© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 48/18 / 23. November 2018

CD-Kritik: Gustav Mahler – Teodor Currentzis
Hammerschläge
Jens Knorr

Einen kurzen, mächtigen, aber dumpf hallenden Schlag von nichtmetallischem Charakter, wie ein Axthieb, schreibt Gustav Mahler für Takt 336 und Takt 479 des Finalsatzes seiner 6. Symphonie vor. Anstelle der Hammerschläge paßt die MusicAeterna unter Teodor Currentzis jeweils einen auftrumpfenden Tusch mit allem Tamtam in den musikalischen Fortgang ein und verfehlt damit Satz und Symphonie. Mit dem ersten Hammerschlag nämlich bricht Außermusikalisches in das musikalische Geschehen ein, das von nun an zwanghaft der Katastrophe zutreibt wie alle aus der „Ursuppe“ des Motivmaterials gebaute musikalische Architektur ihrer Selbstzerstörung.

Currentzis hat in die Einleitung des Finalsatzes und überhaupt in manch musikalisches Detail hineingehört wie wenige Dirigenten vor ihm, doch weil er der Partitur nicht zur Gänze vertraut, vermag er Mahlers „negative“ Formkonzeption nicht zu exekutieren. Er münzt sie zu einer optimistischen Tragödie um. 

Mahlers Sechste ist keine Chimäre aus „Fantastique“ und „Pathétique“, keine Künstler- oder Menschentragödie, ihr Beiname „Tragische“ nicht von Mahler. Privatmythologie, so hilfreich sie bei anderen Projekten auch sein mag, kommt ihr nicht bei. Klingt keine gesellschaftliche Wahrheit auf, kann man sie sich sparen. Currentzis fühlt Mahler, noch ohne ihn zu denken.

Gustav Mahler Symphonie Nr. 6  Sony Classical 2018 www.teodor-currentzis.com