© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 48/18 / 23. November 2018

Knapp daneben
Signal zum Aufstand
Karl Heinzen

Die Polizei der kalifornischen Großstadt Santa Ana bittet die Bevölkerung um Unterstützung bei der Suche nach einer Frau, die in einer McDonald’s-Filiale gewalttätig geworden ist. Mitschnitte einer Überwachungskamera zeigen, wie die Täterin eine Mitarbeiterin des Restaurants schlägt, würgt und tritt. Den bisherigen Ermittlungen zufolge war sie zuvor mit der Bitte vorstellig geworden, Ketchup zu erhalten. Da sie dafür nicht bezahlen wollte, hatte man sich jedoch geweigert, ihr den Wunsch zu erfüllen. Der Mangel an Serviceorientierung traf sie wohl so unerwartet, daß sie ihrer Empörung nur mit Gewalt Ausdruck verleihen konnte. Grundsätzlich ist natürlich festzuhalten, daß friedliche Formen des Protests einer solchen Eskalation vorzuziehen sind. Wer allerdings Ketchup benötigt, um beispielsweise seine Pommes Frites herunterwürgen zu können, befindet sich in einer existentiellen Notsituation, der zu entrinnen den Einsatz jeglichen Mittels rechtfertigt.

Die meisten Kunden haben sich daran gewöhnt, daß ihnen derart mitgespielt wird, die mutige Frau nicht.

Möglicherweise hat die Attentäterin von Santa Ana aber nicht bloß für ihre persönlichen Interessen eintreten, sondern auf einen gesamtgesellschaftlichen Mißstand hinweisen wollen. Den Massen wird vorgespiegelt, daß die Wirtschaft für sie da sei. Tatsächlich sucht sie nur nach Wegen, den Bürgern das bißchen Geld, das sie in ihren schlechtbezahlten Jobs verdient haben, durch miserable Produkte und dürftige Dienstleistungen wieder aus der Tasche zu ziehen. Der Kunde ist nicht König, sondern Opfer. An ihm muß gespart werden, damit die Erträge stimmen. Der Preis ist so günstig, soll er sich sagen, da kann ich nicht erwarten, daß das Handy lange hält, das Essen wirklich schmeckt oder der Pauschalurlaub etwas Besonderes bietet. Die meisten haben sich daran gewöhnt, daß ihnen auf diese Weise mitgespielt wird. Nicht so die mutige Frau, die sich in Santa Ana zur Wehr gesetzt hat. Die Konsequenz des tunesischen Gemüsehändlers, der mit einer Verzweiflungstat die „Arabellion“ in Gang setzte, mag ihr fehlen. Müßte der Kampf um Ketchup in einer westlichen Zivilgesellschaft aber nicht bereits als Signal zum Aufstand reichen?