftsfelder. Inzwischen sind auch das niederländisch-schwedische Verkehrsüberwachungsunternehmen Sensys Gatso und die Deutsche Polizeigewerkschaft dem BVST beigetreten. Letztere ist medial am lautesten, wenn über die Unmöglichkeit einer manuellen Kontrolle der Fahrverbote geklagt wird. Die universitären BVST-Mitglieder RWTH Aachen und Uni Köln erhoffen sich wohl zusätzliche Forschungsmittel.

Wer die Aufträge zur Massenüberwachung erhält und wer die teure Technik bezahlen soll, steht noch nicht fest. Dafür ist nun auch die Bundeshauptstadt im Visier: Über die bisher vom Berliner Verwaltungsgericht benannten acht Streckensperrungen für Diesel-Fahrzeuge müsse es auch auf der Stadtautobahn A100 Fahrverbote geben, meint Jürgen Resch, Bundesgeschäftsführer der DUH.

Bundesverband Verkehrssicherheitstechnik:

 www.bvst-berlin.de

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