© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 48/18 / 23. November 2018

Der Flaneur
Primitive Anmache
Paul Leonhard

Orientierungslos im Discounter: Der Markt war gründlich umgeräumt worden, wohl um die Verweildauer der Kunden zu erhöhen. Wenn das tatsächlich der Vorsatz war, so hatten die Marketingexperten bei mir einen Volltreffer gelandet. Aber ich war nicht der einzige, der entlang der Regale irrte, um die vertrauten Grundnahrungsmittel zu finden.

In einem der Gänge entdeckte ich Alexander. Dessen Einkaufswagen stand quer und er selbst sichtlich hilflos da. Gerade erkundigte er sich bei einer hübschen blonden Mitdreißigerin, wo er neuerdings die Eier finde. Aber die genaue Antwort konnte auch sie nicht geben, sie suche wohl ebenso, worauf sich Alexander kurzerhand mit ihr zusammen auf die Suche machte.

Mit Lockenkopf, Hornbrille und Bauchansatz strahlt er männliche Hilflosigkeit aus.

Ich grinste in mich hinein. Seit Alexander nach jeweils kurzen Ehen auch die zweite Frau durch Scheidung verloren hatte, war er eingefleischter Junggeselle und Frauenheld geworden. Und seine Bekanntschaften schloß er bevorzugt an den Regalreihen der Supermärkte. Mit Lockenkopf, Hornbrille und Bauchansatz strahlte er Sympathie und gleichzeitig männliche Hilflosigkeit aus, die ein Helferinnensyndrom freisetzte.

Nach erfolgter Abarbeitung seines Einkaufszettels lud er die Frauen dann stets zu einem Abendessen oder zumindest zu einer der nächsten Lesungen in seine Buchhandlung ein. Eine Masche, mit der allerdings nur Alexander erfolgreich ist. Als ich sie einmal ausprobierte, kam sie bei der Gefragten genauso an, wie sie ja eigentlich gemeint ist: als primitive Anmache.

Alexander hat mich inzwischen entdeckt, winkt ein Hallo herüber und stellt mir seine neue Eroberung vor: Karin, Anwältin. Ob ich auch zur Lesung zu ihm komme, will er wissen. „Was für eine Lesung denn“, fragt die Blonde prompt. Während er antwortet, werde ich von einer Frauenstimme gefragt, wo denn das Mehl stehe? Ich sage es der etwa Achtzigjährigen und bekomme ein Kompliment: „Vielen Dank, junger Mann.“