© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 48/18 / 23. November 2018

Ehezwist zwischen Justiz und Medizin
Eine augenzwinkernde „Wutrede“, wie die neue Datenschutzverordnung den Haussegen schiefhängt
Burkhard Voß

Am 25. November ist sie ein halbes Jahr in Kraft: die EU-Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO). Auch mit Auswirkungen auf Mediziner, dabei ist die Ehe aus Justiz und Medizin eine der besten Ehen aller Zeiten. Beispiel Beipackzettel: Der wird schon seit Jahren federführend von Juristen verfaßt, Ärzte dienen da nur noch als Berater. Das führt dazu, daß auch noch die unwahrscheinlichsten Nebenwirkungen aufgeführt werden. So wird der Patient beruhigt und hat bei der Einnahme ein angenehmes und sicheres Gefühl. Oder mal eben ein Attest ausstellen, daß der Patient unter dem Antidepressivum fahrtauglich ist, obwohl im Beipackzettel genau das Gegenteil steht, oder dies zumindest nicht ausgeschlossen werden kann. Atteste dieser Art stellt jeder Arzt gerne aus. 

Oder mal eben ausführlich, nachvollziehbar und plausibel attestieren, daß Arbeitnehmer X in Firma Y auch tatsächlich voll arbeitsfähig ist, auch wenn dies aus der Beendigung der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung klar hervorgeht, nur weil demJustitiar der Firma etwas Neues eingefallen ist. 

Jeder Arzt hat dafür volles Verständnis. 

Atteste diktieren und unterschreiben – gibt’s was Schöneres? 

So richtig schön wird die Ehe aus Medizin und Justiz, wenn aus Justitias Schoß immer sinnvollere Paragraphen schlüpfen. Natürlich für die absolut sichere und perfekte Welt. Wie eben die DSGVO, Die Sauberste Generallösung Von Omnipotenzabsicherungen, ‘tschuldigung, Datenschutzgrundverordnung. Auch wenn und vielleicht weil diese im EU-Uterus ausgebrütet wurde, ist sie gründlich, faustisch, deutsch. Der Datenschutz beginnt schon bei der Anmeldung. Gehörte es früher zum guten Ton einer deutschen Arztpraxis, daß auf der Anmeldetheke die Patientenkarteien gut lesbar auslagen, damit jeder sich über Geschlechtskrankheiten und Alkoholmißbrauch der Nachbarschaft informieren konnte, gehört dies nun der Vergangenheit an. Dank DSGVO völlig undenkbar. Auch Szenen wie das durch den Warteraum gebrüllte „Frau Meier, bei der Überweisung zum Zychater, worum ging et da noch ma?“ werden nun im Keim erstickt. Durch die DSGVO sollen Ärzte und ihr Personal für Datenschutz sensibilisiert werden. Das war auch bitter nötig, denn Ärzte hatten davor nichts anderes im Sinn, als an den Wochenenden die spannenden Ein- und Durchschlafprobleme ihrer Patienten ins Internet zu stellen. Was ist die Ärzteschaft doch für ein unsensibler Haufen?

Die Installierung der DSGVO 

soll ja ein bißchen knifflig und zeitaufwendig sein. Wenn  man die Umsetzung alleine nicht gebacken bekommt, so können dies externe Dienstleister und Digitalspezialisten. Natürlich ethisch hoch aufgeladen und ohne jegliches finanzielles Interesse. Demnächst könnte es auch Datenschutzbeauftragte für jede Arztpraxis geben. Die Diskussion darüber ist noch nicht abgeschlossen. Praxen werden in ihrer Arbeit tatkräftig unterstützt durch Qualitätsmanagement, Gesundheitsämter – warum nicht auch durch Datenschutzbeauftragte? Sie sind im Medizinsystem mindestens so bedeutungsvoll wie Rettungssanitäter. 

Lebenslange Romanze mit Verkomplizierungen

Darüber thronen nur noch die Juristen: Ihr Gott ist die komplizierte Lösung, die einfache ihr Teufel. Das fängt schon lange vor dem Studium an. Sozusagen bei der ersten Liebe. Sich in Verkomplizierungen zu verlieben ist für Juristen, frei nach Oscar Wilde, der Beginn einer lebenslangen Romanze. Im Studium lernen sie dann, daß eine Sache nie ein Ende hat und daß sich immer noch was drehen läßt. 

Und wie man den Zeilen eines Justitiars entnehmen konnte, sei die DSGVO so wichtig wie Hygienevorschriften. Ach was, sie ist mindestens so wichtig wie notfallmedizinische Grundkenntnisse. Deswegen werden die intensivmedizinischen Abteilungen von Krankenhäusern in Zukunft auch von Prof. Dr. jur. und nicht mehr von Prof. Dr. med. geleitet. Das wird schon laufen. Wie im Bundestag. Dort stellen Juristen die am meisten vertretene Berufsgruppe dar. Ob Gesundheit, Finanzen‚ Verteidigung, innere Sicherheit – die können alles. Am besten Gesetze machen. Wie die DSGVO. Die dürfte schon bald veraltet sein. Wir freuen uns auf die neue.






Dr. Burkhard Voß ist Facharzt für Neurologie und Psychiatrie. Zuletzt erschien sein Buch „Albtraum Grenzenlosigkeit“ im Solibro Verlag.